Michael Enzinger ist neuer Präsident der Wiener Rechtsanwaltskammer.

Die undurchsichtige Causa Rachat Alijew kennt fast nur Verlierer. Einer der wenigen Gewinner ist Michael Enzinger. Hätte sich Stefan Prochaska, der Anwalt des kasachischen Ex-Botschafters, nicht in eine Schlammschlacht mit seinem Kollegen Gabriel Lansky verstrickt, dann wäre wohl er am Montag als neuer Präsident der Rechtsanwaltskammer Wien angetreten. Doch Prochaska trat von seiner Kandidatur für das Amt und seiner Funktion als Vizepräsident zurück; so blieb Enzinger als einziger Anwärter mit Kammererfahrung über. Er besiegte den Außenseiter Thomas Singer mit klarer Mehrheit.

Enzinger (55) ist in vieler Hinsicht der Gegenpol zu Prochaska: ein Vermittler und kein Polarisierer, ein Traditionalist in Bezug auf den Anwaltsstand und kein unbedingter Reformer. Sein Ziel sei es, sagt er, das in den letzten Jahren durch verschiedene Affären ramponierte Vertrauen in die Anwaltschaft wiederherzustellen.

Sein beruflicher Lebenslauf ist von großer Kontinuität geprägt. Er studierte Jus in Wien, nahm eine Assistentenstelle am Institut für Handels- und Wertpapierrecht an, wurde 1990 Anwalt und gründete gemeinsam mit Kollegen die Kanzlei Lattenmayer, Luks & Enzinger, wo er seither tätig ist. Sieben Partner decken dort heute die ganze Bandbreite des Wirtschaftsrechts ab und arbeiten - anders als die großen Wiener Rechtsfabriken - ohne eine Armee von Rechtsanwälten und Konzipienten. Seit 2001 lehrt Enzinger auch als Universitätsprofessor am Juridikum.

Im Spannungsfeld zwischen Großkanzleien und Einzelanwälten steht Enzinger in der Mitte. In seiner Kammertätigkeit habe er zu allen Fraktionen gute Kontakte gepflegt und versucht, Konflikte zu schlichten. Das tut er auch als Vorstand in mehreren Privatstiftungen und Schiedsrichter in privaten Streitverfahren. "Ich bin Waage im Sternbild" , beschreibt er seine Persönlichkeit. "In der Kammer ist man für 4000 Mitglieder verantwortlich, da muss man viele Interessen bündeln."

Enzinger, der mit allen konstruktiven politischen Kräften eine gute Gesprächsebene sucht, sieht sich auch politisch als neutral. Neben reinen Rechtsthemen will Enzinger in Zukunft auch öfter zu gesellschaftspolitischen Themen, für mehr Demokratie und Bürgerrechte Stellung beziehen.

Enzinger ist ledig und kinderlos. Seine größte Leidenschaft neben der Arbeit ist das Dressurreiten - auf einem temperamentvollen Hengst, der eine ruhige Hand benötigt. (Eric Frey, 6.5.2015)