Wien – Das Parteiprogramm ist beschlossen, die Werthaltungen der ÖVP festgeschrieben. Was bleibt da für einen zweiten Tag des Parteitags der Schwarzen noch zu tun übrig? Sich nochmals mit den Werten auseinanderzusetzen, diesmal nicht aus praktisch-politischer, sondern aus philosophischer Sicht.
Konrad Paul Liessmann übernimmt das. Der hat schon im Vorjahr bei der 125-Jahr-Feier der Sozialdemokratie gesprochen – und nachher beklagt, dass der Parteivorsitzende nicht im Saal war. Der ÖVP-Chef leistet sich keinen derartigen Fauxpas, er sitzt in der ersten Reihe des mit mehr als 1.000 Gästen gefüllten Festsaals der Wiener Hofburg.
Was Konservative gerne hören
Und hört, was Konservative gerne hören: dass nämlich die Werte Leistung, Freiheit und Verantwortung fälschlicherweise als "klassisch konservativ" abgetan würden – in Wirklichkeit seien die doch sehr aktuell, enthielten nichts "Konservierendes". Leistung zum Beispiel. "Ich möchte nicht in einer Welt leben, in der Menschen, nachdem sie etwas bekommen haben, fragen: Was war mei Leistung?"
Gelächter im Saal.
Was Konservative vielleicht weniger gern hören
Aber den Schwarzen vergeht das Lachen rasch, als Liessmann den Leistungsbegriff weiter zerpflückt. Erst lobt er noch die unternehmerischen Leistungen, dann aber mahnt er, neu zu definieren, "welche Leistungen für uns tatsächlich wertvoll sind und wie wir dieser Leistung einen adäquaten Wert geben können". Denn zahlreiche Tätigkeiten, die die Gesellschaft als wichtig erachtet und moralisch hoch bewertet, werden gleichzeitig ökonomisch und gesellschaftlich schlecht honoriert.
Oder als er den gerade vom Wirtschaftsflügel der ÖVP so hoch geschätzten technischen Fortschritt auf seine gesellschaftliche Wirkung abklopft: "Durch den technologischen Fortschritt steuern wir in eine Gesellschaft, in der wir eigentlich ein Mehr an Freiheit haben könnten. Doch warum spüren wir nichts davon?" Sei nicht die Automatisierung dazu da, den Menschen von Arbeit zu befreien, ihm Muße im besten Sinn zu schenken – also die Freiheit, sich den wirklich wichtigen Dingen zu widmen?
Familie, Tugendhaftigkeit, Frömmigkeit
Stichwort Freiheit: Liessmann zählt sie – nach Heinz Schlaffer – neben "Tat" und "Fortschritt" zu den drei "öffentlichen" Werten des klassischen Bürgertums (von den drei "privaten" Werten findet er nur die "Familie" im ÖVP-Programm ausreichend berücksichtigt, "Tugendhaftigkeit" und "Frömmigkeit" weniger). Freiheit als bürgerlicher Wert sei in Anlehnung an Immanuel Kant als Aufforderung zu verstehen, sich nicht aus Faulheit einem Vormund, also einer Obrigkeit zu unterwerfen.
Freiheit heiße auch, sich dem zu stark gewordenen Konformitätsdruck zu verweigern – sich also des eigenen Verstandes zu bedienen und eben auch Meinungen zu vertreten, die vielleicht anecken. Da stoße man in Österreich rasch an Grenzen: "In Österreich herrscht die Konzeption: 'Ich bin eh tolerant – aber nur dort, wo der andere das denkt, was ich auch denke.'"
Mut zum Risiko
Liessmann erinnert schließlich daran, dass die Freiheit auch die Möglichkeit des Scheiterns beinhalte, den Mut zu Risiko. Und zur Übernahme von Verantwortung.
Applaus. Kurze Tanzeinlage. Dann Auftritt des Parteichefs, der Mut zum Risiko haben soll, Verantwortung tragen soll, die Partei auf den am Vortag beschlossenen Kurs einschwören soll. Reinhold Mitterlehner tritt ans Pult, arbeitet sich konzentriert und engagiert an den von Liessmann vorgegebenen Inhalten ab.
Wettbewerb nach oben
"Was fehlt uns Österreich?", ruft er in den Saal und antwortet sich selber: "Die unternehmerische Gesinnung." Die sei der Kern dessen, was die ÖVP ausmache – und zwar nicht nur im Wirtschaftsbund. Stichwort Leistung: Mitterlehner nimmt die Schule als Beispiel und erklärt, Österreich brauche "nicht die Nivellierung nach unten, wir brauchen den Wettbewerb nach oben".
Wer diese oder andere Erwartungen an die Volkspartei habe, "der muss uns stärker machen. Wir stellen den Führungsanspruch. Wir wollen für dieses Land den Bundeskanzler stellen."
Jubel. Applaus. Jetzt fehlt nur noch die Bundeshymne. Kommt schon. Alle singen mit, Töchter und Söhne inklusive. (Conrad Seidl, 13.5.2015)