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Kim Jong-un und das tägliche Brot.

Foto: APA/EPA/KCNA

Wenn Kim Jong-un mal wieder für ein paar Wochen von der Bildoberfläche verschwinden sollte, dann werden die Aufträge zuverlässiger eintrudeln als eingeschriebene Briefe der deutschen Post. Redaktionen werden Analysen über einen bevorstehender Coup bestellen und spekulative Interviews über innere Machtgerangel mit Handkuss nehmen. Dass der nordkoreanische Diktator möglicherweise nur gerade seine Trinkexzesse auskuriert, möchte dann niemand hören. Nach ein paar Wochen ist all die Hysterie ohnehin nur mehr Schnee von gestern.

Für freie Journalisten in Seoul ist der Festland-Nachbar im Norden eine ziemliche Goldgrube. Atomtests, Drohgebärden und skurrile Frisuren: Ein bisserl Kim geht immer.

Ergattert man einen nordkoreanischen Flüchtling, der von seinem früheren Leben erzählt, als er sich noch mit einer Schüssel Maisbrühe durch den Tag schlagen musste, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion nach China geflüchtet ist und dazu noch einen Onkel in der Partei kennt, dann ist das garantiert einen Seitenaufmacher wert – mindestens.

Und doch ist das noch nichts im Vergleich zu den konservativen Hardlinern, die Luftballons über die Demarkationslinie steigen lassen wollen - prall gefüllt mit Hollywood-Blockbustern - und vor den Kameras der Reporter eine Rangelei mit den Polizisten provozieren werden: Das lässt sich bestimmt als Titelthema verkaufen, Doppelseite in Hochglanzoptik und Fotostrecke inklusive.

Manchmal ist es schwierig, sich als Korea-Korrespondent gegen den Zynismus zu wappnen, den die eigene Arbeit unweigerlich mit sich bringt. Mittlerweile gibt es immerhin vier deutschsprachige Kollegen in der südkoreanischen Hauptstadt, dazu Reporter aus Frankreich, Spanien, den Niederlanden und dutzende Amerikaner. Im Foreign Press Center, einem Großraumbüro für ausländische Journalisten im Herzen von Seoul, ächzen sie regelmäßig über die Zwänge ihres Arbeitsalltags.

Die meisten von ihnen sind schließlich nach Seoul gezogen, um Einblicke in die geheime Geschäftswelt südkoreanischer Konglomerate zu erhaschen, die neuesten Technik-Trends innerhalb der internetaffinen Bevölkerung auf die Schliche zu kommen und von der faszinierenden Popkultur zu berichten. Wie gerne würden sie öfter vom allgegenwärtigen Eskapismus erzählen, den erdrückenden Leistungsdruck im Bildungssystem und dem Lebensgefühl in dieser 10 Millionen Metropole, die niemals zu schlafen scheint, aber immer unter Strom steht. Stattdessen aber liefern sie allzu oft das tägliche Kim-Unser.

Im Wochentakt werden spektakuläre Enthüllungen veröffentlicht, sich widersprechende Exklusivmeldungen und weit hergeholte Spekulationen. Die großen südkoreanischen Tageszeitungen beziehen sich in ihrer Nordkorea-Berichterstattung auf „anonyme Quellen“, die zwar niemand überprüfen kann, doch innerhalb weniger Stunden von Redaktionen über den ganzen Globus übernommen werden. Touristische Schnappschüsse werden selbst von Qualitätszeitungen als „seltene Einblicke“ angepriesen, und in neun von zehn Überschriften ist vom „abgeschottetsten Land der Welt“ die Rede, vom „irren Schurkenstaat“ oder der „letzten Festung des Kommunismus“.

Alle paar Tage meldet sich ein neuer Analyst zu Wort, der den baldigen Kollaps des Kim-Regimes hervorsagt, auch wenn die meisten solcher Propheten bereits von ebenjenem überlebt wurden. Nachdem Nordkorea neue Wirtschaftszahlen veröffentlicht, deuten Leitartikler den jüngsten Aufschwung als klares Zeichen, dass die Reformen des Staates endlich greifen. Mindestens ebenso viele schreiben genau das Gegenteil. Und nur wenige Tage später melden erste Skeptiker berechtigte Zweifel an, dass die veröffentlichten Statistiken ohnehin gefälscht sind. Der Nordkorea-Hokuspokus ist von Zeit zu Zeit ziemlich ermüdend.

Umso mehr hoffe ich, dass Ihnen dieser Blog einige Facetten über das Land und seine Leute näher bringen konnte, die Sie möglicherweise überrascht, zum Nachdenken angeregt oder zumindest unterhalten haben. Es war mir eine Freude. (Fabian Kretschmer, 9.5.2015)