Es ist der zentrale Event des Google-Jahres: Die Entwicklerkonferenz Google I/O, die am 28. und 29. Mai in San Francisco stattfindet. Mit besonderer Spannung darf dabei die einleitende Keynote erwartet werden, nutzt Google diese doch gemeinhin um zahlreiche Neuerungen rund um seine Angebote vorzustellen. Was es dabei zu sehen geben wird, verrät das Unternehmen derzeit natürlich noch nicht, Hinweise gibt es hingegen einige, und diesen soll im Folgenden nachgespürt werden.

Android M

Foto: Andreas Proschofsky / STANDARD

Zumindest bei einem Punkt kann man den Konjunktiv getrost weglassen. Google wird Android M vorstellen. Dies kann nach einem kurzfristigen Lapsus im I/O-Zeitplan als gesichert angenommen werden. Bei den Details wird es hingegen schon schwieriger. Was der Lollipop-Nachfolger an Neuerungen bringen wird, ist derzeit weitgehend unklar. Nach den massiven Umbauten von Android 5.0 ist aber davon auszugehen, dass man es zumindest in Fragen User-Interface-Änderungen dieses Mal ein bisschen langsamer angehen wird.

Immer wieder ist zwar zu hören, dass Google über den Abgang vom klassischen App-Icon/Widget-Modell für den Homescreen nachdenkt, um diesen zentralen Ort für relevantere Informationen zu nutzen. Ob es dieses Mal schon so weit ist, ist natürlich eine andere Frage. Zwar baut man Google Now, das sich für diese Aufgabe anbieten würde, derzeit offensiv aus - etwa über die Einbindung von Dritt-Apps - dies steckt aber gerade außerhalb der USA alles noch in den Kinderschuhen.

Schon vorab war hingegen von zwei anderen Neuerungen für Android M zu hören: Da wäre einmal die Möglichkeit, das User Interface vollkommen per Sprache zu steuern. Dies wäre vor allem in Hinblick auf die Barrierefreiheit aber auch den Einsatz im Auto äußerst interessant. Zudem soll die neue Betriebssystemversion den Nutzern eine bessere Kontrolle über die Weitergabe von sensiblen Daten - wie Standort oder Adressbuch - an Dritte geben. Ob es sich dabei "nur" um explizite Zustimmungen beim ersten Start einer App oder eine allgemeine Methode zum Entziehen von Berechtigungen handelt, muss sich erst zeigen - wir würden jedenfalls auf Ersteres tippen.

Auch die Aufnahmen eines offiziellen APIs für Fingerprintscanner darf nahezu mit Sicherheit erwartet werden. Schon seit einiger Zeit ist bekannt, dass Google an Multi-Windows-Support für Android arbeitet, mit etwas Glück könnte es diesmal also wirklich etwas damit werden.

Eines ist bei all dem aber jetzt schon klar: Vorstellen heißt in dem Fall wirklich "vorstellen" und nicht "veröffentlichen". Die fertige Version von Android M wird erst für den Herbst erwartet. Zumindest könnte es aber - wie schon im Vorjahr - eine Preview-Release geben, natürlich nur für ausgewählte Nexus-Geräte.

Android Wear

Foto: Google

Android ist aber längst viel mehr als ein Betriebssystem für Smartphones und Tablets. So werden Wearables auch heuer sicherlich wieder eine wichtige Rolle spielen. Zuletzt war von einigen neuen Funktionen Android Wear zu hören. Dazu gehört die Unterstützung für Sprachausgabe und die Möglichkeit Anrufe direkt auf der Uhr entgegen zu nehmen. Features, die Google in der Vergangenheit mehr oder weniger deutlich als begrenzt sinnvoll bezeichnet hat, die aber von den Hardwareherstellern gefordert werden - nicht zuletzt weil die Apple Watch damit aufwarten kann. Beschreitet Google diesen Weg - und dazu könnte auch die Unterstützung von Simkarten gehören - wäre dies also vor allem ein Versuch, die eigenen Partner bei Android Wear zu halten.

Parallel dazu könnte eine signifikante Ausdehnung der Android-Wear-Zielgruppe erfolgen: So war mittlerweile aus mehreren Quellen zu hören, dass Google an der iPhone-Unterstützung arbeitet. Diese Pläne haben allerdings einen großen Unsicherheitsfaktor: Apple. Ob der Google-Konkurrent eine App zulässt, mit der Android-Wear-Uhren mit dem iPhone verbunden werden können, ist alles andere als sicher.

