Der überraschende Wahlsieg der britischen Konservativen unter David Cameron bestätigt die Feststellung des britischen Historikers A. J. P. Taylor in seiner Geschichte Englands 1914-1945 (London, 1965): "Es scheint, dass die Staatsmänner nichts richtig machen können, wenn die Wirtschaft nicht funktioniert, und nichts Schlechtes, wenn es der Wirtschaft gut geht." Die meisten Beobachter bezeichnen den Wirtschaftsaufschwung als den entscheidenden Faktor: das höchste Wirtschaftswachstum in der westlichen Welt, zwei Millionen neue Arbeitsplätze, sinkende Arbeitslosigkeit, ein günstiges Klima für Investitionen nicht zuletzt infolge des Schuldenabbaus durch einen strikten Sparkurs.

Auch wenn das Wachstum nicht in allen Schichten der Gesellschaft spürbar geworden ist, erwies sich die Angst vor der fehlenden ökonomischen Kompetenz des bis zuletzt nicht überzeugend wirkenden Labour-Herausforderers Ed Miliband als stärkste taktische Waffe des auch nicht gerade rasend beliebten Premierministers in dem von innenpolitischen und sozialen Themen geprägten Wahlkampf.

Der Erdrutschsieg der schottischen Nationalisten (SNP) trug durch die massiven Verluste Labours in Schottand zur unerwarteten absoluten Mehrheit der Tories bei. Trotz der Beunruhigung wegen einer möglichen Abspaltung Schottlands stiegen die Aktienkurse nach dem Sieg Camerons; auch das Pfund wertete zunächst deutlich auf. Infolge des Mehrheitswahlrechts haben die fast vier Millionen Wähler der Unabhängigkeitspartei Ukip nur einen einzigen Abgeordneten in Westminster, während die 1,5 Millionen SNP-Wähler durch 56 Abgeordnete vertreten sind.

Der trügerische Schein der klaren Mehrheitsverhältnisse durch das Debakel von Labour und der bisherigen Koalitionspartei, den europafreundlichen Liberaldemokraten, darf aber nicht über die Sprengkraft der Frage hinwegtäuschen, die im Wahlkampf kaum eine Rolle gespielt hat: das für 2017 von Cameron versprochene Referendum über den EU-Austritt.

Das Gespenst eines von der EU isolierten "Little England" ohne ein europafreundliches und nach einer neuerlichen Volksabstimmung abgespaltenes Schottland geht bereits in der europäischen Publizistik um. Im Laufe der Zeit, die ich als Financial Times-Korrespondent in Wien hautnah mitverfolgt habe, wechselten in Großbritannien Befürworter und Gegner, konservative und Labour- Regierungen ihre Haltung nach dem Veto de Gaulles, vor allem aufgrund von innenpolitischen Wahlkonstellationen.

Damals gab es aber zwei herausragende Herzenseuropäer: Edward Heath, Premier 1970-74, der sein Land mit großem Engagement nach Europa führte, und den früheren Labour-Schatzkanzler Roy Jenkins, dem als Vize-Parteichef das Bekenntnis zur europäischen Mission Großbritanniens wichtiger war als seine politische Karriere und der später als erster und bisher einziger britischer Präsident der Europäischen Kommission in Brüssel gewirkt hat.

Ein EU-Ausstieg könnte jedenfalls die Briten geschätzte 10 bis 14 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung kosten und der europäischen Integration einen Schlag mit unabsehbaren Konsequenzen versetzen. (Paul Lendvai, 11.5.2015)