Einblick in "Function Follows Vision, Vision Follows Reality" in der Kunsthalle Wien am Karlsplatz.
(links: Charlotte Moth "The Shaded Nature of Colour" aus dem Jahr 2015; vorne: Luca Trevisani "James Hiram Bedford" von 2015 sowie Zeichnungen von Friedrich Kiesler.)

Foto: Stephan Wyckoff

Schaufenstergestaltung für Saks Fifth Avenue, 1928

Foto: Österr. Friedrich und Lillian Kiesler-Privatstiftung, Wien

Wien - Das Tageslicht dringt durch ein Mosaik bunter Rechtecke wie durch die Glassteinchen eines Kaleidoskops. Die komplette Fensterfront der Kunsthalle am Karlsplatz hat sich in eine Fläche aus Farbfeldern verwandelt. Buntes Licht schafft eine behagliche, ja einladende Atmosphäre, erinnert an die leuchtenden Glasfenster in Kathedralen. Kathedralen?

Das Sakrale wäre so ungefähr das Gegenteil von dem gewesen, was Friedrich Kiesler im Sinn gehabt hat; schließlich arbeitete der aus Österreich stammende Architekt und Designer (1890-1965) gegen das Prinzip eines White Cubes. Mit einem gereinigten, neutralen Raum, der sich so weit zurücknimmt, dass die Kunst dort ihre eigenen Wirk- und Bedeutungsräume erobern kann - sie dort quasi weitgehend autonom ist - hatte er wenig am Hut. Kiesler strebte Korrelation an, eine fortdauernde Wechselwirkung zwischen Betrachter und Kunst. In diesem "Planetensystem", in dieser"Welt für sich" sollten die latenten Potenziale beider befreit werden, trieft sein Idealismus vom "vorurteilslosen und unvoreingenommenen Zugang zur Kunst" vor Pathos. Und dafür lenkte Kiesler Aufmerksamkeit, dirigierte und bremste aus: Die Ausstellung wird so zu einem Parcours.

Wände und Gemälde in Schwingung

Kieslers Ausstellungsarchitekturen verunklarten Ecken, schrieben Ellipsen in den Raum ein, Wände gerieten ebenso wie Gemälde in Schwingung; letztere verloren obendrein ihre Rahmen, präsentierten sich etwa horizontal über dem Boden schwebend oder an langen Armen in den Raum hineinragend. Alles war in Bewegung, erst recht der Betrachter - schließlich musste dieser sich oft ziemlich verrenken, um die ihm zugedachten Wahrnehmungsstandpunkte einzunehmen.

Und das Licht? "Das Licht einer Galerie muss aus der Dunkelheit kommen - und in Dunkelheit verschwinden", notierte Kiesler in seinem 1957 erstmals in Art News veröffentlichten Aufsatz The Art of Architecture for Art. Von "leuchtenden Wolken" ist dort weiters zu lesen, von Magie und Verführung, womit wir ruckzuck zurück in der Kunsthalle sind, wo Charlotte Moths buntes, aus einfachen, farbigen Papieren geklebtes Fensterbild lockt. "Farben und Formen sind das einfachste, das billigste, das rascheste Mittel, einen Raum visionär umzugestalten", war Kiesler überzeugt. Moth beherzigte allerdings nicht nur das: Die Sonne wird die Farben der Papiere mit der Zeit ausbleichen und ihre Raumintervention so auch Kieslers Prinzip des Nichtstatischen entsprechen.

Foto: Stephan Wyckoff

Function follows vision, vision follows reality heißt die Ausstellung nach einem Motto Kieslers. Denn sein theatraler - ja, in seiner kalkulierten Dramaturgie bisweilen auch didaktischer - Ansatz, hatte mit der strengen Natur des Leitsatzes "form follows function" nichts gemein. Nach Constantin Brancusi im Vorjahr ist nun Kiesler die kulturhistorisch wichtige Persönlichkeit, deren Ideen als Oberfläche für künstlerische Interpretationen dienen. Im Fokus stehen insbesondere seine visionären Ausstellungsgestaltungen. Heute spricht man meist nur noch von "Displays"; ein Wort, das sich wunderbar zu seiner Beschäftigung mit kommerzieller, dem Verkauf geschuldeter Gestaltung fügt - das "Pfui" des Käuflichen verschmilzt mit dem elitären "Hui" der Kunst:

1928 gestaltete er für das noble New Yorker Kaufhaus Saks Fifth Avenue die Schaufenster. Wie Kiesler, der etwa die Trennwände grob herausriss, die Auslagen in eine breite, surreal anmutende Bühne verwandelte, lassen zu Tapeten aufgeblasene Dokumentarfotos erahnen. Tatsächlich hat Kiesler am häufigsten fürs Theater gearbeitet und so kann man seine Designs auch am ehesten mit Bühnenbildern vergleichen: Aus Resonanzräumen für Texte formt er Resonanzräume für Kunst.