Vielleicht gibt es sogar die eine oder andere neue Smartwatch zu sehen. Dass der Moto 360-Nachfolger vor kurzem die offizielle Bluetooth-Zertifizierung erhalten hat, passt jedenfalls sehr gut zum I/O-Zeitplan. An eine ganz andere Art von Wearables scheint man bei Googles "Advanced Technology and Projects" (ATAP)-Gruppe zu denken. Etwas, das den Zusehern "die Socken wegblasen" werde - und zwar wörtlich - soll auf der Konferenz vorgestellt werden, heißt es in einer Vortragsbeschreibung. Übrigens ist das die selbe Abteilung, die auch am modularen Smartphone Project Ara arbeitet, eventuell wird es hier einen neuen Prototypen zu sehen geben.

Virtual Reality

Foto: Google

Was letztes Jahr in Form des Cardboards noch als halber Scherz begonnen hat, könnte mit der Google I/O 2015 zu einem zentralen Bestandteil der Androidwelt werden: Google arbeitet an einer eigenen Virtual-Reality-Version des Betriebssystems, wusste schon vor einigen Monaten das Wall Street Journal zu berichten. Auch sonst verdichten sich in den letzten Wochen die Hinweise, dass Google die diesbezüglichen Bemühungen deutlich intensiviert hat. Die I/O mit den tausenden anwesenden Entwicklern würde sich für eine entsprechende Ankündigung da bestens anbieten.

Nur am Rande sei angemerkt, dass Google auch beste Voraussetzungen für eine mächtige Augmented-Reality-Lösung - analog zu Microsofts Hololens - hätte. So steht man nicht nur in Partnerschaft mit dem geheimnisumwitterten Unternehmen Magic Leap, mit Project Tango forscht man schon länger an der 3D-Erfassung von Räumen und der Kombination mit computergenerierten Bildern. Und natürlich gibt es da noch Google Glass, bei dem das Unternehmen erst kürzlich wieder betonte, dass man eifrig an einer grundlegenden Neugestaltung arbeitet. Dass diese bereits auf der diesjährigen I/O zu sehen sein wird, erscheint aber eher unwahrscheinlich.

"Brillo"

Kann sich noch jemand an Android@Home erinnern? Vier Jahre ist es mittlerweile her, dass Google auf der I/O seine Initiative für das vernetzte Zuhause vorgestellt hat. Daraus geworden ist - nichts. Nun scheint aber ein Neuanfang bevorzustehen. So soll dieses Jahr unter dem Codenamen "Brillo" eine neue Android-Variante für das "Internet der Dinge" vorgestellt werden - mit signifikant reduziertem Ressourcenbedarf, von 32 oder 64 MB RAM ist die Rede. Brillo ist natürlich nur ein Codename, wahrscheinlicher ist, dass das ganze schlicht Android Home genannt werden wird. Zumindest ist in der Raumeinteilung für die I/O schon einmal ein Stand unter diesem Namen markiert...

Bezahlservice

Als weitgehend gesichert kann die Vorstellung von Android Pay angenommen werden. Immerhin hat Googles Produktchef Sundar Pichai dies doch schon vor einigen Monaten ausgeplaudert. Dabei handelt es sich allerdings nicht um einen Ersatz für Google Wallet sondern um ein Set von Schnittstellen, um den Zugriff auf Bezahlvorgänge bei dem Betriebssystem zu standardisieren. Dahinter können die einzelnen Anbieter dann ihre eigenen Services laufen lassen.

Ein neues Nexus 5?

Foto: Google

Neue Nexus-Smartphones werden von Google üblicherweise im Oktober / November vorgestellt, so läuft es bei Google seit Jahren ab. Insofern sind die Chancen auf einen Nexus-6-Nachfolger / eine Ergänzung mit kleineren Abmessungen auch heuer nicht all zu hoch. Dass es dieses Jahr doch nicht vollständig ausgeschlossen ist, hat einen einzigen Grund: Google könnte ein billigeres Smartphone für sein Mobilfunknetzwerk Project Fi brauchen. Der Zugang zu diesem ist bisher auf das hochpreisige Nexus 6 beschränkt, da man für einige der gebotenen Features die Möglichkeit benötigt, schnelle Softwareanpassungen vorzunehmen. Und dessen Verbreitung ist - wie auch Google eingesteht - dermaßen gering, dass es schwer sein könnte, ausreichend Tester zu bekommen.

