Neue Platte, neuer Look: Sie sei erwachsen geworden, sagt Lena Meyer-Landrut. Es war auch langsam Zeit.

Foto: Universal Music

"Jeder macht sich ein Bild von mir. Da habe ich selber angefangen zu überlegen, wie ich auf diese Menschen wirken möchte."

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Von wegen Bionade-Biedermeier. Das Musikstudio im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg macht den Eindruck einer Kriegsruine. Die Wände sind unverputzt, ein paar Sofas stehen herum - und Lena Meyer-Landrut steht auf der Bühne. Sie stellt ihr Album "Crystal Sky" vor, elektronische Popmusik, leicht feenhaft vorgetragen. Das hat so gar nichts mehr mit dem Eurovision-Tralala von "Satellite" zu tun.

Noch auffälliger ist die äußerliche Verwandlung der 24-jährigen Sängerin. Fünf Jahre nachdem sie ins Rampenlicht katapultiert wurde, steht nun nicht mehr das zierliche Mädchen von nebenan vor dem Publikum. Es ist eine junge Frau, die in Leggings und hohen Absatzschuhen ihre Weiblichkeit zelebriert. Lena, wie sie jeder kennt und nennt, zwitschert mal selbstvergessen am Mikrofon oder lehnt mal gedankenverloren an einem Barhocker.

Sie hat in London, Berlin und ihrer Heimatstadt Köln an dem Album gearbeitet. Es ist ihr insgesamt viertes, das erste seit drei Jahren. Nach dem Sieg beim Eurovision Song Contest und einem euphoriegeladenen Jahr trat sie 2011 noch einmal für Deutschland beim ESC an. Doch der Blick der Öffentlichkeit hatte sich verändert. Statt grenzenloser Bewunderung musste sie plötzlich mit Pfiffen und Buhrufen fertigwerden.

STANDARD: Lena, ist Ihre neue Platte eine Abkehr von der Sängerin, die wir mit "Satellite" kennengelernt haben?

Lena Meyer-Landrut: Ich will schon weiterhin Pop machen, der die Leute erreicht, und nicht am Ende verkopft im Keller spielen. Nur diesmal elektronischer, noch ausgefallener und meinen persönlichen Musikgeschmack reflektierend.

STANDARD: Sie haben mit dem Londoner Produzententeam Biffco zusammengearbeitet, das sonst für Kylie Minogue und Ellie Goulding produziert.

Meyer-Landrut: Dass so jemand Krasses zusagt, nur weil er die Songs geil findet. Das hat mich geehrt.

STANDARD: Neue Musik, neuer Look. Sie stehen nicht mehr in Jeans und T-Shirt, sondern in bedruckten Leggings und High Heels vor den Menschen. Was ist passiert?

Meyer-Landrut: Ganz einfach, ich bin älter geworden, mein Geschmack hat sich verändert. Das ist eine Entwicklung, die jedes 18- bis 23-jährige Mädchen durchmacht.

STANDARD: Schämen Sie sich für Ihren früheren Look?

Meyer-Landrut: Nein, ich habe noch heute Teile im Schrank, die ich vor fünf Jahren gut fand. Ein kleines schwarzes Kleid trage ich mittlerweile nicht mehr so oft, weil ich nach dem Eurovision Song Contest 2010 darauf reduziert wurde. Aber wenn ich ein echtes von Chanel hätte, würde ich es mit Stolz tragen.

STANDARD: Das hätten Sie nach Ihrem ESC-Sieg wohl nicht gesagt.

Meyer-Landrut: Mein Interesse für Mode war nicht so stark ausgeprägt. Das hat vielleicht mit dem Musikgeschäft zu tun. Jedes Mal, wenn ich in der Öffentlichkeit stehe, beobachten und beurteilen mich Menschen. Jeder macht sich ein Bild von mir. Da habe ich selber angefangen zu überlegen, wie ich auf diese Menschen wirken möchte.

STANDARD: Als Sie vor fünf Jahren den Eurovision Song Contest gewonnen haben, traten Sie betont unglamourös auf.

Meyer-Landrut: Zu der Zeit wollte ich das gar nicht: ein Image haben. Ich wollte mich präsentieren, wie ich mich wohlfühlte.

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Lena nach ihrem Sieg im Mai 2010.
Foto: reuters/strong

STANDARD: Der ESC gilt unter Spöttern alles andere als modisch. Nicht jeder trifft den richtigen Geschmack.

Meyer-Landrut: Oder anders gesagt: Etwa 80 Prozent der Klamotten sind totaler Schrott.

STANDARD: Was ist mit dem Auftritt von Conchita Wurst vergangenes Jahr im goldfarbenen Kleid?

Meyer-Landrut: Sie hat das Niveau definitiv gehoben.

STANDARD: Finden Sie sich stilbewusster als Conchita Wurst?

Meyer-Landrut: Sie hat einen anderen Stil als ich. Sie ist auf ihre Art modischer, weil sie die Muse von Gaultier ist. Sie hat fast immer lange Kleider an, sieht glamourös aus, eine andere Liga.

STANDARD: Weil Sie sich in langen Roben nicht wohlfühlen?

Meyer-Landrut: Auf Veranstaltungen trage ich schon einmal Kleider, aber nicht mit Strass. Wenn Frauen ein Kleid mit großem Schlitz, ohne Träger, voller Strass und Glitter anziehen, sorry, da finde ich die Outfits meist blöd. Ganz selten schafft es ein Promi, toll darin auszusehen.

STANDARD: Zum Beispiel?

