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Angus Young, Gründungsmitglied der australischen Rocker, trägt auch mit 60 Jahren noch Schuluniform. Die von Hörnern bekrönte, mit 40 Lkws angekarrte Bühne bot eine Unzahl an Lichteffekten.
Spielberg - Wäre die Familie Young 1963 nicht von Schottland nach Down Under übersiedelt, hätte alles anders kommen können. Zum Beispiel hätten die Buben Malcolm und Angus statt zur Gitarre zum dort traditionelleren Dudelsack greifen können. Der aber rockt bekanntlich nicht so, und AC/DC hätten wohl nicht Rockgeschichte geschrieben.
Unter der Maxime Rock Or Bust – rocken oder zerbrechen – haben die Überlebenswilligen im November ihr 16. Album veröffentlicht und touren damit seit April um den Globus. Die visuelle Metapher zum Titel bildet dabei ein videoanimierter Asteroideneinschlag am Anfang der Shows: Diese Dinosaurier des Rock bringt er nicht um, sondern erst auf die Bühne. Na bumm.
Schuluniform und Krawatte
Auf das eröffnende Rock Or Bust folgen Klassiker wie Back In Black, High Voltage, T.N.T. Mit gepresstem Jaulen stolziert Brian Johnson dazu von einer Bühnenseite auf die andere und zurück. Bei Thunderstruck verliert Angus Young das dunkle Jackett seiner Schuluniform, ab High Voltage hängt ihm die schwarz-weiß gestreifte Krawatte als Gürtel um den Bund der Hose. Die anderen agilen Bestager bleiben bei alldem – nicht grundlos – im Hintergrund.
Gitarrist und Gründungsmitglied Malcom Young hat die Band nach einem Schlaganfall und beginnender Demenz im Vorjahr verlassen. Schlagzeuger Phil Rudd hingegen harrt, angeklagt wegen einer Morddrohung, in Neuseeland seines Prozesses. "Sie (die Bandkollegen, Anm.) haben mich nicht angerufen", ließ er zuletzt in seine Seele und Gruppeninterna blicken. "Phil hat sich selbst in diese Lage gebracht. Er ist nicht mehr der Phil, den wir aus der Vergangenheit kannten", richtete ihm Angus daraufhin aus. Da war Rudds Rauswurf schon vollzogen.
Und so treten AC/DC im 40. Jahr ihres Bestehens als Mischung aus AC/DC und AC/DC-Coverband auf: Neben bereits Erwähnten ist bloß Langzeitbassist Cliff Williams noch "original". Ansonsten hat man aus dem humanoiden Ersatzteillager, das die "Bandgeschichte" ausmacht, als Drummer Chris Slade gekramt, der in den 90ern schon mal dabei war. Statt Malcolm spielt dessen Neffe Stevie. Irgendwie bleiben die Gitarren also noch in Familienhänden.
Erstaunlich druckvoll bis zum Ende wird eine Nummer nach der anderen sauber und routiniert abgespult. Keine dauert länger als nötig, unmittelbar auf den letzten geplanten Ton folgen Black und Stille. Nach einer Stunde hat man so schon zehn Songs hinter sich gebracht. Stimmung und Applaus kommen dafür – zumindest im Wavebreaker – eher verhalten daher. Interaktion? Meist tun's für Johnson zwei Worte.
Glocke und Gummierosie
Dafür ist die Bühne ausladend, zu Hells Bells hält sie – obligatorisch – eine herniederschwebende Glocke bereit, zu Whole Lotta Rosie streichelt sich eine riesige Gummirosie im Schritt – das laszive Plastikfleisch trägt rote Strapse, Zylinder, ein von Dollars quellendes Bustier und a whole lotta Make-up. In Let There Be Rock erzählt man untermalt von einem visuellen Best-of die eigene Schöpfungsgeschichte.
Star der Show ist Angus. Mit bleichen Beinen und bloßen Knien tänzelt und trippelt er herum, zum Schlussbild gut der Hälfte der Nummern krümmt er sich im Sprung über seine Gitarre. Manchmal legt er seine Hände zu Ohren geformt an den Kopf und schaut mit funkelndem Blick in die Menge. Während eines minutenlangen Gitarrensolos steht er ganz allein auf der Bühne, die Lippen zum O geöffnet lädt er das Publikum zu einem Duett aus Gitarre und Eeey-Gejohle ein. Das letzte noch aktive Gründungsmitglied einer der mit 200 Millionen verkauften Platten erfolgreichsten Bands des Planeten feiert sein Lebenswerk, während er sich in seinem eigenen Hintergrund auf der Videowand ins Unendliche vervielfältigt. Dann wirft er sich auf den Rücken, und in den allein ihm geltenden Jubel wünscht Johnson "Good Night".
Es dauert Sekunden, bis Zugaberufe einsetzen und mangels Mitmachern bald wieder verebben. Die Zugabe gibt es dennoch, zu Highway to Hell trägt Angus, gleich einem gefühlten Zehntel seines Publikums, rote Hörner. Das finale Feuerwerk dauert länger als der Applaus – unheimlich, wie leise 115.000 Menschen sein können! (Michael Wurmitzer, 15.5.2015)