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Sicherheitskräfte bewachen jenes Haus in der pakistanischen Garnisonsstadt Abbottabad.

Foto: EPA/MD NADEEM

Als Greg Palast mit "The Best Democracy Money Can Buy" kräftig gegen den Strich bürstete, führte er nicht nur die Bestsellerlisten an, auch bei Osama Bin Laden stand sein Werk im Regal. Der investigative Journalist hatte seine kalifornische Heimat verlassen, um freiberuflich in London zu arbeiten, für die BBC und den "Guardian". Nun, da die Regierung Barack Obamas neben Briefen, Videos und Zeitungsartikeln eine Liste der Buchtitel freigegeben hat, die man im Mai 2011 beim Sturm auf das Anwesen des Terrorchefs fand, reizt es den Mann aus Los Angeles, das Bizarre an der Literatursammlung ironisch aufzuspießen.

Ihm gefalle die Vorstellung, wie die Navy Seals mit ihren Nachtsichtgeräten sein Buch aus einem Regal in der pakistanischen Stadt Abbottabad ziehen und es schließlich einem kleinen Zirkel von Geheimagenten in der CIA-Zentrale in Langley übergeben. "Natürlich wussten unsere Agenten schon, was drinsteht. Einige von ihnen waren ja meine Geheimquellen."

Und Christine Fair, Asienspezialistin an der Georgetown University, malt sich aus, wie der Leser in seinem Versteck das Vorwort ihrer Studie über Korruption, nicht beherrschbare Stammesgebiete und chaotische Millionenstädte in Pakistan überfliegt und mit zufriedenem Lächeln bemerkt: "Ja, so kann man es sagen". Sie könne sich denken, dass ihn einigermaßen beruhigt habe, was sie über das zerrissene Land schrieb.

"Obamas Kriege" und der Watergate-Skandal

"Bin Ladens Bücherregal": Unter einem Titel, der ungewöhnlich blumig klingt für die Schattenwelt der Spionage, hat der Koordinator der US-Geheimdienste die Auswahl publik gemacht. Es ist eine Literaturliste, die für Aufsehen sorgt. Einige der Bücher sind interessierten Amerikanern gut bekannt. Etwa "Obamas Kriege" von Bob Woodward, der mit Carl Bernstein den Watergate-Skandal aufdeckte, oder "Aufstieg und Fall der großen Mächte" aus der Feder des Historikers Paul Kennedy.

Dass Bin Laden Michael Scheuers "Imperiale Hybris" las, liegt auf der Hand, wenn man weiß, dass Scheuer eine Zeitlang die Abteilung Alec leitete, jene CIA-Sparte, die Jagd auf den Anführer Al-Kaidas machte.

Andere Titel lassen auf eine ausgeprägte Leidenschaft für Verschwörungstheorien schließen. Da ist "Bloodlines of the Illuminati", ein Schinken von Fritz Springmeier über die vermeintlichen Drahtzieher der neuen Weltordnung. Da ist der abstruse Versuch des Theologen David Ray Griffin, den Einsturz der Zwillingstürme des World Trade Centers statt mit der Attacke von Flugzeugentführern mit vorab deponierten Sprengsätzen zu erklären.

Andere Schriften sind so etwas wie jihadistische Pflichtlektüre, beispielsweise die grobe Karikatur amerikanischen Lebens, wie sie der Ägypter Saijid Qutb, wichtiger Theoretiker der Muslimbruderschaft, nach einem Besuch der Vereinigten Staaten entwarf.

Fragwürdiges Timing

Nur ist der Erkenntnisgewinn relativ gering. "Wie wollt ihr einen Krieg (gegen Al-Kaida, Anm.) gewinnen, dessen Kosten wie ein Hurrikan über eure Wirtschaft hinwegfegen und euren Dollar schwächen?", lautet die Frage in einem Brief, den die CIA Bin Laden zuschreibt. Nichts Neues also; wer mit Überraschungen gerechnet hatte, sieht sich enttäuscht. Das Timing wirft indes andere Fragen auf: Gehen die Geheimen an die Öffentlichkeit, weil sie Seymour Hersh eins auswischen wollen? Führt die Spionagezentrale einen Propagandafeldzug gegen einen Reporter? Vor knapp zwei Wochen hatte Hersh, hochgeachtet, seit er das Vietnamkriegsmassaker von My Lai aufdeckte, dem Kabinett Obama in allen Punkten widersprochen, als er die These aufstellte, die Pakistanis hätten Bin Ladens Kopf gleichsam auf dem Silberteller präsentiert. An der Geschichte stimme kein einziger Satz, blies Michael Morell, einst Vizedirektor der CIA, zum Gegenangriff.

Genau diesen Eindruck soll die Dokumentensammlung aus Abbottabad offenbar erhärten. Bleibt abzuwarten, wie Hersh die Retourkutsche pariert. (Frank Herrmann aus Washington, 21.5.2015)