Gegen jegliche Nexus-Spekulationen spricht allerdings, dass die Leaks zur nächsten Smartphone-Generation bisher ziemlich vage sind, üblicherweise gibt es hier schon Wochen vor einer Vorstellung deutlich konkretere Informationen. Insofern würden wir die diesbezüglichen Chancen als gering bewerten. Finanzielle Motive - - angesichts des schleppenden Nexus-6-Verkaufs spielen hingegen sicher keine Rolle: Google ist kein klassischer Hardwarehersteller, das Unternehmen verfolgt mit Nexus-Geräten immer strategische und nicht monetäre Ziele..

Update-Garantie

Zumindest scheint Google aber gewillt ein Update-Versprechen zu geben, wie vor kurzem durchgesickert ist. Nexus-Geräte sollen künftig mindestens zwei Jahre lang nach ihrer Vorstellung die neueste Android-Generation halten, und noch ein Jahr danach mit Sicherheitsupdates für das Betriebssystem versorgt werden. Wirklich viel würde dies an der aktuellen Situation zwar nicht ändern - immerhin wird derzeit sogar noch das Nexus 7 (2012) mit Updates versorgt - trotzdem ist es begrüßenswert, dies offiziell zu machen. Und sei es nur, um Druck auf andere Android-Hersteller auszuüben.

Project Fi

Doch kommen wir zurück zu Project Fi: Das Mobilfunkangebot wird sicher eine wichtige Rolle auf der Konferenz einnehmen, ist es doch gemeinsam mit Google Fiber und Project Loon einer der vielen Versuche des Unternehmens die Internetverfügbarkeit zu verbessern. Große Ankündigungen sind in dieser Hinsicht allerdings eher nicht zu erwarten, ist der offizielle Launch doch erst wenige Wochen her. Allerdings wäre ein Nexus-Smartphone gemeinsam mit einer Google-Fi-Simkarte aus Google-Sicht das optimale "Goodie" für Konferenzteilnehmer - zumindest für jene, die aus den USA stammen. Immerhin verfolgt Google mit der Weitergabe von Geräten an die anwesenden Entwickler immer konkrete Ziele - und Fi ist hier heuer sicher eines der wichtigsten Experimente, für die man qualifizierte Tester benötigt.

Polymer 1.0 und Material (Re-)Design

Screenshot: Andreas Proschofsky / STANDARD

Viel Raum nimmt auch dieses Jahr wieder das Thema Design im Zeitplan der Konferenz ein, allerdings verschiebt sich der Fokus dieses Jahr zunehmend in Richtung Web. Die Google I/O soll denn auch die Veröffentlichung des Web-Entwicklungs-Frameworks Polymer in der Version 1.0 bringen. Auf dessen Basis wurde etwa erst vor kurzem Google Play Music umgestaltet, die Konferenz könnte dann gleich zur Vorstellung weiterer Redesigns genutzt werden. Der Google Calendar würde sich hier beispielsweise dringend anbieten.

Google Photos

Dazu passt ganz gut, dass die I/O auch die lange erwartete Herauslösung von Google Photos aus Google+ bringen soll - einhergehend mit einer grundlegenden Umgestaltung des Foto-Services. Google+ wird so zunehmend auf den eigentlichen Nachrichtenstream reduziert, während all die unpopulären Zwangsverzahnungen nach und nach wieder entfernt werden. Bleibt abzuwarten, ob auch die Hangouts und die einst in Google Maps untergebrachten Location-Dienste (Latitude!) entbündelt werden.

Chrome meets Android

Da die Entwicklung von Chrome (OS) deutlich offener erfolgt als jene von Android gibt es in diesem Bereich üblicherweise weniger Überraschungen. Zu erwarten ist heuer die konsequente Fortsetzung dessen, was vergangenes Jahr gesät wurde. Und das heißt: Chrome und Android wachsen immer enger zusammen. Bereits auf der letzten I/O wurde die Ausführung von Android-Apps in Chrome OS gezeigt, bisher ist dies offiziell, aber auf wenige ausgewählte Programme begrenzt. In Zukunft könnten Android-Apps hingegen überall dort laufen, wo Chrome verfügbar ist - eine Art universelle App-Plattform also.

