Die Spurensuche in dem Streit zwischen Philip Morris und Uruguay beginnt bei einer Anwältin in Washington D.C. - Blonde Haare, freundlicher Blick, Mitte 30. Clara Brillembourg empfängt Besucher in einem Konferenzraum im 12. Stock der Anwaltskanzlei Foley Hoag. Die Szenerie wirkt, als hätte sie Thriller-Autor John Grisham erfunden.

Es ist ein Freitagnachmittag im Frühling. Draußen vor dem Büro scheint ganz Washington zu blühen. Auf der K-Street wimmelt es von Anzugträgern auf dem Weg ins Wochenende. Drinnen bei Brillembourg ist es kahl und kühl. Im gläsernen Konferenzraum steht ein Marmortisch. Die einzige Dekoration ist weit und breit eine Ministatue der Hindu-Gottheit Shiva.

Die Regierung Uruguays hat die Juristin engagiert, um eine Millionenklage des Tabakkonzerns abzuwehren. Das Gespräch beginnt mit einer Überraschung. "Sie müssen wissen, Philip Morris geht es nicht um Geld", sagt Brillembourg, "der Konzern will ein Exempel statuieren."

Ein Satz, der Wellen bis nach Europa schlägt. Schon 2010 brachte Philip Morris Klage gegen Uruguay beim Schiedsgericht der Weltbank in Washington ein. Der Vorwurf: Mit seinen Antirauchergesetzen habe das Land den Tabakkonzern indirekt enteignet. Dieser Ansatz ist neu, denn noch nie wurde eine gesundheitspolitische Maßnahme eines Staates als Enteignung eingestuft. In Europa entfaltet der Fall aber noch aus einem anderen Grund Brisanz.

Finanziell geht es um "Peanuts"

Die EU-Kommission kämpft derzeit um ihr Freihandelsabkommen TTIP mit den USA. Kritiker laufen Sturm gegen den Deal, weil mit dem Vertrag Investoren das Recht bekommen sollen, Staaten vor Schiedsgerichten zu verklagen. Die Verfahren vor diesen Gerichten sind oft nicht öffentlich. Berufungsmöglichkeiten gibt es nicht. Die Entscheidungen fällen meist Anwälte, die ad hoc berufen werden, und nicht Richter.

Die Kommission hat diese Woche einen Entwurf präsentiert, um das System zu verbessern. An den Sondergerichten bei TTIP will die EU grundsätzlich festhalten.

Uruguay zählt zu den Vorreitern bei Antirauchergesetzen.

Auch im Fall Philip Morris dient ein Investitionsschutzabkommen als Basis für das Verfahren. Der Tabakkonzern beruft sich auf ein Abkommen zwischen Uruguay und der Schweiz aus dem Jahr 1988. Das ist gedeckt, weil der Firmensitz von Philip Morris International in Lausanne ist. Politisch bringt der Fall die EU aber unter Druck, weil der Verdacht im Raum steht, da wolle ein Tabakgigant ein Schwellenland auspressen.

Doch so einfach ist es nicht. 25 Millionen Dollar Schadenersatz verlangt Philip Morris. "Peanuts", sagt Brillembourg, wenn man bedenke, dass es bei Konzernklagen dieser Art oft um Milliarden gehe.

Dabei ist der Aufwand für den Fall enorm. Nach Klagseinbringung wurde jahrelang darüber gestritten, ob Philip Morris ein Investor ist. Die Argumentation der Anwälte bei Foley Hoag war, dass ein Investment nur vorliege, wenn dies zu mehr Wachstum führt. Philip Morris dagegen habe nur einen Tabakkonzern (Abal) in Uruguay gekauft, um todbringende Produkte wie Marlboro besser vertreiben zu können. Das Argument wurde nach Millionen an Anwaltskosten vom Gericht abgewiesen.

In Schiedsverfahren tragen oft die Parteien ihre Kosten selbst, sogar wenn sie gewinnen. Also warum tut sich Philip Morris den Aufwand an für "Peanuts"?

Die Suche nach Antworten führt von Washington nach Genf zu Benn McGrady. Der Australier arbeitet für die Weltgesundheitsorganisation WHO als Jurist. "In den vergangenen Jahren hat der Kampf der WHO gegen den Tabakkonsum einige Erfolge gefeiert", beginnt McGrady seine Erzählung.

So ist 2005 die WHO-Tabakkonvention in Kraft getreten. Diese internationale Vereinbarung hat die Zigarettenindustrie an einem wunden Punkt erwischt. Die Konvention belegt Zigarettenproduzenten mit einem Werbeverbot. Alle Formen von Werbung und Promotion sollen gebannt werden.

168 Staaten haben die Konvention unterzeichnet. Laut WHO halten sich zwei Drittel der Länder an die Vorgaben. Tendenz steigend. Tabakwerbung in TV und Radio könnte weltweit also bald verschwinden.

