• IS kontrolliert mehr als die Hälfte Syriens
  • UN: Ein Drittel der Bevölkerung Palmyras geflohen
  • Irak plant Gegenoffensive zur Rückeroberung Ramadis

Damaskus/Bagdad - Nach den jüngsten militärischen Erfolgen im Irak ist die sunnitische Extremistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) auch in Syrien wieder auf dem Vormarsch. Mit der Eroberung der historisch und strategisch bedeutsamen Stadt Palmyra kontrolliert der IS nun mehr als die Hälfte des Landes, wie die oppositionelle Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Donnerstag mitteilte.

Die Stadt sei vollständig unter ihrer Kontrolle, erklärte die Miliz über den Kurznachrichtendienst Twitter. Der Einmarsch des IS ließ Sorgen aufkommen, die Extremisten könnten dort wie bereits im Irak antike Stätten zerstören. Am Wochenende hatte der IS die Hauptstadt der irakischen Provinz Anbar, Ramadi, eingenommen. Regierungskräfte bereiten eine Gegenoffensive vor.

Streitkräfte konzentrieren sich auf den Osten

IS-Kämpfer hätten in Palmyra auch den Stützpunkt der syrischen Armee erobert, erklärte die Miliz. Die IS-Miliz hat zudem nach Angaben der Beobachtungsstelle den letzten noch von Regierungstruppen gehaltenen Übergang an der Grenze zwischen Syrien und dem Irak unter ihre Kontrolle gebracht. Mit der Einnahme des Übergangs Al Walid Tanef besetzen die Jihadisten einen Großteil der Grenzlinie zwischen Syrien und dem Irak.

Palmyra ist neben kultureller auch von militärischer Bedeutung, da die Stadt ein zentraler Verkehrsknotenpunkt ist. Mindestens 17 Menschen wurden nach Informationen der Beobachtungsstelle in Palmyra von dem IS getötet. Darunter seien Mitglieder der syrischen Sicherheitskräfte und Zivilisten. Einige der Opfer seien enthauptet worden. Bei den Kämpfen um die Stadt wurden bisher insgesamt mindestens 100 regierungstreue Kämpfer getötet.

Bild nicht mehr verfügbar.

Rauchschwaden steigen über der antiken Metropole Palymra auf.
Foto: AP

Der IS erklärte, die Feinde hätten viele Tote zurückgelassen, ohne genaue Zahlen zu nennen. Bislang kontrolliert der IS überwiegend dünn besiedelte Gebiete im Norden und Osten Syriens. Die Streitkräfte haben sich auf die Verteidigung der großen Städte an der Küste und an der Grenze zum Libanon konzentriert, darunter die Hauptstadt Damaskus.

Sorge um antike Stätten

Nach Angaben der Beobachtungsstelle rückten IS-Kämpfer auch in den Bezirk mit den berühmten antiken Ruinen am Stadtrand von Palmyra vor. Bislang gebe es jedoch keine Berichte über Zerstörungen. Ein Drittel der Bevölkerung Palmyras ist UN-Angaben zufolge bereits aus der Stadt geflohen. Viele Bewohner wurden jedoch zugleich am Verlassen der Stadt gehindert.

Der Ort gehört zu den wichtigsten Stätten des Weltkulturerbes im Nahen Osten. Der Chef der zuständigen syrischen Behörde, Maamun Abdulkarim, zeigte sich entsetzt über den Einmarsch des IS. "Dies ist der Niedergang einer Zivilisation", sagte er der Nachrichtenagentur Reuters. "Die menschliche, zivilisierte Gesellschaft hat den Kampf gegen die Barbarei verloren."

Bild nicht mehr verfügbar.

Grabtürme in der syrischen Wüstenstadt Palmyra.
Foto: APA/EPA/Str

Seinen Angaben zufolge konnten noch rechtzeitig Hunderte Statuen fortgeschafft werden. Auch die meisten Einwohner der Stadt wurden dem staatlichen Fernsehen zufolge von regierungstreuen Milizen in Sicherheit gebracht.

Kämpfe im Irak

Der IS hat in den von ihm kontrollierten Teilen Syriens und des Irak ein Kalifat ausgerufen. Am Sonntag eroberte er in der irakischen Provinz Anbar die Stadt Ramadi. Regierungskräfte schlugen nach eigenen Angaben in der Nacht unter Beteiligung schiitischer Milizen einen Angriff zurück. IS-Kämpfer hätten vergeblich versucht, die neue Verteidigungslinie zwischen Ramadi und dem weiter östlich gelegenen Militärstützpunkt Habbanija zu durchbrechen, erklärten Polizei und regierungstreue Milizen. Habbanija gehört zu den wenigen Gebieten in der Provinz Anbar, die noch von der Regierung kontrolliert werden. Es liegt auf dem Weg zwischen Ramadi und Falludscha, das der IS bereits vor mehr als einem Jahr erobert hatte.

Foto: Standard

Aus Russland soll demnächst mehr militärische Unterstützung im Kampf gegen die IS-Miliz kommen. Das gab der russische Präsident Wladimir Putin am Donnerstag in Moskau bei Gesprächen mit dem irakischen Ministerpräsidenten Haider al-Abadi bekannt. Russlands Außenminister Sergej Lawrow erklärte, sein Land werde keine Anstrengung scheuen, um dem Irak beim Kampf gegen den IS zu helfen.

Die USA liefern dem Irak für den Kampf gegen den IS nach Medienberichten 2.000 Panzerabwehrraketen. Die Waffen könnten schon in der kommenden Woche eintreffen, kündigte der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, Steve Warren, am Donnerstag in Washington an, wie Medien berichteten. Zudem gehen die Luftangriffe der von den USA angeführten Allianz auf Syrien und den Irak weiter: Seit Mittwoch wurden zehn Angriffe im Irak und acht in Syrien durchgeführt, wie am Donnerstag aus US-Armeekreisen verlautete. Das US-Militär räumte zugleich die Tötung von zwei Kindern in Syrien ein, die bei US-Luftangriffen in Syrien im vergangenen November getötet worden sind. Das gaben die US-Streitkräfte am Donnerstag nach einer Untersuchung bekannt.

Obama: Ramadi "taktischer Rückschlag"

US-Präsident Barack Obama erklärte, dass der Einsatz gegen die IS-Miliz trotz deren jüngster Erfolge noch nicht gescheitert sei. Der Fall Ramadis sei ein "taktischer Rückschlag", sagte Obama in einem am Donnerstag veröffentlichten Interview des US-Magazins "The Atlantic". Er glaube aber nicht, dass der Kampf gegen den IS verloren sei. Die sunnitischen Stämme müssten intensiver ausgebildet werden, zugleich müssten sie aber auch dazu gebracht werden, sich mehr in den Einsatz gegen den IS einzubringen.

In den vergangenen Monaten war es kurdischen und irakischen Kämpfern gelungen, den Vormarsch des IS zu stoppen und die Islamistenmiliz zurückzudrängen. So hatten kurdische Peschmerga-Kämpfer Anfang des Jahres die IS-Miliz nach wochenlangen heftigen Gefechten aus der Stadt Kobani an der syrisch-türkischen Grenze vertrieben. Auch im Irak war der IS etwa aus der Stadt Tikrit vertrieben worden, die Heimatstadt des früheren Machthabers Saddam Hussein. Die Rückeroberung Ramadis war der erste größere militärische Erfolg des IS seit Beginn der Gegenoffensive der irakischen Streitkräfte und paramilitärischer Gruppen im vergangenen Jahr. (Reuters, 21.5.2015)