Vor kurzem hätte Tina Schosser noch recht bestimmt sagen können, dass ihr Auftritt als Bobbie Singer beim Song Contest das bewegteste Ereignis ihres Lebens war. Die Freude, nach Jerusalem fahren zu dürfen. Der ganze Stress, inmitten der Maturazeit. Die Aufregung, vor 800 Millionen Menschen drei Minuten lang die Stimme zu halten, die Kontrolle zu bewahren. Don't fuck this up. Die große Erleichterung danach über den zehnten Platz.
Vor ungefähr drei Monaten schlich sich aber ein weiteres, noch stärkeres Event in ihr Leben. Sie wurde Mama. "Mein Leben liegt jetzt im Kinderwagen", sagt die 34-Jährige lachend und wirft einen prüfenden Blick auf ihre schlafende kleine Tochter. Dennoch, ihr Auftritt beim Song Contest und das ganze Drumherum im Jahr 1999 bleiben eine sehr wichtige Erfahrung, die sie niemals missen möchte. "Da ist ganz viel zusammengekommen: Glück, Unterstützung von Familie und Freunden und nochmals Glück!"
Hochmotiviert von Omas Kritik
Aufgewachsen ist Schosser im oberösterreichischen Buchkirchen bei Wels, ihre Familie war schon immer sehr musikalisch, sie lernte Gitarre und Klavier. Mit ihrem Vater sangen sie und ihre Geschwister immer Sixties-Songs. Eines Tages, mit knapp 15 Jahren, schrieb sie ihr erstes eigenes Lied. Den Eltern gefiel es, doch die Oma meinte etwas schroff, die große Schwester habe eine viel bessere Stimme. Die heranwachsende Songwriterin war entsetzt, gleichzeitig hochmotiviert und dachte nur: "Ohhhh, dir werde ich's zeigen!"
Die Eltern waren es, die ihr die Aufnahme einer Demo-CD im Studio eines Freundes ermöglichten. Als sie bei einer Präsentation der Schnapsbrände ihres Vaters ein paar ihrer Songs performte, lernte sie einen interessierten Manager kennen, der wiederum fand eine Plattenfirma, und bald fuhr Tina zwischen Wels und Wien hin und her und hatte viele Fehlstunden in der Schule. Ihre Freundinnen berieten mit ihr über mögliche Künstlernamen.
In den Sommerferien vor der achten Klasse wurde das erste Album aufgenommen, zwei Drittel der Titel waren ihre eigenen, der Rest von anderen Schreibern. Die Single "Egoistic" landete prompt in den Charts, nicht sehr weit oben, aber immerhin. "Die Songs waren nett, und die Produzenten haben wahnsinnig viel daraus gemacht, aber heute weiß ich, das ich damals keine Ahnung hatte vom Songschreiben. Das waren ein paar Akkorde mit Gesang, aber keine fertige Komposition."
Privileg ohne Proberaum
Die Plattenfirma, Koch Records, war es dann auch, die ein paar Bobbie-Singer-Songs für den Song Contest 1999 einreichte, mit Erfolg. Mit "Reflection" ging es samt Band nach Israel. Damals beneidete Schosser andere Musiker, die jahrelang im Proberaum an sich wachsen konnten, ehe sie richtig ins Business einstiegen. Heute weiß sie, dass nur wenige die Chance haben, bereits in so jungen Jahren ausschließlich mit Profimusikern zusammenzuarbeiten. Es war ein Privileg.
Nach dem ganzen Spektakel und bestandener Matura lernte die 18-Jährige relativ schnell auch die Seiten kennen, die sie an ihrem neugewonnenen Leben nicht so schätzte. Viele nette und lästige Menschen beim abendlichen Fortgehen, die ihr und ihren Freundinnen keine Ruhe ließen. Auftritte bei der Eröffnung eines Lebensmittelmarkts, ein Stadtfest, Marktfest, Gemeindefest.
Musiker, die noch nicht allzu bekannt sind, müssen allerlei Sachen machen, um zu überleben. "Dieses Von-Bühne-zu-Bühne-Tingeln ist anfangs schön, zehrt aber und ist ein echter Job. Als Künstler bist du ein Produkt und wirfst dich – überspitzt formuliert – den Leuten zum Fraß vor. Und du lässt sie über dich urteilen." Das wollte sie nicht. Sie wollte nach hinten, hinter die Kulissen.
Dem Produzenten über die Schulter schauen
Nach ihrem Umzug nach Wien begann die Arbeit am zweiten Album. "Wir hatten einen coolen Produzenten, Steve Lyon, der auch das Reamonn-Album gemacht hatte. Ich wollte ihm immer nur über die Schulter schauen und habe mich gar nicht so auf meinen eigentlichen Part konzentriert." Dann gestaltete sich die Titelauswahl schwierig. Das Label wollte poppige Songs, Tina wollte selbst geschriebene, die nicht so eingängig waren.
Der Vertrag wurde aufgelöst. Die Plattenfirma hatte Verständnis, die junge Sängerin großes Glück. Es zog sie immer weiter in Richtung Produktion, und mit ihrem damaligen Freund gründete sie ein kleines Aufnahmestudio, wo sie viel ausprobierte und lernte.
16 Stunden im Studio
Heute ist Tina Schosser Werbe- und Musikproduzentin im Team von Soundfeiler, einem gut vernetzten Wiener Tonstudio. Je nach Auftrag ist sie dort auch Musikerin, Sängerin, Komponistin oder Sprecherin. Letzteres auch regelmäßig für den Radiosender Ö3. Als Stationvoice kann man ihre Stimme täglich zwischen den Sendungen hören. Die abwechslungsreiche Studioarbeit ist ganz ihr Metier: "Du kannst mich 16 Stunden ins Studio setzen, und ich bin der glücklichste Mensch." Was nicht bedeutet, dass die Bühne für sie gänzlich ihren Reiz verloren hat. 2006 plante sie ein Comeback und ließ es dann doch wieder sein. Was die Zukunft bringt, da lässt sie sich treiben.
Etwas anderes als Musik als beruflichen Lebensinhalt kann sich Schosser nicht vorstellen. Deshalb war es ihr auch so wichtig, sich von der Bühne zurückzuziehen. "Ich habe mich damals gefühlt, als würde ich meine größte Leidenschaft verheizen. Ich musste sie schützen, denn mir wäre nichts anderes eingefallen, was ich in meinem Leben machen wollte."
Hinhauen auf ein Medium erledigt
Das österreichische Musikbusiness betrachtet Schosser heute natürlich mit anderen Augen. Früher war ihre Meinung dazu eindeutiger, aber auch eindimensionaler. Die Diskussion darüber, ob es genug Airplay für heimische Musiker gibt, habe sich verändert, weil es heute mit Youtube und Konsorten viel mehr Möglichkeiten gibt, sich publik zu machen. "Das Hinhauen auf ein Medium hat sich daher ein bisschen erledigt."
Was unmittelbare Zukunftspläne anbelangt, ist Tina Schosser sehr entspannt. Ihre Arbeit im Studio ist sehr breit gefächert und bietet viel Platz, um sich weiterzuentwickeln. Für ihre Karenzzeit würde sie sich wünschen, ein Album mit Kinderliedern aufzunehmen. Ob sie das tatsächlich schafft, kann sie nicht sagen. "Man hat so überraschend wenig Zeit mit einem Kind. Aber ich bin sehr happy, ganz unspektakulär." Jetzt ist sie einfach nur mal Mama. (Jasmin Al-Kattib, 14.5.2015)