Anton Zeilinger in der Wiener Boltzmanngasse: Der Quantenphysiker versteht sich als Motivator, der seine Mitarbeiter dazu anregen will, nicht nur einen Schritt, sondern zwei Schritte weiter zu denken.

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STANDARD: Sie werden seit Jahren Mr. Beam genannt. Freut Sie das?

Anton Zeilinger: Anfangs hat es mich gestört, weil es eine Verkürzung meiner Arbeit ist. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt und denke mir: Es ist ein Beitrag zur Popularisierung der Wissenschaft. Wenn sich dadurch mehr Leute vorstellen können, was wir gemacht haben, dann soll es mir recht sein.

STANDARD: Dieser Spitzname entstand ja nach der gelungenen Quantenteleportation in den späten 1990er-Jahren. Hätten Sie damals gedacht, dass dieses Experiment so ein Medienerfolg wird?

Zeilinger: Ich kann mich noch an den Rummel erinnern, als wäre es gestern passiert. Wir haben ans Fachmagazin "Nature" ein Paper mit dem Titel "Experimental Quantum Teleportation" geschickt. Da wir aber lange nichts gehört hatten, riefen wir an und vernahmen ein deutliches Schlucken. "Nature" hatte die Arbeit nicht wirklich ernst genommen. Die Redaktion hatte zunächst einen Quantenphysiker aus London nach seiner Meinung gefragt, ehe sie das Paper ins Peer-Review-Verfahren schickte. Sie bat ihn um eine schnelle Einschätzung, ob unser Paper seriös ist. Das hat er mir selbst viele Jahre später, als es nichts mehr ausmachte, erzählt. Als es dann gedruckt wurde, begann schon am Montag vor Ende des Embargos am Donnerstag der Medienrummel. Die Washington Post rief um Punkt 14 Uhr an, da haben sie gerade mit ihrer Arbeit begonnen. Wenig später war CNN am Apparat - und so verlief die ganze Woche mit Anfragen von Journalisten. Alles in allem ein ziemlich großes Echo, wenn man bedenkt, dass die Teleportation nur ein Nebenprodukt einer viel umfangreicheren Arbeit war.

STANDARD: Welcher Arbeit?

Zeilinger: Es war ein Gedankenexperiment, das ich gemeinsam mit den Kollegen Daniel Greenberger und Michael Horne aufschrieb, das GHZ-Experiment. Das war 1987 - bis dahin hatten Wissenschafter ausschließlich die Verschränkung von zwei Teilchen beschrieben, die einen gemeinsamen Zustand haben, aber lokal voneinander unabhängig sind. Wie Erwin Schrödinger es beschrieben hat: Die Katze lebt und ist gleichzeitig tot. Wir fragten uns: Was passiert mit Verschränkungen, wenn mehrere Teilchen beteiligt sind? Und wir stellten zu unserer großen Überraschung fest, dass da wirklich etwas ganz Neues auftritt, was ein zentrales Element für jeden Quantencomputer werden sollte.

STANDARD: Würden Sie sagen, dass das Ihre wichtigste Arbeit ist?

Zeilinger: Gemeinsam mit der Verifizierung unserer Theorie durch ein Experiment war das sicher mein wichtigstes wissenschaftliches Ergebnis. Die Umsetzung des Experiments hat dann noch einmal zehn Jahre gedauert. Ich war noch in Innsbruck - und wir hatten anfangs keine Idee, wie man das machen könnte. Wir mussten die Methodik langsam entwickeln. Schließlich haben wir zwei Photonenpaare in ein Gerät geschickt und ein Photon so gemessen, dass nicht klar war, von welchem Paar es kam. Dadurch verschränkten sich die anderen drei und wir hatten den GHZ-Zustand.

STANDARD: Obwohl Ihnen mehrere derartige Nachweise gelungen sind: Kommt Ihnen die Quantenwelt nicht immer noch sehr spukhaft vor?

Zeilinger: Das ist sie auch. Max Planck, eine Schlüsselfigur der Quantenphysik, hat 16 Jahre lang nicht an seine Entdeckung geglaubt. Die Welt könne doch nicht so verrückt sein, sagte er. Aus heutiger Sicht ein erstaunlicher Zugang, wo doch viel mehr und viel schneller publiziert wird - und auch zahlreiche nicht so bedeutende Arbeiten wie jene von Planck. Heute würde das niemand anzweifeln. Leuten, die an Esoterik glauben, also an Energiewellen, Wasseradern oder Homöopathie, sage ich: Studiert Quantenmechanik, das ist nicht viel seltsamer, aber im Gegensatz zu euren Behauptungen experimentell bewiesen!

