Wien – "Ich habe meinen Punkt verloren", sagt eine Frau zu Eugene Quinn, der gerade kleine kreisförmige Sticker auf die Handrücken von 30 Personen klebt. Als er fertig ist, hält der Brite ein aus unförmigen Zweigen zusammengebasteltes Schild in die Höhe. Es zeigt die Worte "Vienna" und "Ugly", für die Quinn bewusst die vielfach verhasste Computerschrift Comic Sans gewählt hat.

Comic Sans gilt als eine der hässlichsten Schriftarten.
Christa Minkin

Nach einigen einführenden Sätzen ("Wir wollen heute die Vielfältigkeit und Fülle von Hässlichkeit entdecken") ruft er "Follow the trousers!" (Folgt den Hosen) – ein Hinweis auf seine orange leuchtenden Arbeitshosen. Und die Gruppe setzt sich vom Karmelitermarkt in Wien-Leopoldstadt zur "Tour of the worst buildings" (Tour der schlimmsten Gebäude) in Bewegung. Quinn ist einer der fünf Gründer der kulturellen Plattform "Space and Place". Mit Projekten wie "Vienna Ugly" wollen die Kreativen die Stadt "neu erfinden" und "urbane Dynamiken verändern".

Die dunkle Wiener Seele

Eigentlich habe er auf Regen gehofft, denn der unterstreiche die Hässlichkeit, sagt Quinn, als er beim ersten Zinshaus stehen bleibt, dessen unschöne Seiten er den Teilnehmern des Rundgangs erläutert – unter ihnen Touristen aus aller Welt und Ortsansässige. Einheimische würden sich normalerweise für eine gewöhnliche Besichtigungstour durch Wien nicht interessieren, doch "Vienna Ugly" locke mit Provokation und ermögliche es, die eigene Stadt auf neue Art zu entdecken. Die Tour spiele aber auch mit der dunklen und melancholischen Seele, die Wien und seinen Bewohnern nachgesagt wird.

"I have no words for this building", sagt Quinn im Vorbeigehen.
Christa Minkin

Der Rundgang dauert etwa zweieinhalb Stunden. Quinn führt nicht nur die Hässlichkeit von Gebäuden aus, sondern geht auch auf für das Straßenbild typische, aber schirche Elemente ein. Humorvoll spricht er über misslungene Verschönerungsversuche, den "Zuckerbäcker-Instinkt" einstiger Architekten und Themen wie Gentrifizierung und Immobilienspekulation.

Meinungsmonopol und Ungestalt

Die Teilnehmer lädt er ein, sich einzubringen. Die Meinungen gehen auseinander – was die eine hässlich findet, findet der andere süß. "Wer entscheidet über Schönheit und Hässlichkeit?", fragt Quinn, der das Meinungsmonopol von Reise- und Fremdenführern infrage stellen und mit seinen Touren eine Debatte anregen will. Die Bauten und Plätze, die er ausgewählt hat, sind nie langweilig, sondern immer auffällig in ihrer Ungestalt.

Regen würde die Hässlichkeit noch unterstreichen.
Christa Minkin

Überhaupt sei Wien viel interessanter, moderner und lebendiger als sein Image, das auf klassische Musik, Fiaker, Sisi und Schnitzel reduziert wird. "Im Ausland glaubt man, dass wir hier den ganzen Tag in Sachertorte schwimmen", sagt Quinn. Die Kluft zwischen dem imaginierten und dem realen Wien sei größer als in den meisten Städten.

Quinn will mit diesen Stereotypen brechen und sich von klassischem Sightseeing unterscheiden, das in seinen Augen die verstaubten Wiener Klischees zelebriert. Als Konkurrenz zu lizenzierten Fremdenführern sieht er sich aber nicht. "Wir wollen neue Geschichten über die Stadt erzählen", damit sich auch "jüngere und hippere" Besucher von Wien angesprochen fühlen.

Marsch durch alle Bezirke

Die Stadt feiern und neue Geschichten erzählen will "Space and Place" auch am 21. Juni. Beim "großen Marsch durch Wien" soll an einem Tag durch alle 23 Bezirke spaziert werden. Bei den Social Dinners können sich Einheimische, Asylwerber und Weltenbummler beim Essen über Fragen wie "Wogegen haben Sie rebelliert?" und "Wo sind die Grenzen Ihres Mitgefühls?" unterhalten. (Christa Minkin, 22.5.2015)