Gefährliche Annäherung: Die namenlose Heldin aus Ana Lily Amirpours Vampirdrama "A Girl Walks Home Alone at Night" beißt gerne zu, wenn sich jemand unziemlich verhält.


Foto: Thimfilm

Wien - Mitten in der Nacht schleicht die namenlose Heldin durch die menschenleeren Straßen von Bad City. In ihrem Tschador, aus dem nur das blasse, traurige Gesicht herausleuchtet, wirkt sie verloren, einsam und auch unheimlich. Einmal schwebt sie tatsächlich wie ein Geist über die Fahrbahn, um am Ende ein gut unterm Rock verstecktes Skateboard am Gehsteig abzustellen. Sie spricht nie viel. Sie heftet sich an Passanten ohne ersichtlichen Grund, bis sie - nicht nur für diese unvermittelt - ihre spitzen Eckzähne entblößt.

Eine Vampirin (Sheila Vand) wie in Ana Lily Amirpours A Girl Walks Home Alone at Night hat man noch nie gesehen. Die US-iranische Regisseurin hat in ihrem Debüt eine fantastische Welt erschaffen, die sich aus Versatzstücke aus diversen Kulturen zusammensetzt. Obwohl in einem in kontrastreichem Schwarzweiß gefilmten Parallelreich angesiedelt, in dem sich ein nostalgischer Glamour der 1950er-Jahre bewahrt hat, kann man den Film durchaus als Parabel auf iranische Verhältnisse verstehen: nicht nur, weil alle Darsteller Farsi sprechen, sondern weil Amirpour auch ganz offen mit dem Bild der Frau als (verhüllter) Rächerin spielt.

Jugendliche Außenseiter

Das Schöne an A Girl Walks Home Alone at Night ist jedoch, dass solche Verweise nicht als aufdringliche Regieidee daherkommen, sondern sich in ein stilistisch erstaunlich kohärentes Gesamtbild fügen. Als iranisches Vampir-Romantikdrama mag der Film der erste seiner Art sein, die popkulturellen Vorbilder - von Sin City über Near Dark und frühe Jim-Jarmusch-Filme bis zu Frances Ford Coppolas Rumble Fish - sind allerdings recht offensichtlich. Amirpour verquickt sie mit einer spezifischen exiliranischen Sensibilität für Außenseitertum: Das universelle Gefühl einer jugendlichen Deplatziertheit erhält eine kulturelle Färbung, ohne dass die Feinde ganz konkret ausgemalt würden.

So steht auch nicht die Gier nach Blut im Mittelpunkt des Films, sondern ein melancholischer Zustand des Ausgeschlossenseins. Arash (Arash Marandi), ein nach dem Vorbild James Deans entworfener Mann mit drogenabhängigem Vater, der mit seinem Ford Thunderbird durch den Ort kurvt, sieht in der Heldin nicht die Gefahr, sondern eine Gleichgesinnte. In einer von Amirpour genüsslich langsam zelebrierten Szene kommen sich die beiden näher - möglicher Tod und romantische Erfüllung halten momentan eine Balance: er ein verkleideter Dracula, sie ein richtiger Vampir.

Solche Schwebezustände, welche die Figuren in einem Pathos der Coolness gleichsam einfrieren, kennzeichnen den Film insgesamt. Mit einem Soundtrack, der vom lokal eingefärbten Folkrock der iranischen Band Radio Tehran bis zum Post-Punk von White Lies reicht, akzentuiert Amirpour ihre ungewöhnliche Neudeutung des Genres stimmig. Nicht der Fluch des ewigen Lebens wiegt hier so schwer, sondern die Sehnsucht nach irdischer Erfüllung. (Dominik Kamalzadeh, 12.5.2015)