Es ist kompliziert – zumindet das muss man der EU zugutehalten, wenn es um eine gemeinsame funktionierende Asyl- und Flüchtlingspolitik geht. Seit die Union mit den Römischen Verträgen des Jahres 1957 ihren konkreten Anfang nahm, wird in dieser Hinsicht mal mehr, mal weniger erfolgreich daran gefeilt. Am Mittwoch unternimmt die EU-Kommission einen erneuten Versuch, um diesem Ziel ein Stück näherzukommen, indem sie einen Entwurf für eine europäische Migrationsagenda (siehe unten) präsentieren wird. Darin enthalten soll unter anderem ein Quotensystem zur Aufteilung von Flüchtlingen in Europa sein. Ob diese Agenda aber tatsächlich Realität wird, ist angesichts der bisherigen Vorgehensweise der EU-Mitgliedsstaaten fraglich.

Chronologie der EU-Flüchtlingspolitik:

Mit den Römischen Verträgen wurden 1957 die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM) gegründet. Darauf basieren heute die meisten europäischen Politikagenden. Die Verträge enthielten Freiheiten für Arbeitnehmer und Dienstleistungen, womit die Migration innerhalb der Vertragsländer erleichtert wurde. Der Zugang für Menschen aus Drittstaaten blieb unerwähnt.

Relativ lange waren die Mitgliedsstaaten für die Bereiche Asyl und Migration alleine verantwortlich. Nur in Sachen Bekämpfung von grenzüberschreitender Kriminalität wurde kooperiert. In den 1980er und 1990er Jahren kam es zu einem Umdenken. Die Ursachen dafür: Um einen gemeinsamen Binnenmarkt zu schaffen, wurden mit dem Schengener Abkommen (Schengen I) 1985 die Grenzen zwischen den teilnehmenden Staaten beschlossen.

Abseits der wirtschaftlichen Vorteile sahen die Regierungschefs aber auch Sicherheitsrisiken, da man Zuwanderungsbewegungen nicht mehr gut kontrollieren könne. Zugleich führten politische Konflikte wie beispielsweise in Jugoslawien und dem Irak sowie wirtschaftliche Krisen zu einem starken Anstieg von Asylwerbern in Europa. Daher wurden Maßnahmen vereinbart, um die Politik in Sachen Zuwanderung zwischen den Mitgliedsstaaten anzugleichen und eine bessere Kooperation zwischen den nationalen Polizeibehörden zu ermöglichen.

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Im Vertrag von Maastricht (im Bild eine Kopie) wurde zum ersten Mal eine Zusammenarbeit in der Flüchtlingspolitik festgelegt.
Foto: EPA/MARCEL VAN HOORN

Dazu gehört unter anderem der Maastrichter Vertrag von 1993. Darin verpflichteten sich die Mitgliedsstaaten zum ersten Mal, bei der Flüchtlingspolitik zu kooperieren. Allerdings wurde nur die Visapolitik vergemeinschaftet, andere Bereiche wie der Flüchtlingsschutz blieben unter nationaler Verantwortung. In diesem Sinne trat 1995 Schengen II in Kraft und ergänzte Schengen I in Sachen gemeinsame Visaregelungen und Zuständigkeiten bei Asylverfahren.

Zwei Jahre später folgte das Dubliner Abkommen, dem zufolge das Land für einen Asylwerber zuständig ist, in dem er zuerst eingereist ist. Reist er illegal in ein anderes Mitgliedsland weiter, ist der Erststaat verpflichtet, den Asylwerber zurückzunehmen. Damit sollen mehrfache Asylanträge in verschiedenen Ländern und illegale Reisen innerhalb Europas unterbunden werden.

Mit dem Amsterdamer Vertrag wurden 1999 die Bereiche Asyl, Einwanderung und Sicherung der Außengrenzen als gemeinsamer Zuständigkeitsbereich deklariert. Außerdem sollte innerhalb von fünf Jahren ein gemeinsamer "Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" entstehen. Allerdings wurden auch einige "Stay in/Opt out"-Klauseln im Vertrag verankert, wodurch Mitgliedsstaaten die Möglichkeiten hatten, sich teilweise (Großbritannien und Irland) oder ganz (Dänemark) aus diesen Bestimmungen zurückzuziehen.

