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Wessen BMI von den medizinischen Empfehlungen abweicht, hat eine geringere Wahrscheinlichkeit, wegen Delikten gegen Leib und Leben inhaftiert zu werden.

Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Wien - Wiener Wissenschafter konnten zeigen, dass Unter- und Übergewichtige in Österreich viel seltener wegen Gewaltdelikten ins Gefängnis kommen. Die Studie ist vor kurzem im "Journal of Forensic Sciences" (Journal der amerikanischen Gesellschaft für Gerichtsmedizin) erschienen. Cem Ekmekcioglu vom Institut für Umwelthygiene der MedUni Wien und seine Co-Autoren stellen dabei im Titel ihre Frage: "Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Body Mass Index und Gewalttätigkeit gegenüber Personen?"

Offenbar, so die Ergebnisse der Wissenschafter. Sie analysierten die ihnen von den Justizbehörden bei Haftantritt erhobenen und anonymisierten Daten hinsichtlich des Körpergewichts von 74.809 Gefängnisinsassen in Österreich. "Ausgeschieden haben wir Frauen, ebenso Inhaftierte unter 18 und über 55 Jahren. Insgesamt konnten wir dann die Body-Mass-Index-Daten von 43.992 Personen für unsere Studie verwenden", sagte Ekmekcioglu im Gespräch mit der APA.

Inhaftierungen sinken mit Abweichung von Normgewicht

Kategorisiert wurde nach den Haftgründen: Delikte gegen Leib und Leben, Freiheitsentziehung, Drogendelikte, Raub, Diebstahl, Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Minderjährigen. Die zweite Einteilung erfolgte nach den BMI-Werten: untergewichtig (BMI kleiner 18,5), normalgewichtig (BMI 18,5 bis 24,9), übergewichtig (BMI 25 bis 29,9), adipös (BMI 30 bis 34,9) und morbid adipös (BMI größer 35).

Die Wissenschafter untersuchten dann, mit welcher Wahrscheinlichkeit die Angehörigen der verschiedenen Gewichtsklassen wegen der einzelnen Delikte in österreichische Gefängnisse kamen. Normalgewicht (BMI 18,5 bis 24,9) wurde mit der "normalen" Wahrscheinlichkeit (Faktor 1) "gewichtet". "Deutliche Unterschiede gab es unter anderem bei den Inhaftierten wegen Verbrechen gegen Leib und Leben", sagte Ekmekcioglu.

So haben Untergewichtige ein um 40 Prozent geringeres Risiko, wegen solcher Delikte in Haft zu kommen. Mit Übergewicht bis hin zu morbider Adipositas (BMI 25 bis 29,9; 30 bis 34,9 und schließlich über 35) sank die Inhaftierungshäufigkeit um 13 Prozent bei den Übergewichtigen, bei den Adipösen jeglicher Gewichtsklasse (BMI 30 bis 34,9 und über 35) um 40 beziehungsweise 42 Prozent.

Frage nach Ursache nicht eindeutig geklärt

Ausgenommen die Untergewichtigen waren die Ergebnisse ähnlich bei den Inhaftierten wegen Suchtgiftdelikten, Delikten gegen die persönliche Freiheit, wegen Raubes und Diebstahls. Wegen Raubes Inhaftierte waren bei den Unter- und Normalgewichtigen faktisch gleich häufig vertreten, Übergewichtige kamen deshalb schon um 30 Prozent seltener ins Gefängnis, Adipöse um 53 Prozent seltener und morbid Adipöse um 70 Prozent seltener. In etwa gleich war das Risiko über die fünf BMI-Klassen hinweg bei den wegen Missbrauchs von Minderjährigen Inhaftierten.

Die Frage nach den Ursachen ist damit nicht eindeutig geklärt. "Es handelt sich um eine Beobachtungsstudie, die keine Kausalität erklären kann. Es gibt aber eine Hypothese, wonach Übergewichtige einen höheren Serotoninspiegel im Gehirn aufweisen. Adipöse Männer haben auch relativ häufig niedrigere Testosteronspiegel im Blut", stellte Ekmekcioglu fest. Klar ist, dass Adipöse beziehungsweise morbid Adipöse wegen ihrer körperlichen Verfassung für bestimmte Gewaltdelikte seltener infrage kommen.

Interessant, so der Wiener Wissenschafter, wäre es, wenn man eine ähnliche Untersuchung mit den Daten von Häftlingen im Alter bis zu 18 Jahren durchführen könnte. Möglicherweise spielen bei jugendlichen Straftätern nämlich auch noch viele andere Faktoren mit. (APA, 11.5.2015)