Zehntausende Menschen leiden in Österreich an einem behandelbaren Netzhautproblem mit Erblindungsgefahr. Nur ein Viertel bis ein Drittel davon wird adäquat behandelt. "Weil die Behandlung ausschließlich an Spitälern erfolgen muss", sagt der Tiroler Spezialist Gerhard Kieselbach.

Optimale Therapie selten

Vor etwa einer Woche kamen die österreichischen Ophthalmologen in Kärnten zu ihrer Jahrestagung zusammen. Brisant war die Präsentation der aktuellen Zahlen zur altersbedingten feuchten Makuladegeneration (AMD), zum Diabetischen Makulaödem und zu venösen Gefäßverschlüssen der Netzhaut.

In einer Untersuchung auf der Basis der Analyse der Daten der einzelnen Patienten der in Österreich auf diesem Gebiet engagierten Zentren (Augenabteilungen bzw. deren Ambulanzen in den Spitälern) erhalten nämlich nur wenige der österreichischen Patienten mit solchen Erkrankungen eine optimale Therapie.

Sie besteht in der Diagnose und regelmäßigen Überwachung des Zustandes der Netzhaut und in der regelmäßigen Injektion von sogenannten Anti-VEGF-Medikamenten in das betroffene Auge. Das kann zu einem hohen Prozentsatz ein Fortschreiten der Erkrankung und das Erblinden verhindern.

Regelmäßige Kontrollen

Die Untersuchung und Behandlung sollte acht bis zehn Mal pro Jahr erfolgen und wird nicht in der niedergelassenen Praxis von Augenärzten bezahlt. "Ganz im Gegenteil. Die Bundesländer und der Hauptverband der Sozialversicherungsträger versuchen, dieses Problem totzuschweigen", schrieb die Wiener Gesundheitsökonomin Anna Vavrovsky (Academy for Value in Health).

Sie hätten begonnen, die Injektionen der Medikamente in das Auge (IVOM; Anm.) aus der Dokumentation herauszunehmen. "Ein Skandal sondergleichen", so Vavrosky. Augenspezialist Kieselbach bestätigte diese Angaben: "Im aktuellen Leistungsverzeichnis für die Krankenhausfinanzierung ist die Injektionsbehandlung gar nicht mehr vorhanden. Es gibt sie nicht mehr."

Zunehmender Sehverlust

Dem steht das Schicksal der betroffenen Patienten gegenüber. Bei Diabetikern und bei von der altersbedingten feuchten Makuladegeneration Betroffenen - im Endeffekt auch bei von Gefäßverschlüssen in der Netzhaut Betroffenen - kommt es zu einem zunehmenden Verlust des Sehvermögens.

Die durch zahlreiche wissenschaftliche Studien belegte optimale Vorgangsweise ist eine frühzeitige Diagnose durch optische Kohärenztomografie (OCT) mit Aufdecken der Netzhautveränderungen und danach die Behandlung mit Medikamenten gegen die bei diesen Erkrankungen erfolgende Gefäßneubildung in der Netzhaut. Das sind Antikörper gegen den Blutgefäß-Wachstumsfaktor VEGF oder ähnliche Biotech-Konstrukte.

Die Problematik liegt auf zwei Ebenen, so Kieselbach Kieselbach: "Weil die für diese Anwendung zugelassenen Arzneimittel relativ teuer sind (pro Injektion 200 Euro und mehr, in den USA bis zu 2.000 US-Dollar; Anm.) zahlen die Krankenkassen die Kosten nicht in der niedergelassenen Praxis von Augenärzten, obwohl man die Therapie dort leicht durchführen könnte. Sie zahlen auch nicht oder nur teilweise die optische Kohärenztomografie." Die österreichischen Krankenhäuser bleiben sozusagen auf der Leistung "sitzen". Die Spitalserhalter haben sogar Bestreben, die Zahl der Therapien auszuweiten.

Distanz zum Spital entscheidet

Ein weiteres Problem: "Aufgrund der alleinigen Versorgung in Krankenhäusern erblinden vor allem Menschen, die mehr als hundert Kilometer von der nächsten Augenabteilung leben", schrieb Vavrovsky in ihrem Bericht. Dies wurde in einer französischen Studie erhoben und gelte leider auch für Österreich

"Ich renne seit fünf Jahren von einer Stelle zur anderen, um das zu ändern. Aber es tut sich nichts", sagt Ophthalmologe Kieselbach, Auch Gespräche mit dem nunmehrigen Chef des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger, Peter McDonald, hätten bisher nichts bewirkt.

Dabei gäbe laut dem Spezialisten einen Ausweg: Man könnte den in der Krebstherapie verwendeten VEGF-Antikörper Bevacizumab für die Injektionstherapien benutzen. Das würde die Arzneimittelkosten etwa um den Faktor zehn reduzieren. Das Mittel ist aber gerade für die augenärztliche Anwendung nicht offiziell registriert.

"Die Wirkung der verwendeten Medikamente ist sehr vergleichbar", sagt Kieselbach. Wenn Diagnose und Therapie dann bei niedergelassenen Augenärzten erfolgen könnten, wäre den Krankenhäusern geholfen - und den Patienten auch, so der Experte. (APA, 21.5.2015)