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22. April, Salerno, Italien: Hilfskräfte und auf dem Boot "Chimera" wartende Flüchtlinge.

foto: ap/pecoraro

Die Reaktion der EU-Regierungschefs auf die sich wiederholenden Flüchtlingsbootstrophen im Mittelmeer ist unzureichend. Das hat, unter anderen, Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zuletzt völlig richtig festgestellt.

Doch "unzureichend" allein ist zu wenig, um die Kritik an den Plänen auf den Punkt zu bringen, die unter anderem eine Verdreifachung der Gelder für die Seegrenzen-Überwachungsaktion Triton, die Vernichtung der Boote, auf denen die Schutzsuchenden kamen sowie besser koordinierte, raschere Asylverfahren und Abschiebungen vorsehen.

Widersprüchliche EU-Pläne

Vielmehr haftet den von den Regierungschefs vereinbarten zehn Punkten auch eine bemerkenswerte Widersprüchlichkeit an: Zwar steht bei den Beschlüssen die Erkenntnis im Vordergrund, dass die Verantwortung für die Lebensrettung tausender Menschen ausschließlich bei Europa liegt, weil europäische Kräfte derzeit die einzigen sind, die retten können.

Und man scheint auch verstanden zu haben, dass das zynische Kalkül, das die Einführung der Überwachungsaktion Triton nach der Einstellung der italienischen Rettungsinitiative Mare Nostrum begleitete – nämlich, dass das das Ertrinken vieler auch viele Nachkommende abschrecken könne– nur zu einem führt: zu immer größeren Katastrophen

Wunsch, Flüchtlinge zu stoppen

Aber gleich hinter diesem humanitären Commitment rangieren nach wie vor der Wunsch und die Absicht, die nicht zu stoppenden Flüchtlinge und Elendsmigranten, wenn man sie denn schon retten und aufnehmen muss, so rasch wie möglich wieder loszuwerden. Oder sogar Mittel und Wege zu finden, um sie nicht erst bis an die nordafrikanischen Mittelmeergestade – und von dort auf die Boote – kommen zu lassen.

Im der Regierungschef- Liste steht das unter Punkt zehn, der "Kooperationen mit Drittstaaten" vorsieht. Damit sind, zum Beispiel, EU-unterstützte Weiterreiseverhinderungsaktionen von Flüchtlingen in afrikanischen Ländern gemeint. Im Niger, so lautet etwa ein Plan, könnte den durchkommenden, nach Norden strebenden Schutzsuchende und Migranten die Weiterfahrt verboten werden.

Katastrophale Problem-Auslagerung

So anziehend das für europäische Politiker auch wirken mag, die die leidige Flüchtlingssache vom Hals und direkter Medienbeobachtung großteils entzogen haben möchten: Es wäre dies eine Problem-Auslagerung mit katastrophalen Folgen.

Denn, erstens, würde so mit EU-Hilfe ein Menschenrecht verletzt, das in Zusammenhang mit den Mittelmeer-Flüchtlingen in Diskussionen bisher noch keine Rolle spielte – es aber in der europäischen Geschichte, konkret in Zeiten des Warschauer Pakts, durchaus tat: Jenes, frei auszureisen, also ein Land verlassen zu dürfen.

Gefahr für Leib und Leben

Und, zweitens, könnte für die Sicherheit von Leib und Leben der Angehaltenen wohl nicht garantiert werden. Die Flüchtlingen und Migranten würden in Niger warscheinlich in Lagern interniert, oder aber ihrem Schicksal überlassen, nachdem sie an der Grenze am Ausreisen gehindert wurden. Ähnlich wie es auf Grundlage von unter anderem italienisch-libyschen Vereinbarungen in Libyen war, als dort noch Muammar al-Gaddafi herrschte.

Damals starben tausende Menschen aus Subsahara-Afrika in der libyschen Wüste. Diese barbarischen Zustände waren mit ein Grund, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2012 im richtungsweisenden Fall "Hirsi Jamaa und andere gegen Italien" die 2009 dort praktizietrte Flüchtlings- Push-Back-Politik Richtung Libyen für menschenrechtswidrig erklärte.

"Vorbild" Australien?

Insgesamt haftet dem Drittstaaen-Auslagerungsplänen der EU-Regierungschefs ein Asylpolitikverständnis an, das jenem ähnelt, welches derzeit in Australien herrscht. Dazu gehört auch die von Innenministerin Johann Mikl-Leitner unterstützte Idee, just in den krisengeschüttelten, von der IS bedrohten Nahoststaaten "Aufnahmelager" für Flüchtlinge zu errichten

In Australien werden Flüchtlingsboote im Rahmen geheimer Militäraktionen abgefangen, die Bootsinsassen auf abgelegene Inseln in Lager gebracht, in denen laut Beobachtern krass menschenrechtswidrige Zustände herrschen. Auch wenn Pläne, die in die gleiche Richtung weisen, in der Liste der EU-Regierungschefs nur als letzter Punkt vorkamen: Die europäische Zivilgesellschaft sowie vernünftige europäische Politiker sind dringend aufgerufen, derlei zu verhindern.