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Selfie mit Kim Kardashian. Doch deshalb muss man sich noch nicht dafür interessieren, mit dem Star zu plaudern.

Foto: AP/Mal Fairclough

"Eingebettet in Prozeduren der Selbstüberwachung und Selbstkontrolle", sieht der Medienwissenschafter Ramón Reichert die Selfies, wie wir sie aus Social-Media-Kanälen kennen. Er sprach bei der interdisziplinären Ringvorlesung zu Wissen und Geschlecht der Universität für Musik und darstellende Kunst letzte Woche zu "Selfies und Gender". Seine These: Selfies funktionierten immer schon unter zwei Aspekten – als Medien der Selbstdarstellung und als Teil der sozialen Kommunikation. Als "Kulturtechniken" unterlägen sie bestimmten gesellschaftlichen, aber auch technischen Bedingungen.

Die Geschichte des (Selbst-)Porträts sei eine lange, neu der Aspekt, dass "jede ihr Bild sofort, jetzt, immer einer globalen Öffentlichkeit zugänglich" machen kann. Gerade jugendliche Identitätsentwürfe seien sehr fragil und wechselten rasch auf der Suche nach Anerkennung. Dies schaffe "eine Marktsituation der permanenten Beobachtung durch die anderen". Das "Bodyimage", also die Vorstellung und Einstellung zum eigenen Körper, werde in den sozialen Medien ausverhandelt und das nicht nur einmal, sondern permanent. Dies sei einem "Blickregime" unterworfen, das die gesellschaftlichen Normen und Schönheitsideale verkörpere.

Kritik an Oberflächlichkeit

Mit dem Jahr 2007, als das "Time Magazine" mit "Person of the year: YOU" titelte, ortet Reichert einen Umbruch in den sozialen Medien. Aber von dem "euphorisch- emanzipatorischen Ansatz", der jeder Einzelnen die Möglichkeit zu Bedeutung und Mitsprache eingeräumt habe, sei nicht viel geblieben. "Wir befinden uns in einer Phase der Ernüchterung", so seine Einschätzung. Was gerade jetzt passiere, sei eine "Moralisierung der Generation Me". Die Jugend werde dafür kritisiert, nur an sich selbst interessiert zu sein, und dies fast immer anhand "weiblicher Allegorisierung".

Er bringt dafür einige Beispiele: Im Youtube-Video "Are you Kirsten Dunst" werde die Oberflächlichkeit von TaggerInnen kritisiert, die nur daran interessiert seien, ein Foto von sich mit dem Star zu posten. Auf das Angebot der Schauspielerin, mit ihr zu sprechen, gehen die beiden jungen Frauen im Video erst gar nicht ein.

Eduardo Ruiz

Beispiel Nummer zwei: Viele Jugendliche, auch männliche, machen Selfies in Auschwitz, aber der "Shitstorm" – wie zuletzt im Sommer 2014 – ergießt sich über "Princess Breanna", eine junge Amerikanerin. "Die Gegenprobe", so Reichert, sei leicht gemacht: Auch vom 9/11-Memorial fänden sich zig derartiger fragwürdiger Selbstporträts. Auffällig sei, dass "Unkeuschheit, Eitelkeit und Stolz" nahezu immer an weiblichen Beispielen verhandelt würden.

Verweigerung mit Tixo

Dies stünde in einer langen, kunsthistorischen Tradition, der der "Vanitas". Hierbei betrachte sich die schöne, junge Frau selbstverliebt im Spiegel. Das Handy übernehme diese "Spiegelfunktion" in einem "moralisierenden, homogenisierenden Diskurs". In diesem gehe es um Tugend, Ermahnung und um eine "Abwertungsstrategie". Würden in Ausnahmefällen mal männliche User dargestellt, dann oft umringt von Frauen, also "als Hahn im Korb". Er nennt diese spezielle Art, die nur so tut, als wäre sie Selbstinszenierung, "Hybridselfie".

Aber auch eine andere, neue Art von Selfies bringt er ins Spiel, die das Medium kritisch hinterfragen: die sogenannten "Sellotape Selfies", bei denen sich die ProtagonistInnen mithilfe von Tixo unkenntlich machen. Diese kritische künstlerische Praxis hätten schon Gerhard Richter (1966), Al Hansen (1979) und Douglas Gordon (1996) vorgemacht. Ob diese Art der Verweigerungshaltung schon das Ende der Selfie-Ära ankündigt, lässt er offen. (Tanja Paar, 12.5.2015)