STANDARD: Noch einmal zu Ihrem Ruf als Experimentator. Abgesehen von einigen Erfolgen, wodurch haben Sie sich den Ihrer Meinung nach erworben?

Zeilinger: Ich habe hoffentlich ein Gefühl dafür, was experimentell gerade noch geht - und was nicht. Daher fordere ich meine jungen Kollegen und Mitarbeiter oft auf, wenn sie eine gute Idee haben, noch zwei Schritte weiter zu denken. Ich habe dann oft einen Gedanken, erzähle aber nichts davon, weil ich will, dass die Leute selbst draufkommen. Aber ich drehe heute nicht mehr selbst an den Schrauben, wo doch meine Mitarbeiter viel besser die Details wissen. Ich bin trotzdem sehr stark involviert, analysiere, was vorgeht, und sehe mich als Motivator.

STANDARD: Was motiviert Sie selbst bei der Arbeit als Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften?

Zeilinger: Es begeistert mich nach jetzt gut zwei Jahren nach wie vor. Wir nehmen mehr denn je Stellung zu gesellschaftspolitischen Fragen - auch in Zusammenarbeit mit dem Parlament. Es gibt zum Beispiel Policy-Untersuchungen zu Fragen wie Datensicherheit. Wir bauen die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses aus, wir haben internationale Kooperationen sehr verstärkt, zum Beispiel kürzlich sogar mit Kuba. Da kann die Wissenschaft durchaus politische Wirkung haben.

STANDARD: Zu den gesellschaftlichen Aufgaben zählt aber auch, die dunkle Geschichte der Akademie aufzuarbeiten. Die Zeit des Nationalsozialismus und die Zeit nach 1945, als hohe Mitstreiter der NSDAP wieder Funktionen der Akademie einnahmen. Gibt es da nicht noch einige Lücken? Und was die Stipendienprogramme betrifft, fällt auf, dass das Apart-Stipendium für hochqualifizierte junge Wissenschafter und Wissenschafterinnen eingestellt wurde.

Zeilinger: Bei der ersten Frage stimme ich Ihnen zu. Diese Zeit gilt es lückenlos aufzuarbeiten - und da gibt es Projekte dazu. Und zu Apart ist zu sagen, dass wir das nicht eingestellt haben. Wir haben es ausgesetzt, um zu schauen, wie wir dieses Programm optimieren könnten, ob es da nicht Überschneidungen mit Förderprogrammen von anderen Institutionen gibt.

STANDARD: Es gibt Überlegungen, die Life Sciences der Akademie zu bündeln und sie mit Med-Unis zu vernetzen. Konkret würde das das Zentrum für Molekulare Medizin CeMM, das Gregor-Mendel-Institut GMI und das Institut für molekulare Biotechnologie IMBA betreffen. Wie weit sind die gediehen?

Zeilinger: Ich möchte da wirklich nur den Dalai Lama zitieren. Er sagte einmal: "I have also heard such stories." Man sollte sich langfristig etwas überlegen, was für dieses Land die beste Lösung ist, und nicht eine schnelle Lösung anpeilen.

STANDARD: Zurück zur Wissenschaft: Sie wurden immer wieder als Nobelpreiskandidat gehandelt. Was könnte dieser Preis auslösen?

Zeilinger: Ich stehe noch immer zur Diskussion. Das merkt man als Wissenschafter dann, wenn man Kollegen auf Tagungen trifft. Aber es gibt viele Kandidaten, da muss man realistisch bleiben. Es wäre mir wirklich wichtig, dass wieder ein Österreicher Nobelpreisträger wird, das könnte genauso gut jemand anderer sein. Ich denke, dann würde ein Ruck durch dieses Land gehen und die Grundlagenforschung mehr Anerkennung gewinnen. Das wäre wichtig für die Zukunft und für die jungen Leute, denn darum geht es im Leben. Nicht um persönliche Eitelkeiten. Da war ich einmal gefährdet, aber davon bin ich auch dank meiner Frau weit entfernt. (Peter Illetschko, 13.5.2015)