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Protest anlässlich des EU-Gipfels im finnischen Tampere im Oktober 1999.
Foto: REUTERS/Tor Wennstrom

Der Amsterdamer Vertrag sorgte für eine rechtliche Legitimierung einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik, praktische Details wurden im gleichen Jahr bei einem Gipfel im finnischen Tampere formuliert, für deren Realisierung eine Frist von fünf Jahren festgelegt wurde:

  • Auf Basis der Genfer Flüchtlingskonvention soll ein gemeinsames Asylsystem geschaffen werden.
  • In Zusammenarbeit unter anderem mit dem UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) sollen Bedingungen für die Genehmigung subsidiären Schutzes definiert werden.
  • Mittelfristig sollen Regeln für ein einheitliches Aslyverfahren entwickelt werden.
  • Ein Fingerabdrucksystem (Eurodac) soll Mehrfachanträge von Asylwerbern in verschiedenen europäischen Ländern verhindern.
  • Zur Bekämpfung von Flucht und Auswanderung soll mit den Herkunftsländern kooperiert werden, um dort die Lebensbedingungen zu verbessern.
  • Die Flüchtlingsströme in Richtung Europa sollen durch verschiedene Maßnahmen verhindert werden: Informationskampagnen in den Transit- und Herkunftsländern über legale Einreisemöglichkeiten, Zusammenarbeit mit diesen Ländern zur Rückführung von Flüchtlingen, Bekämpfung des "Schlepperwesens" und Intensivierung der Kooperation der nationalen Grenzkontrollbehörden.

Dublin II im März 2003 konkretisierte die Bestimmungen des ersten Dubliner Abkommens. Verfahrensschritte wurden verkürzt, um einen Asylwerber in den verantwortlichen Mitgliedsstaat zurückzuführen. Mithilfe von Eurodac sollten Fingerabdrücke rasch abgeglichen werden können, um die Zuständigkeit von Asylwerbern innerhalb weniger Stunden abzuklären.

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Mittels dem Fingerabdruck System Eurodac sollen Mehrfachanträge von Asylwerbern innerhalb der EU verhindert werden.
Foto: EPA/Hoslet

In dieser Zeit entwickelte sich der Begriff "Festung Europa" in der internationalen Berichterstattung, da es bei zahlreichen EU-Maßnahmen in der Asylpolitik vorwiegend um Abschottung vor Flüchtlingen ging. Verstärkt wurde dieser Eindruck durch das auf fünf Jahre ausgelegte Haager Programm vom November 2004, das offenbar durch die Terroranschläge des 11. September 2001 in den USA und die Zuganschläge in Madrid am 11. März 2004 geprägt wurde. Neben der Aufforderung an die Mitgliedsstaaten, biometrische Daten in Ausweisen zu speichern, wurde auch beschlossen, eine "Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen" (Frontex) zu bilden, um die EU-Außengrenzen effektiver zu schützen.

Nachfolger des Haager Programms wurde 2009 das Stockholmer Programm, das ebenfalls den Sicherheitsaspekt sowie den Kampf gegen illegale Einwanderung in den Mittelpunkt stellte.

Abseits der zahlreichen Sicherheitsbestimmungen gab es ausgiebige Diskussionen in Sachen Asylverfahren, die laut Tampere-Programm ja vereinheitlicht werden sollten. Allerdings konnte man sich in der Asylverfahrensrichtlinie – die mehrmals geändert wurde – nur auf die Mindestanforderungen einigen, unter anderem Rechtsberatung, das Recht auf persönliche Anhörung, Rechtsbeistand vor Gericht. Die Entscheidung über das Asylverfahren muss von unparteiischen und objektiven Individuen getroffen werden.

Enthalten ist in der Richtlinie außerdem die Möglichkeit, Asylanträge aus "sicheren" Dritt- und Herkunftsstaaten ohne Begründung abzulehnen. Neben einer Minimalliste können EU-Mitglieder eigenmächtig weiteren Staaten diesen Status geben.

Die großen Kritikpunkte der EU-Flüchtlingspolitik:

Neben den oben genannten Schritten der EU wurden noch weitere Beschlüsse gefasst, um ein einheitliches Asylsystem zu schaffen. Nur: Auch damit wurde das Ziel nicht erreicht. In vielen Bereichen waren die Mitgliedsstaaten nicht bereit, Kompetenzen abzugeben. In den Bereichen Asylverfahrensrichtlinie sowie Asylaufnahmerichtlinie konnte man sich nur auf Mindestanforderungen einigen. Und auch die werden nicht immer eingehalten: Griechenland zum Beispiel steht permanent in der Kritik, unter anderem durch UNHCR, weil es für Asylwerber zu wenig Unterkünfte gibt und die Asylverfahren überdurchschnittlich lange dauern.

