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Zwischen Ungarns Regierungschef Viktor Orbán und der Europäischen Union herrscht in vielen Bereichen Unverständnis.
Budapest/Straßburg - Gut einmal im Jahr macht sich der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán nach Straßburg auf, um im Plenum des Europaparlaments "die Ungarn zu verteidigen". In den fraglichen Debatten geht es aber in der Regel nicht um das EU-Mitgliedsland Ungarn und seine Bevölkerung, sondern um die umstrittenen Maßnahmen und Äußerungen des rechtspopulistischen Regierungschefs aus Budapest.
So wurde Orbán 2011 wegen des repressiven Mediengesetzes im Plenum "gegrillt". Zwei Jahre später tauchte er dort wegen des Tavares-Berichts auf, der etliche Demokratiedefizite in Orbáns Ungarn schlüssig festhält. Am Dienstag standen nun Orbáns jüngste Äußerungen gegen Flüchtlinge und zur Wiedereinführung der Todesstrafe im Mittelpunkt des Schlagabtauschs mit linken, liberalen und grünen EP-Parlamentariern.
Sanktionsmechanismus
Der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, stellte klar: Bei einer Wiedereinführung der Todesstrafe würde ein EU-Land einen weitreichenden Sanktionsmechanismus nach Artikel 7 des EU-Vertrags auslösen - was die Aufhebung der Stimm- und Mitgliedsrechte mit sich bringen kann. Orbán polterte trotzig zurück: "Es gibt einen Beitrittsvertrag der Ungarn zur EU. Da steht nichts darüber, worüber wir in Ungarn sprechen dürfen oder nicht."
In Ungarn wurde Orbáns letzter Auftritt im "europäischen Feindesland" eher achselzuckend aufgenommen. Die Webseite der Wochenzeitung Heti Válasz etwa empfand die Debatte beiderseits enttäuschend und langweilig: "Wer ihr nur eine halbe Stunde lang folgte, wird wahrscheinlich nie wieder neugierig auf Europa sein." Das eher Orbán-kritische Nachrichtenportal index bezeichnete die Debatten im EP am Mittwoch als "politische Schauspiele". Sie würden dazu dienen, dass sich die Politiker verschiedener Couleurs für ihre Anhängerschaft positionierten.
Streit um Flüchtlingspolitik
Höhere Wogen schlug in Ungarn Orbáns Pressekonferenz in der ostungarischen Stadt Debrecen am Montag. Dort gibt es ein Auffanglager für Flüchtlinge. "Wir werden es nicht ausbauen, sondern schließen. Die, die da leben, muss man nach Hause schicken", tönte der Regierungschef. In Straßburg wetterte er einen Tag später gegen den Vorschlag der EU-Kommission, Flüchtlinge nach einer Quote auf die EU-Länder zu verteilen. "Was da von der Kommission kommt, grenzt an Wahnsinn", echauffierte er sich. Europa müsse den Europäern gehören, Ungarn den Ungarn.
Letzteres suggeriert auch ein Fragebogen, den jüngst Millionen Ungarn von der Regierung zugeschickt bekamen. Die sogenannte "Nationale Konsultation" firmiert zwar als "Volksbefragung", wirkt aber für manche wie eine Propaganda-Übung - und eine Aktion zur Einholung von Wählerdaten für den Wahlkampf-Apparat der Regierungspartei Fidesz. Im Fragebogen finden sich Suggestivfragen wie die folgende: "Wussten Sie, dass die Wirtschaftsflüchtlinge illegal über die ungarische Grenze kommen und die Zahl der Einwanderer in Ungarn in der letzten Zeit ums Zwanzigfache gestiegen ist?" Als Antworten sind vorgesehen: "Ja", "Ich habe davon gehört" und "Ich wusste es nicht".
Wie ein Regierungssprecher am Mittwoch bekannt gab, will sich Orbán künftig häufiger mit seinem britischen Amtskollegen David Cameron austauschen. Ein erstes gesondertes Treffen sei am kommenden Freitag am Rande des EU-Ostpartnerschaftsgipfels in Riga geplant. Der Londoner Regierungschef gilt als scharfer Kritiker der EU-Migrationspolitik. Seine Bürger will er in einem Referendum über den Verbleib seines Landes in der EU abstimmen lassen. Camerons konservative Regierungspartei gehört nicht mehr der Europäischen Volkspartei (EVP) an, Orbáns Fidesz hingegen schon. (Gregor Mayer, 20.5.2015)