Tautropfen, die vom morgendlichen Licht der Sonne beleuchtet werden: Das klingt nach einem schönen Motiv für ein paar frühsommerliche Fotos. Es ist aber auch das Grundrezept für eine der populärsten pseudomedizinischen Behandlungsmethoden – die "Bach-Blüten". Erfunden hat sie der britische Arzt Edward Bach in den 1930er-Jahren. Mit medizinischer "Forschung" hatte seine Therapie aber kaum etwas zu tun. Bach war der Meinung, telepathisch in Kontakt mit Pflanzen zu stehen.

Und behauptete, sie würden eine besondere Heilkraft besitzen, mit der sich negative Seelenzustände "harmonisieren" lassen, die laut Bach auch für alle Krankheiten verantwortlich waren. Egal, was einem fehlt, die geheimnisvollen Energien der Pflanzen würden für Heilung sorgen. Aber nur, wenn man die morgendlichen Tautropfen von ihren Blättern sammelt! Auf dieses Wasser soll sich die Heilkraft übertragen und mit ein bisschen Brandy vermischt produzierte Bach so seine "Medikamente".

Lukrative Anpassungen

Er stellte aber schon bald fest, dass ein Geschäftsmodell, das auf dem Sammeln weniger Tautropfen basiert, nicht sonderlich effektiv ist. Und kam zu der Erkenntnis, dass man auf den Morgentau auch verzichten und die Blätter der Pflanzen stattdessen einfach mit ein bisschen Wasser übergießen kann. Inspiriert von der Homöopathie wurde dieses Mittel dann noch weiter verdünnt, und schon war die"Bach-Blütenmischung" fertig.

Eine angebliche Therapie, die auf telepathischer Kommunikation mit Pflanzen und pseudo-magischen Konzepten wie vom Morgensonnenlicht beleuchteten Tautropfen basiert, klingt nicht sonderlich wissenschaftlich oder auch nur vertrauenserweckend. Und diverse ausführliche medizinische Studien haben auch immer wieder gezeigt, dass sich Krankheiten mit Bach-Blüten nicht besser behandeln lassen als mit einem reinem Placebo.

Harmonisierung der Energiemeridiane

Trotzdem erfreuen sich die Blütenessenzen erstaunlich großer Beliebtheit. Es gibt in Österreich sogar eine "Bachblütenakademie", wo man sich zum "Diplomierten Bachblütenberater" ausbilden lassen kann, und das für "nur" 1.632 Euro bei einem 13-tägigen Kurs. Ein wenig billiger kriegt man die Ausbildung zum "Bachblütenberater" beim WIFI Tirol, wo für einen achttägigen Kurs nur 150 Euro zu zahlen sind.

Und längst gehören die "Bach-Blüten-Essenzen" zum Standardinventar einer jeden Apotheke. Die berühmten "Notfalltropfen" findet man überall, und sie versprechen Hilfe bei jeder Notlage: "Die Notfalltropfen werden eingesetzt bei plötzlichen Geschehnissen. Dies kann zum Beispiel ein schwerer Unfall sein, ein unerfreulicher Brief oder ein kleines Kind, das sich eine Beule geholt hat – das Einsatzgebiet ist entsprechend weit. Die Wirkung beruht auf der Stärkung und Harmonisierung aller Energiemeridiane", erklärt da beispielsweise eine Wiener Apotheke auf ihrer Homepage.

Sieht man mal davon ab, dass es so etwas wie "Energiemeridiane" gar nicht gibt, kann es aber vermutlich zumindest auch nicht schaden, einen Schluck Blütenwasser zu trinken, wenn die Post schlechte Nachrichten bringt. Aber leider beschränken sich die Bach-Blüten-Anbieter nicht auf diese eher vagen Empfehlungen.

Gefährliche "Alternative"

Bach-Blütenmischungen gibt es nicht mehr nur in den ursprünglichen 38 Variationen, die sich Edward Bach damals ausgedacht hat. Die Alternativmediziner waren in der Zwischenzeit nicht untätig und haben viele neue Behandlungsfelder erschlossen. Da gibt es zum Beispiel eine Mischung, die im Fall von "Niedergeschlagenheit bei Jugendlichen" zum Einsatz kommt und Hilfe verspricht, damit Kinder sich wieder "aktiv am Leben beteiligen". Die Blütenmischung soll ihnen aber auch helfen, "soziale Kontakte zu unterhalten und sich nicht zu isolieren".

Und spätestens bei der Behauptung, man könne mit diesen Tropfen dafür sorgen, dass Jugendliche "Selbstmordgedanken aus dem Kopf verbannen", sollte klar werden, dass auch so scheinbar harmlose Placebos wie die Bach-Blüten durchaus gefährlich sein können. Menschen (und vor allem Jugendliche) mit Suizidgefährdung brauchen konkrete und vor allem kompetente Hilfe – und keine pseudomedizinischen Tautropfen!

Gleiches gilt für Kinder, die in der Schule unter Mobbing oder unter der Scheidung ihrer Eltern leiden. Auch für diese Fälle werden "helfende" Bach-Blüten angeboten, genauso wie bei Prüfungsangst, Bettnässen, Panikattacken und jeder Menge anderer Probleme, die ernsthaft medizinisch untersucht und nicht von Laien durch Placebos "behandelt" werden sollten.

Problematische Ideologie

Es mag verlockend erscheinen, gravierende psychische Störungen mit etwas so simplem wie ein paar Blütentropfen aus der Apotheke therapieren zu können. Vor allem für Eltern, die mit den Problemen ihrer Kinder überfordert sind und nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen, sind die Angeboten der Pseudomediziner ein (scheinbar) leichter Ausweg. Aber auch wenn Placebos in einigen Fällen tatsächlich helfen können, ist ihr Potenzial begrenzt. Manche Probleme verschwinden nicht von selbst, und wenn man sich ihnen nicht stellt, werden sie nur schlimmer.

Bei den Blütenmischungen kommt der ideologische Unterbau erschwerend hinzu. Laut Edward Bach basiert jede (auch körperliche) Krankheit auf einer seelischen Störung. Also auf einem Konflikt zwischen Seele und Persönlichkeit, der "harmonisiert" und aufgelöst werden muss. Damit wird dem Erkrankten selbst die Schuld an seiner Krankheit gegeben und zum Leiden kommen nun auch noch psychischer Druck und Schuldgefühle.

Im Supermarkt angekommen

So wie Homöopathie und der Rest der Pseudomedizin werden wohl auch die populären Bach-Blüten so schnell nicht verschwinden. Aber vielleicht würde es ja schon reichen, auf den Beipackzetteln der Blütenmischungen die Geschichte vom tautropfensammelnden und telepathisch mit Pflanzen kommunizierenden Edward Bach zu erwähnen. Vielleicht würden es sich einige potenzielle Anwender dann zweimal überlegen, ob sie so einer "Therapie" die Behandlung schwerer psychischer Probleme zutrauen.

Andererseits kann man mittlerweile sogar im Supermarkt "Bio Bonbons mit Bach-Blüten" kaufen, die in Geschmacksrichtungen angeboten werden, die "Traurigkeit (mit Ananasgeschmack)" oder "Kids-SOS (mit Himbeergeschmack)" heißen. Es besteht also wenig Hoffnung – wogegen angeblich Bach-Blüte Nr. 13 aus Stechginster helfen soll ("das Heilmittel für Menschen, die allen Glauben aufgegeben haben"). Aber Bonbons mit Stechginstergeschmack habe ich im Supermarkt bis jetzt noch nicht gefunden. (Florian Freistetter, 12.5.2015)