Miroslava Svolikova und Özlem Özgül Dündar (re.): Vertreterinnen einer jungen, fächerübergreifend arbeitenden Dramatikergeneration.

Foto: Affenzeller

Wien/Leibnitz - Theaterstücke, die im Querformat gedruckt werden, sind nicht die Regel. Bei Miroslava Svolikova aber ging es gar nicht anders. Ihre Dorf-Polyphonie die hockenden, für die sie nun ex aequo mit ihrer Kollegin Özlem Özgül Dündar den Retzhofer Dramapreis 2015 gewonnen hat, besteht aus zum Teil parallelen Sprechströmen in vier nebeneinander angeordneten Textspalten. Kostprobe: "besser man sagt gar nichts dazu. / - was denn auch. / - was gibt es zu sagen. / man hört ja viel. / zu sagen gibt es nichts. / der tag ist ja lang. / dafür sind wir ja da. / da halten wir uns besser raus."

Redeschleifen

Der Text erfasst eine unruhig schwelende Stimmung in einem nicht näher definierten Lebensraum, womöglich ein Dorf. Die hier spürbare Anspannung rührt vom Stillstand her, von Figuren, die auf der Stelle treten, die in ihren Redeschleifen gefangen sind. Unruhe entsteht auch, weil etwas Rätselhaftes passiert ist, eine Kneipe wurde in Brand gesteckt. Die ausgesparten, sich in Wiederholungen weiterdrehenden Sätze erinnern an die traktierte Sprache Elfriede Jelineks (z. B. "wir geben die hoffnung nicht auf. / solange die hoffnung uns nicht aufgibt. / [...] wir haben ja sonst nichts zu tun. / wir haben nicht so viel zu tun. - man hat ja sonst nichts. man hat ja nichts."

Das Stück die hockenden ist streng komponiert, eröffnet in seiner abstrakten Vielstimmigkeit aber viele szenische Freiräume - eine klare Herausforderung an die Regie. Am Schauspielhaus Leipzig und am Burgtheater Wien werden die beiden Siegerstücke - welches wo, das ist noch offen - uraufgeführt werden. Damit macht das Burgtheater der Ära Karin Bergmann seinen Anspruch dingfest, zeitgenössische Dramatik zu fördern.

Beide Texte sind Dramendebüts, die im Zuge des auch als Labor dienenden Retzhofer Dramapreises unter Begleitung von Mentoren fertiggestellt wurden. Seit 2003 wird der Preis vom Grazer Universitätsverein uniT ausgelobt und durchgeführt. Ewald Palmetshofer, Gerhild Steinbuch oder Ferdinand Schmalz zählen zu seinen namhaften Gewinnern.

Miroslava Svolikova wurde 1986 in der Slowakei geboren, lebt und arbeitet in Wien. Nach einem abgeschlossenen Philosophiestudium ist sie nun seit 2011 an der Akademie der bildenden Künste inskribiert; hier greifen ihre bildnerischen Verfahren mit den sprachlichen ineinander: Es interessiert sie in beiden Kunstsparten, so sagt sie im Gespräch mit dem STANDARD, Motive der Wiederholung auszureizen, Lupensituationen zu erzeugen, das Größer- und Kleinermachen von Bildern. In der Literaturzeitschrift kolik hat sie bereits Texte veröffentlicht.

Schreiben ist die Arbeit, die sie derzeit am meisten antreibt: So sehen es die beiden jungen Frauen, die ihrerseits alle dem Fortkommen dienenden Chancen nützen, ohne sich aber groß Gedanken zu machen, wohin ein solcher Nachwuchsdramatikerpreis sie führen könnte. Das Jetzt zählt, die Konzentration auf das Schreiben. Gute Texte setzen sich durch, so Özlem Özgül Dündar, der Rest sei Zeitverschwendung.

Dündar, 1983 in Solingen geboren, studiert nach einem in Wuppertal absolvierten Literatur- und Philosophiestudium derzeit literarisches Schreiben in Leipzig. Die Deutschtürkin schreibt vor allem Lyrik, hat bereits in Anthologien veröffentlicht und auch Preise erhalten. 2014 war sie Stipendiatin des Goethe-Instituts in Istanbul. Dündar arbeitet auch als Übersetzerin aus dem Türkischen. Die Zweisprachigkeit macht auch die Besonderheit ihres nun prämierten Textes Jardin d'Istanbul aus.

Die Weite in den Köpfen

In Jardin d'Istanbul verständigen sich vier Angestellte eines Restaurants in einer kleinen Küche über ihre Lebenswege, die sie aus unterschiedlichen Gründen aus der Türkei nach Deutschland geführt haben. "Ich habe selbst in einer Restaurantküche gearbeitet", so Dündar. Es war die eigene Erfahrung und nicht Roland Schimmelpfennigs Stück Der goldene Drache, die sie inspiriert hat. "Ich wollte zeigen, wie weit diese Figuren in ihren Köpfen sind und wie eng ihr Alltagsraum dagegen geworden ist."

Wenige Abschnitte des Textes sind auf Türkisch, einige auf Kurdisch verfasst. Damit löst Dündar das Abbild jener Realität ein, die uns in der Fußgängerzone, in der Straßenbahn oder in sozialen Netzwerken begegnet: Man versteht nicht alles Gehörte, die Welt ist globaler geworden.

Die Mehrsprachigkeit möchte Dündar auch in zukünftigen Projekten vertiefen; an einem neuen Theaterstück schreibt sie bereits. Und sie hat auf Schloss Retzhof auch erfahren, dass ihr Text Schauspieler vor den Kopf stoßen kann. (Margarete Affenzeller, 19.5.2015)