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Grenzbeamte an der türkisch-bulgarischen EU-Außengrenze - dort wurde ein kilometerlanger Zaun errichtet.
Foto: AP/Valentina Petrova

Einen großen Kritikpunkt stellt jenes Thema dar, das man zusammenfassend auch folgendermaßen bezeichnen kann: Schutz vor Flüchtlingen statt Schutz für Flüchtlinge. Wie auch bei den Flüchtlingsdramen vor einigen Wochen im Mittelmeer mit Tausenden Toten konzentrierte sich die EU vor allem darauf, Schlepper zu bekämpfen, anstatt – wie von vielen NGOs gefordert – legale Wege nach Europa zu schaffen. Zumindest wurden aber die Mittel für die Seenotrettung aufgestockt.

Schließlich geht es um die faire Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU. Aufgrund der Dubliner Verordnung – seit Juli 2013 in einer dritten Version in Kraft – sind vor allem die Mittelmeerländer von den Flüchtlingsströmen betroffen. Durch die Überbelastung sind dort auch die Lebensbedingungen für Asylwerber dementsprechend mangelhaft, außerdem sei dort laut Hilfsorganisationen die Chance auf einen positiven Asylbescheid geringer, da es aufgrund Personalmangels regelmäßig zu nicht fairen Asylverfahren komme.

Die möglichen Vorschläge der EU-Kommission:

Bereits angekündigt wurde ein Quotensystem, um die Flüchtlinge auf die EU-Länder zu verteilen. Damit wäre wohl das Dubliner Abkommen ausgehebelt. Eine Rolle bei der Quotenberechnung sollen Bevölkerungszahl, Bruttoinlandsprodukt, Arbeitslosenrate und die Zahl der bisherigen Asylwerber der einzelnen EU-Mitglieder spielen. Die genaue Vorgehensweise ist aber bislang genausowenig bekannt wie der heikle Punkt, wie verbindlich diese Quote sein soll.

So oder so, bereits im Vorfeld gab es Widerstand gegen eine Quotenlösung. Unter anderem Großbritannien, Tschechien, die Slowakei und Ungarn sprachen sich dagegen aus und forderten stattdessen mehr Grenzsicherung und einen verstärkten Kampf gegen Schlepper. Auch die drei baltischen Staaten sollen gegen Quoten sein.

Apropos Großbritannien: Aufgrund der "Stay in/Opt out"-Klauseln kann das Königreich genauso wie Irland die Beteiligung an einer möglichen Flüchtlingsquote verweigern. Die beiden Länder haben das Recht, bei Themen der Justiz und Inneren Angelegenheiten innerhalb von drei Monaten zu entscheiden, ob sie teilnehmen wollen oder nicht. Dänemark ist zur Gänze von dem Bereich ausgenommen.

Auf der anderen Seite gibt es Länder wie Deutschland, Italien, Griechenland, Frankreich, Malta, Österreich und Schweden, die eine entsprechende Lösung unterstützen, weil sie derzeit überdurchschnittlich viele Asylwerber aufnehmen.

Abgesehen davon sollen auch neue Regeln für legale EU-Zuwanderung präsentiert werden. Dabei soll auch die EU-Bluecard eine Rolle spielen. Das ist ein Aufenthaltstitel für – vor allem hochqualifizierte – Angehörige von Drittstaaten zum Zweck der Erwerbstätigkeit.

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Dimitris Avramopoulos ist EU-Kommissar für Migration, Inneres und Bürgerschaft. Am Mittwoch wird er die europäische Migrationsagenda präsentieren.
Foto: EPA/OLIVIER HOSLET

Schließlich soll Medienberichten zufolge auch der Aufbau von Asylzentren in Afrika vorgeschlagen werden sowie ein Programm zur freiwilligen Rückkehr von illegal eingereisten Flüchtlingen.

Wenn EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulus am Mittwoch die "Europäische Agenda für Migration" offiziell vorstellt, wird er viele offene Fragen beantworten. Ob es aber auch tatsächlich zu einer Umsetzung kommen wird, bleibt auch dann noch ungeklärt. (Kim Son Hoang, Michael Bauer, 13.5.2015)