Meyer-Landrut: Das Model Lena Gercke sieht immer super darin aus. Die Kleider auf dem roten Teppich in Hollywood hingegen finde ich problematisch. Nur ein Strasskleid bei den Oscars fand ich extrem gut. Emma Stone trug ein hellgrünes bodenlanges Kleid von Elie Saab. Ein Traum, das passte hervorragend zu ihren roten Haaren.

STANDARD: Solche Namen gingen Ihnen früher nicht so leicht von den Lippen.

Meyer-Landrut: Ich lese das inzwischen in Zeitschriften oder im Internet nach und bin die Erste, die nach den Oscars auf die Seiten der Glamourmagazine geht, sich die Kleider anguckt und die Outfits mit Sternchen bewertet - natürlich! Kleidervergleiche, "Hot or not", ich liebe das!

STANDARD: An der neuen Platte haben Sie auch in London gearbeitet. Hat die Stadt Sie beeinflusst?

Meyer-Landrut: Noch mehr vielleicht Berlin. Wenn ich in die Stadt komme, bin ich voll der Touri. Gehe zu den Hackeschen Höfen, in alle Läden, die wir in Köln nicht haben: All Saints, Acne, ich dreh durch. Ich würde mich anders kleiden, wenn ich in Berlin wohnen würde. Köln ist leider nicht so modetolerant.

STANDARD: Zu Ihrer Entwicklung zählt unter anderem eine Phase als Fan von Britney Spears.

Meyer-Landrut: Sie war lange die größte Sängerin für mich. Ihre erste Single "Hit Me Baby One More Time" habe ich zum ersten Mal in der Tanzschule in Hannover gehört. Da war ich acht, ich habe einen Modern-Jazz-Kurs belegt, Video-Clip-Dance hieß der damals. Mit meinen Freundinnen haben wir zu dem Lied getanzt. Seitdem war Britney eine treue Begleiterin meiner Kindheit und Jugend. Wir haben unseren Eltern unzählige Choreografien vorgetanzt.

STANDARD: Zu besonderen Feiertagen?

Meyer-Landrut: Das brauchte keinen Anlass. Wenn die Eltern uns nachmittags abgeholt haben, standen wir manchmal auf dem Bürgersteig und tanzten Britney-Songs nach. Unsere Mütter und Väter waren begeistert - na ja, mehr oder weniger.

STANDARD: Haben Sie sich das Leben als Britney-Clip vorgestellt?

Meyer-Landrut: Nein, gar nicht. Für mich war das eine unerreichbare Person, die Poplieder sang, Videos drehte, einen Film machte. Den wir uns natürlich angeguckt haben. Ich bin mit meiner damals besten Freundin Elisa ins Kino gegangen. Popcorn essen, am Schluss weinen, voll die Mädchenaktion.

STANDARD: Wie ist Ihr Verhältnis heute?

Meyer-Landrut: Ein wenig gebrochen. Das fing mit der Glatzenaktion vor ein paar Jahren an, als sie sich alle Haare abrasierte. Da wurde sie mir zu trashig.

STANDARD: Wer beeindruckt Sie heute?

Meyer-Landrut: Jemanden wie den Basketballspieler Dirk Nowitzki finde ich toll. Nicht als Mann, sondern als Menschen. Er ist auf dem Boden geblieben. Ich habe das Gefühl, er ist ein herzensguter Mensch, obwohl er in den USA ein krasser Megastar ist. Fast ein Gott, er gehört dort zu den 20 besten Sportlern, und wenn er redet, ist er ein ganz normaler Typ.

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Lena im Jahr 2011 bei ihrem zweiten Song-Contest-Auftritt.
Foto: reuters/fassbender

STANDARD: Nachdem Sie zum zweiten Mal am ESC teilgenommen hatten, mussten Sie negative Kommentare - auch auf Ihrer Facebook-Seite - über sich ergehen lassen.

Meyer-Landrut: Das darf man sich nicht alles durchlesen. Da lassen Menschen ihre Aggressionen im Internet ab. Ich lege keinen Wert auf eine Meinung, wenn jemand schreibt: Lena ist scheiße. Das filtere ich sofort aus.

STANDARD: Wann haben Sie das gelernt?

Meyer-Landrut: Das war schon immer so. Das könnte mir irgendjemand auch ins Gesicht sagen. Ist auch schon passiert. Da grüße ich freundlich, sage hallo und gehe dann weiter. Meine Mama hat einmal gesagt: Dem Teufel gibt man zwei Stückchen Zucker mehr.

STANDARD: Für manche, haben Sie gesagt, sind Sie "wie ein exotisches Tier, aber es muss nicht mehr angefasst und abfotografiert werden".

Meyer-Landrut: Die Menschen starren und glotzen. Auf dem Bürgeramt, in der Stadt oder bei Ikea.

STANDARD: Ist Anstarren besser als Anfassen?

Meyer-Landrut: Körperkontakt finde ich nicht gut. Da empfinde ich ein körperliches Unbehagen. Im Restaurant starren viele Menschen erst rüber, dann machen sie unauffällig das Handy an, drehen sich in die entgegensetzte Richtung, reden weiter und machen ein Foto. Das merke ich inzwischen.

STANDARD: Gehen Sie dann hin?

Meyer-Landrut: Ja, andauernd.

STANDARD: Wie reagieren die Menschen?

Meyer-Landrut: Die meisten kriegen ein Panikgefühl, als wären sie beim Schwarzfahren erwischt worden. Die werden ganz verlegen und entschuldigen sich. Ganz wenige sind uneinsichtig und behaupten: Nee, ich hab kein Foto gemacht. Dann streiten wir uns ein wenig, bis ich sage: Zeig mir mal dein Handy! Machen die zwar nicht, aber manche kommen nach dem Essen auf mich zu und entschuldigen sich dann doch. (Ulf Lippitz, Rondo, 8.5.2015)

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