Aufgehender Germteig sieht ziemlich furchterregend aus: Was, wenn das in unserem Darm passiert? Daten über eventuell gesundheitsschädigende Wirkung gibt es allerdings nur aus der Gerüchteküche.

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Wien - Die Nachricht kam von einer Kollegin. Bei Facebook, erzählte sie, kursierten gerade Warnungen vor Brot und Brötchen aus Backmischungen und industriell vorgefertigten Teiglingen. Diese wären oft nicht vollständig ausgebacken, was wiederum vermehrt zu Hefeallergien bei den Verbrauchern führen würde. Was sei da wohl die genaue Ursache?

Nun wissen die meisten von uns längst: Das Internet ist die größte Gerüchteküche aller Zeiten. Unfassbar, welch haarsträubende Geschichten dort regelmäßig zu lesen sind, gerade wenn es um Gesundheitsfragen geht. Sogar die abstrusesten Behauptungen finden offenbar immer noch ihre Anhänger. Wer braucht schon wissenschaftliche Studien und Belege, wenn's sich so schön gruseln lässt - vor der Pharmaindustrie bis zur "Milchmafia".

Gerüchteküche in sozialen Netzwerken

Doch es ist natürlich nicht alles Schmarrn, was in den weltweiten Netzwerken serviert wird. Ernst zu nehmende Experten präsentieren ihre Beobachtungen zunehmend auch über informelle Kanäle. Es geht darum, die Spreu vom (Achtung, Gluten!) Weizen zu trennen. Ein mitunter sehr mühsamer Prozess.

Was die ungaren Backwaren betrifft: In der Medizin sind tatsächlich Hefeallergien bekannt. Aber Hefe ist nicht gleich Hefe. Es gibt dutzende verschiedene Spezies dieser Mikroorganismen, mit denen wir täglich in Kontakt kommen. Sie sind überall in der Umwelt, manche leben direkt auf unserer Haut.

Eine besondere, jahrtausende alte Beziehung hat der Mensch zu Saccharomyces cervisiae, besser als Brau- und Bäckerhefe bekannt. Ohne sie kein Bier, Wein oder lockerer Hefeteig. Die Winzlinge sind eine der wichtigsten Stützen europäischer kulinarischer Kultur.

Allergische Reaktionen gegen Saccharomyces cervisiae treten vornehmlich als das sogenannte Bäckerasthma auf. Diese ziemlich seltene Berufskrankheit kann übrigens nicht nur von Hefe, sondern auch von Mehl, Milben und Schimmelpilzen ausgelöst werden.

Spärliche Fakten zur Datenlage

Die Aufnahme der dafür verantwortlichen allergenen Substanzen erfolgt gleichwohl über die Atemwege, wie die Molekularbiologin Ines Swoboda von der Fachhochschule Campus Wien betont. Wenn Hefe und ihre Bestandteile jedoch mit der Nahrung in den Körper gelangen, treten fast nie allergische Symptome auf. "Einzelne Fallberichte gibt es natürlich", erklärt Swoboda.

Ein interessantes Beispiel ist die Geschichte eines sechsjährigen italienischen Buben, der asthmatisches Husten und Hautrötungen nach dem Verzehr von ofenfrischer Pizza oder Brot bekam, ein Fall der in European Annals of Allergy and Clinical Immunology (Bd. 37, S. 271) publiziert wurde. Seine Sensibilisierung gegen S. cervisiae wurde per IgE-Test bestätigt. Einige Stunden alte Backwaren konnte das Kind jedoch problemlos essen. Warum, blieb ungeklärt.

Könnte Hefe im Gebäck aus Teiglingen oder Fertigmischungen ebenfalls eine spezielle allergene Wirkung haben? Wahrscheinlich nicht, meint Ines Swoboda. "Hieb- und stichfeste Daten gibt es darüber aber gar nicht." Die einschlägigen wissenschaftlichen Datenbanken haben zu dieser spezifischen Frage kaum Relevantes zu bieten.

Wenig Substanzielles

Wer stattdessen im Netz per Suchmaschine nach einem Zusammenhang zwischen Brot und Allergien fahndet, findet zwar massenhaft Einträge, aber diese beziehen sich fast alle auf Unverträglichkeiten gegen Histamine oder Gluten. Letzteres löst bei einigen wenigen erblich vorbelasteten Menschen die Zöliakie aus, eine gefährliche Autoimmunkrankheit des Darms. Mit Hefe hat dies allerdings nichts zu tun.

Zudem ist völlig unklar, warum gerade unvollständig ausgebackene Ware die eingangs genannten Probleme verursachen sollte. Über die hefetypischen Allergene wurden bereits in den Neunzigern verschiedene Studien durchgeführt. Finnische Forscher konnten damals mehrere verdächtige Substanzen identifizieren: Proteine und eine Variante des Polysaccharids Mannan, veröffentlicht in Clinical and Experimental Allergy (Bd. 23, S. 587). Weiteren Untersuchungen zufolge sind diese Stoffe jedoch hitzestabil. Mannan zeigte sich zusätzlich resistent gegen Magensäure. Ob die Allergene an sich ihre potenzielle Wirkung im Darm entfalten können, hängt also nicht vom Backprozess ab.

Bleibt die Möglichkeit, dass nicht durch Hitze abgetötete Hefezellen den Gang durch den Magen überleben und anschließend im Darmkanal aktiv werden. Dies sei nicht ausgeschlossen, meint Ines Swoboda, aber auch nicht eindeutig belegt. Abgesehen davon nehmen wir mit der Nahrung wohl ständig lebendige Hefe auf.

Nicht in Brot allein

Die Mikroorganismen sind schließlich omnipräsent. Vor allem Joghurt und Käse können große Mengen von ihnen beherbergen. Eine Abneigung gegen Billigbrötchen aus Teiglingen ist aus kulinarischer Sicht völlig plausibel. Zu oft schmecken die bleichen Gebilde muffig oder pappig, und zu oft sind sie mit allerlei seltsamen Zusatzstoffen ausgestattet. Vielleicht lösen diese Additive Darmgrollen oder Allergien aus. Aber das ist reine Spekulation. Und S. cervisiae, der Menschen treue Helferin in Küche und Keller, träfe auch da keine Schuld.

Die besorgniserregende Facebook-Meldung scheint eher eine klassische "Ente" im modernen Mediengewand zu sein. Eine unter ach so vielen. Ines Swoboda weiß sogar von einer angeblichen Wasserallergie zu berichten. "Darauf wurde ich eine Zeitlang immer wieder angesprochen."

Eine pseudowissenschaftliche Fernsehsendung präsentierte die Geschichte und plötzlich glaubten viele Leute, daran zu leiden. Swoboda kann nur staunen. Wie sollte so etwas möglich sein, wenn doch der menschliche Körper eh zum größten Teil aus Wasser besteht? Versierte Internetgurus hingegen hätten gewiss eine Erklärung parat gehabt - und eine Lösung. Mit Granderwasser wäre das nicht passiert. (Kurt de Swaaf, 24.5.2015)