London – Internationale und britische Pressekommentare befassen sich am Donnerstag mit der Unterhauswahl in Großbritannien.

"Libération" (Paris):

"Die Linke in Großbritannien hat festgestellt, dass die Arbeitslosigkeit auf Kosten der sozialen Gerechtigkeit zurückgegangen ist. Damit hat Labour-Chef Ed Miliband im Wahlkampf Punkte gewonnen und die Wiederwahl der Konservativen erschwert, auch wenn noch nichts entschieden ist. Dies ist auch die Herausforderung für alle europäischen Linken: Arbeitsplätze schaffen und gleichzeitig ein fortschrittliches soziales Modell fördern. Im Labour-Programm fehlt das Projekt einer Reform, die der liberalen Offensive für ein unsoziales Wachstum standhalten könnte. (Premierminister David) Cameron war erfolgreich, aber ungerecht. Wenn die Gerechtigkeit allerdings den Erfolg bremst, dann hat die Linke schon vorher verloren."

"Politiken" (Kopenhagen):

"Das Großbritannien, das heute zur Wahl geht, ist keine geeinte Nation, die an die Wahlurnen tritt, um einen neuen Anführer zu wählen. Es ist ein 'Disunited Kingdom' politischer Gruppierungen, die mit ihrem eigenen Selbstverständnis zuoberst auf der Tagesordnung zur Wahl gehen. Und es sind zwei große Parteien - Labour und die Konservativen -, die nicht mehr als nationale Parteien erscheinen."

"Dennik N" (Bratislava):

"Besonders interessant an den britischen Parlamentswahlen ist, wie unterschiedlich sie diesseits und jenseits des Ärmelkanals betrachtet werden. Die Briten selbst interessiert kaum, was für den Rest Europas die wichtigste Frage ist - nämlich, ob der Wahlausgang zu einem Referendum über die EU-Mitgliedschaft führen wird. Für die Briten stehen die noch immer anhaltende Wirtschaftskrise und aufgrund des Mehrheitswahlrechts spezifische lokale Themen im Vordergrund. Die EU ist für sie erst Thema einer nächsten Runde."

"Hospodarske noviny" (Prag):

"Die übrigen EU-Mitglieder kennen zwar bereits den Namen der neuen Prinzessin von Cambridge, aber sie wissen nicht, welche Regierung sie nach den Wahlen vom Donnerstag erwartet. Über die EU-Mitgliedschaft ist in der Wahlkampagne kaum diskutiert worden, dafür umso mehr über das Gesundheitssystem oder Studiengebühren. Es gab so etwas wie eine stillschweigende Vereinbarung zwischen den Konservativen und Labour, keine EU-Debatte zu eröffnen, von der die europhobe UKIP-Partei profitierten könnte. (...) Im Ausland ist ein möglicher 'Brexit' ein noch sensibleres Thema als ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone. Besonders Deutschland hat kein Interesse an einer Europäischen Union ohne Großbritannien und ist deshalb immer wieder bereit, London entgegenzukommen."

"Diena" (Riga):

"In Brüssel, Berlin, Paris und anderen Hauptstädten von EU-Staaten wird die heutige Parlamentswahl in Großbritannien mit verstärktem Interesse beobachtet. (...) Die große Unbekannte bei dieser Wahl ist, ob sich London nach der Abstimmung entscheidet, Schritte zu unternehmen, die die Zukunft Großbritanniens in der EU gefährden könnten. Es wird die am schwersten vorhersehbare Parlamentswahl in Großbritannien seit Jahrzehnten sein, weil schon lange klar ist, dass keine der beiden größten Parteien des Landes - die seit 2010 regierenden Konservativen und die oppositionelle Labour-Partei - einen derart überwältigenden Wahlsieg einfahren wird, um allein eine Regierung bilden zu können."

"Guardian" (London):

"Für die Wähler war dieser streng kontrollierte Wahlkampf sichtlich unbefriedigend. Es gab keine Konfrontation, und unzufriedene Bürger sind nicht zu Wort gekommen. Weil Cameron jede Gegenüberstellung blockierte, gab es nur eine richtige TV-Debatte. Mit sieben Teilnehmern hat die sehr viel weniger Wirkung gezeigt, als möglich gewesen wäre. Vor einer Woche konnten sich endlich die Wähler in einer BBC-Sendung äußern. Dabei wurden die schärfsten Angriffe gegen die Politiker ausgesprochen. Nun haben die Wähler endlich das letzte Wort. Unserer Meinung nach verdient es Labour, unterstützt zu werden, doch auch wenn sie anderer Meinung sind, so sollten die Bürger sich an der Wahl beteiligen." (APA, 7.5.2015)