Schaufenstergestaltung für Saks Fifth Avenue, 1928
Foto: Österr. Friedrich und Lillian Kiesler-Privatstiftung, Wien

Die einfachen Mitteln der Gestaltung, das Wiederverwerten, das Modulieren der Umgebung durch Ton oder Licht findet sich überzeugend in Céline Condorellis Objekt Swindelier, dessen Grundstruktur aus sich verästelnd angeordneten Kupferrohren besteht. Meist sind die motivischen Zitate – auch Kieslers eigene, surrealistisch geprägte und fast unsichtbar von der Decke hängende Zeichnungen und Entwürfe– aber sehr vage, insbesondere jedoch stumm und unaufdringlich, was schon beim Brancusi-Effekt problematisch war.

Um das an einem Beispiel zu illustrieren, muss man etwas weiter ausholen: Kieslers Gestaltung der Peggy-Guggenheim-Collection The Art of this Century 1942 in den Räumen einer ehemaligen Schneiderei in Manhattan ist legendär, aber leider, ebenso wie sein Design für die Pariser Surrealistenschau fünf Jahre später, schlecht dokumentiert. Einige Eindrücke vermittelt jedoch der nie vollendete Film The Witch’s Cradle, den Maya Deren 1943 zusammen mit Marcel Duchamp in dieser charakteristischen Ausstellungskulisse drehte.

"The Witch's Cradle" (unvollendet), 1943
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Auf diese Bewegtbildquelle nimmt nun in der Kunsthalle Wien die Künstlerin Leonor Antunes mit ihrem Film String Travel Bezug, um Kiesler geht es daher nur indirekt. Bei einer zweiten, installativen Arbeit Antunes’ (Lina, 2013) müssen die Anmutung eines Raumteilers und die Materialien Holz und Leder als Konnex genügen.

Ein weiteres Beispiel: Nicole Wermers ist für ihre Arbeit Infrastruktur (2015) für den Turner-Preis nominiert. Die Installation, die nun in der Kunsthalle zu sehen ist, besteht aus Marcel-Breuer-Freischwingern, über deren Lehnen Pelzjacken hängen. Heißt es auf der Webseite des Turnerpreises, die Arbeit thematisiere Klassenzugehörigkeit, Lifestyle und Konsum, so erklärt die Künstlerin in Wien, mit der Geste des Drüberhängens eigne man sich öffentlichen Raum an. Und das passe wiederum zu den an der Schnittstelle zwischen öffentlichem und privatem Raum agierenden Schaufenstergestaltungen Kieslers. Dass Wermer Möbel als Sockel verwendet, könnte man wiederum als Parallele zu den multifunktionalen Möbelentwürfen Kieslers sehen. Kuratorin Vanessa Joan Müller erwähnt auch noch einen Bezug zu den Fotodokumenten der Peggy-Guggenheim-Schau, die von Pelzträgerinnen dominiert sind. Ist das nun alles beliebig oder eher konstruiert? Im Kuratorensprech heißt das "intuitiv argumentiert".

Foto: Stephan Wyckoff

Dass einem in der Kunsthalle Wien Interpretationen – oder gar wesentliche Basics zu Kiesler – aufgedrängt würden, darüber kann man sich wirklich nicht beschweren. Anziehend, atmosphärisch ist das Ambiente zwar trotzdem - ein Wohlfühlraum. Aber: Mit dem Vokabular eines Architekten und Visionärs zu spielen (noch dazu "intuitiv"), der weiten Gruppen unbekannt – zumindest aber unvertraut ist, ist riskant. Die Einführung zu diesem Vorwissen voraussetzenden Proseminar findet erst 2016 bei einer Personale zu Friedrich Kiesler im Museum für angewandte Kunst (Mak) statt. Dort wird man sich hoffentlich darum bemühen, das "Grundwissen Kiesler" nachzuholen. (Anne Katrin Feßler, 26.5.2015)