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Irakische Sicherheitskräfte inspizieren den Schauplatz eines Autobombenanschlags in der Provinz Diyala. US-Verteidigungsminister Ashton Carter warf ihnen jüngst geringe Kampfbereitschaft vor.

Foto: Reuters

Der Frust sprach aus jedem Wort. Die irakischen Einheiten hätten einfach den Kampfeswillen vermissen lassen, wetterte US-Verteidigungsminister Ashton Carter in einer Sonntagstalkshow. "Sie waren nicht in der Unterzahl, im Gegenteil, sie waren dem Gegner zahlenmäßig klar überlegen, und dennoch haben sie nicht gekämpft." Die Standpauke dröhnte so laut, dass sich der irakische Premier Haidar al-Abadi veranlasst sah, in der BBC für die Tapferkeit seiner Soldaten zu bürgen. Wenn der Gegner reihenweise Selbstmordattentäter am Steuer sprengstoffbeladener Lastwagen losschicke, dann habe das indes die Wirkung einer kleinen Atombombe und bleibe nicht ohne Folgen.

Es klingt nach "blame game", nach rhetorisch aufgeheizten Schuldzuweisungen. In Washington schlägt die Stunde der Ernüchterung. Weißes Haus und Pentagon hatten große Hoffnungen in al-Abadi gesetzt: Während Vorgänger Nuri al-Maliki die Sunniten von der Macht ausgrenzte, sollte der neue Mann sie ins Boot holen und so der Rebellion des "Islamischen Staats" (IS) das politische Hinterland entziehen.

Wunsch nach Wiederholung von 2007

Aufgegangen ist die Rechnung bisher nicht, der Fall der Stadt Ramadi lässt selbst die Optimisten allmählich verzweifeln. Um das Blatt zu wenden, setzte das Weiße Haus auf eine Strategiewende, wie sie 2007/08 schon einmal Früchte eingetragen hatte, damals unter dem Kommando des seinerzeit als Genie der Aufstandsbekämpfung gefeierten Generals David Petraeus.

Allein schon eine Personalie sollte es illustrieren: Barack Obama ernannte John Allen, einen von Petraeus‘ engsten Vertrauten, zum präsidialen Sonderbeauftragten und gab ihm den Auftrag, breite Koalitionen zu schmieden. Dem Marineinfanteristen Allen war es einst gelungen, in der Provinz Al-Anbar ein Netzwerk von Kontakten zu sunnitischen Stammesältesten zu knüpfen, zu Leuten, die gerade noch Erzfeinde waren.

Als sich die Stämme mit der Filiale Al-Kaidas im Irak überwarfen, schlossen sie ein Zweckbündnis mit den USA. Bis Sommer 2008 gingen die Attacken auf die GIs um 80 Prozent zurück.

Herzen und Hirne verloren

Allen also sollte – und soll – das Kunststück wiederholen. Der Ansatz schien logisch, stützen sich die IS-Fanatiker doch auf dieselben Bevölkerungsgruppen, mit denen die Generäle rund um Petraeus damals eine Art Burgfrieden vereinbarten – und die vom Schiiten al-Maliki mit seiner engstirnigen Politik zugunsten der eigenen Klientel erneut ins Abseits gedrängt wurden. Was allerdings das Jahr 2015 von 2007 unterscheidet, bringt Audrey Kurth Cronin, Antiterrorspezialistin an der George Mason University, auf eine markante Zeile: "Die USA können die Herzen und Hirne der Sunniten nicht gewinnen, weil das Kabinett al-Malikis sie gründlich verloren hat". Und da das US-Militär nur noch symbolisch, mit rund dreitausend Beratern, präsent sei, sei der Einfluss von vornherein begrenzt.

20.000 US-Soldaten gefordert

Republikanische Falken antworten auf das Dilemma mit der Forderung, wieder Bodentruppen ins Zweistromland zu beordern. Szenarien mit zehn- bis zwanzigtausend Mann geistern durch die konservativen Debattenzirkel. Als Wortführer der Interventionisten plädiert Senator John McCain für die Entsendung von Spezialkräften, die mit den Irakern direkt in die Gefechte gegen IS ziehen sollen. Präsidentschaftskandidaten wie Marco Rubio und Scott Walker sympathisieren mit ihm.

Nur weil die Invasion George W. Bushs schiefgegangen sei, bedeute das nicht, dass man nicht noch ein zweites Mal einmarschieren solle, zitiert Obama diese Gedankenspiele. Er selbst sieht es anders: Weder könne eine fremde Macht die Sache retten, noch könne sie stellvertretend für die Iraker die politischen Kompromisse schließen. In einem Interview mit der Zeitschrift The Atlantic sprach der Präsident neulich pointiert von den Lerneffekten des Jahres 2003. "Einfach reingehen, die bösen Buben ausschalten und hoffen, dass sich Frieden und Wohlstand automatisch entfalten – dass dies ein Irrglaube ist, sollten wir längst begriffen haben." (Frank Herrmann aus Washington, 25.5.2015)