Bis es soweit ist, wird zwar noch etwas Zeit vergehen, der Trend geht aber fraglos in diese Richtung. Eines der fehlenden Puzzlestücke wäre eine bessere Verschränkung - oder gar Zusammenführung - des Chrome Webstore mit Google Play. Die Nutzung der Google Play Services für Android-Apps im Chrome ist ohnehin bereits in Entwicklung und sollte den Weg für viele weitere Android-Apps freimachen. Gleichzeitig geht Google die Vereinheitlichung der Entwicklung auch von der anderen Seite an, und bereitet den Einsatz von Web-Apps unter Chrome vor.

Chromecast 2?

Foto: Andreas Proschofsky / STANDARD

Seit Monaten gibt es Hinweise darauf, dass Google die Veröffentlichung eines Chromecast-Nachfolgers plant. Für eine neue Generation des HDMI-Sticks darf vor allem mit stärkerer Hardware gerechnet werden. Also 802.11ac/5GHz-WLAN-Support, eventuell 4K-Streaming. Und wer weiß, vielleicht wird sogar noch Android TV dazugepackt, ähnlich wie es Amazon bei seinem FireTV Stick tut.

Chromebit

Apropos HDMI-Sticks: Auch das vor einigen Monaten erstmals angekündigte Chromebit - ein Mini-Rechner mit Chrome OS - sollte nicht vergessen werden. Immerhin hat man hier eine Veröffentlichung für Mitte des Jahres angekündigt. Übrigens ebenfalls ein Gerät, das ganz oben auf der Liste der potentiellen "Goodies" für die anwesenden Entwickler steht.

Youtube

Und dann wäre da noch Youtube: Eine der wenigen Google-Abteilungen, die nicht unter die Verantwortung von Sundar Pichai steht, und üblicherweise ihren eigenen Zeitplänen folgt. Sollte es in dieser Hinsicht etwas auf der I/O zu sehen geben, könnte dies aber durchaus spannend werden. Die Wandlung der Plattform zu immer professioneller erstelltem Content - samt Partnerschaften mit der Filmindustrie - ist unübersehbar. Auch von einer mobilen Live-Streaming-Lösung analog zu Periscope und Meerkat war zuletzt in der Gerüchteküche zu hören - wobei sich ohnehin die Frage stellt, wieso Google ähnliches nicht schon vor Jahren gestartet hat. Die nötige Infrastruktur hat man ja schon länger.

China

Bleibt der aus strategischer Sicht wohl wichtigste Block für das Unternehmen, bei dem aber alles andere als sicher ist, ob dieser bei der I/O eine Rolle spielen wird. Google will in den chinesischen Markt zurückkehren, auch das hat Sundar Pichai bereits vor Monaten angedeutet. Wichtig wäre dies vor allem rund um Android, wo bisher in China ein Wildwuchs an Dritt-App-Stores existiert, der auch der Sicherheit der Geräte nicht gerade zuträglich ist. Auch die Play Services von Google fehlen dabei üblicherweise. Ein Launch in China würde wohl mit Hardwarepartnerschaften einhergehen, bei der Software sind hingegen deutliche Unterschiede zu Google Android in anderen Ländern zu erwarten. Blockiert die chinesische Regierung doch regelmäßig zentrale Google-Services wie Gmail, eine vorgeschrieben Auslieferung wäre hier nur begrenzt sinnvoll.

Disclaimer

Wie immer bei solchen Artikeln gilt: Es ist längst nicht sicher, dass Google all die erwähnten Dinge auch wirklich auf der I/O zeigen wird. Immerhin können sich Zeitpläne ändern, manchmal werden in Entwicklung befindliche Projekte ganz wieder eingestellt, wie es etwa vergangenes Jahr bei Android Silver der Fall war. Umgekehrt wird Google sicher wieder die eine Überraschung parat haben. Man darf also weiter gespannt sein, und dies durchaus bereits vor der eigentlichen Konferenz. Veröffentlicht Google doch üblicherweise schon in den Tagen zuvor all die Ankündigungen, die in der Keynote keinen Platz mehr gefunden haben.

Live vor Ort und zuhause

Der STANDARD wird dabei einmal mehr vor Ort sein und umgehend über all die Neuerungen berichten. Zudem werden wir den Live-Stream der Keynote (Donnerstag, 28.5, 18:00 MESZ) übernehmen, um geneigten Leserinnen und Lesern einen Ort zu geben, die Ankündigungen gleich mit anderen im Forum zu diskutieren. (Andreas Proschofsky, 25.5.2015)