Eine Lücke ist geblieben: Zigarettenschachteln. Die Packungen sind für Tabakfirmen die wichtigste verbliebene Möglichkeit, um ihre Produkte zu präsentieren. "Eine Zigarettenpackung ist einzigartig, weil der Konsument sie den ganzen Tag mit sich herumträgt", schrieb der Tabakdesigner John Digianni einmal. "Die Schachtel wird Teil der Kleidung."

Doch es geht um mehr. Eine Strategie der Tabakindustrie ist es, Konsumenten zu suggerieren, dass manche Zigaretten weniger schädlich seien als andere, sagen Experten. Ein Kunde soll, wenn er etwas für seine Gesundheit tun will, nicht aufhören zu rauchen, sondern zu leichteren Marken greifen. Weil der Ausdruck "light" international geächtet ist, sollen helle Farben und das Design die Botschaft der Leichtigkeit weiter an den Raucher übermitteln.

Der Onkologe als Präsident

2009 hat Uruguay die damals strengsten Vorschriften für Zigarettenpackungen erlassen. Eine Verordnung legte fest, dass auf jeder Verpackung Schockbilder gezeigt werden müssen. Etwa ein Mann, der durch ein Tracheostoma, eine Luftröhrenöffnung Rauch ausbläst. Die Bilder sollten 80 Prozent der Packung abdecken - in Österreich sind die schriftlichen Warnhinweise nicht mal halb so groß. Um den Trick mit "Light" zu verhindern, wurde festgelegt, dass unter einem Namen nur ein Produkt verkauft werden kann. Philip Morris musste mehrere Marken, etwa Marlboro Gold, vom Markt nehmen.

Warum Uruguay als Vorreiter agierte? Weil fast jeder dritte Mann und jede fünfte Frau dort rauchen. Eng verbunden mit den Gesetzen ist der Name Tabaré Vazquez. Der Linkspolitiker war von 2005 bis 2010 Präsident Uruguays (heute ist er es wieder). Vazquez war Onkologe und hat Vater, Mutter und Schwester an Krebs verloren, weshalb ihm das Thema wichtig ist.

An dieser Stelle würde man gerne wissen, wie Philip Morris den Fall sieht. Nach mehreren Nachfragen in der Zentrale in Lausanne meldet sich Stefan Pinter von der Geschäftsführung in Österreich. Rauchen sei gesundheitsschädlich, und Philip Morris unterstütze, dass darauf deutlich hingewiesen wird, sagt der Manager. Doch dass man in Uruguay viele Produkte ganz vom Markt nehmen musste, gehe zu weit und sei eine Markenschädigung. Verschiedene Sorten sollen dem Kunden die Wahl je nach seinem Geschmack ermöglichen. "Wir behaupten nicht, dass eine Marke weniger schädlich ist als die andere."

Völkerrecht hat Vorrang

Fakt ist, dass dem Trend in Uruguay inzwischen viele Länder folgen. In Thailand und Kanada wurden sogar strengere Verpackungsvorschriften erlassen. Am striktesten sind sie in Australien.

Philip Morris hat wegen Australien ebenfalls ein Schiedsgericht angerufen. Doch dieser Fall ist anders: Industrieländer können ein internationales Verfahren finanzieren. Für ärmere Staaten ist das schwierig. Uruguay mit seinen dreieinhalb Millionen Einwohnern ist kein Entwicklungsland. Aber die Wirtschaftsleistung pro Kopf beträgt ein Drittel jener in Österreich. "In Afrika und Asien verfehlt die Causa nicht ihre warnende Wirkung", sagt WHO-Experte McGrady.

Bietet ein Schiedsgericht auch juristisch Vorteile? Diese Frage führt zum Abschluss nach München. Dort arbeitet der Rechtsanwalt Klaus Sachs. Er ist selbst öfter als Richter in Schiedsverfahren tätig. Sachs gilt als kritischer Kenner der Materie.

Die drei Juristen, die im Fall Philip Morris entscheiden, werden sich wie bei solchen Streitigkeiten üblich in erster Linie auf den völkerrechtlichen Investitionsvertrag stützen, sagt Sachs. "Das nationale Recht ist nur sekundär zu betrachten." Im Abkommen zwischen Uruguay und der Schweiz finden sich nur allgemeine Bestimmungen, wonach etwa Investoren "fair" behandelt werden müssen. Das Ringen um einen schwammigen Begriff könnte also am Ende den Vorreiterprozess über die öffentliche Gesundheit entscheiden.

Die Anwältin Brillembourg zeigt sich zuversichtlich. Sie ist bereit im Oktober, wenn die entscheidende Verhandlung ansteht, zahlreiche Zeugen, Ärzte und WHO-Experten, zu laden. Die EU-Kommission wird die Schlussverhandlung genau beobachten. Bleibt für sie zu hoffen, dass das Tribunal nicht geheim tagt. In Schiedsverfahren vor der Weltbank reicht der Antrag einer Partei, um die Öffentlichkeit auszuschließen. (András Szigetvari, DER STANDARD, 9.5.2015)