Computerspieler haben ein aufregendes Hobby. Sie kämpfen mit Drachen, fahren Formel-1-Boliden, erforschen fremde Planeten, kauern im Kugelhagel, lassen sich von Weltraummonstern jagen oder von blutrünstigen Bestien durch finstere Korridore hetzen. Sie erobern fremde Sonnensysteme und Planeten, lenken Königreiche und befehligen tausendköpfige Armeen auf Feldzügen ins Ungewisse. Sie berauben Banken oder liefern sich mit Gangstern Gefechte, treten mit akrobatischen Kampfkünsten oder Schwertern gegeneinander an und retten gewohnheitsmäßig die Welt. Zumindest meistens.

Manche Computerspieler haben mit dieser ganzen Aufregung weniger am Hut. Während andere in ihrer Freizeit die größtmögliche Distanz zur schnöden Realität und ihrer Arbeitswelt suchen, stürzen sie sich in ihrer Freizeit in die Berufswelt ihrer Mitmenschen: Sie liefern lieber Güter in ganz Europa aus, reparieren und lackieren Autos, tuckern mit Mähmaschinen übers Feld, heben mit Baggern Löcher aus oder fahren in der Donaustadt mit dem Bus durch die Gegend.

Farming Simulator
Foto: Professional Lumberjack 2015

Farmer nach Feierabend

Während Wirtschaftssimulationen, die die Lenkung großer Firmen oder ganzer Industriezweige bieten, schon seit Jahrzehnten ganz selbstverständlich Teil der Spielelandschaft sind, ist die vielfältige Welt der Berufssimulationen für Nichteingeweihte immer noch überraschend – vor allem: wie erfolgreich sie sind. So hat die "Landwirtschafts-Simulator"-Reihe der Schweizer Entwickler Giants Software Millionen Fans und erscheint inzwischen unter dem Namen "Farming-Simulator" auch für ein internationales Publikum. Zwei Millionen Mal verkaufte sich allein die 2013er-Auflage der Bauernsimulation, und die aktuelle Version überzeugt dank aufpolierter Grafik und nicht nur Städter beeindruckender Feature-Liste: Mehr als 100 Fahrzeuge, 40 lizenzierte Marken, Karriere- und Multiplayermodus strafen das Vorurteil vom simplen Traktorsimulator Lügen. Trotzdem bleibt für noch nicht Eingeweihte die Frage: Warum spielen so viele Menschen so gerne Arbeiten?

"Wir bieten eine romantische Alltagsflucht für Leute, die täglich im Büro arbeiten und einen Traktor nur von außen kennen. So haben sie die Gelegenheit, sich virtuell hinter das Lenkrad eines Fahrzeugs zu schwingen, das sie in der Realität sonst nie steuern könnten", antwortet Renzo Thönen, Technical Artist bei "Landwirtschafts-Simulator"-Entwickler Giant Software im schweizerischen Schlieren. "Es ist tatsächlich so, dass wir eine idyllische Version der Landwirtschaft abbilden. Und obwohl wir durchaus den modernen Bauernberuf zeigen – der 'Landwirtschafts-Simulator' simuliert ja Maschinen auf dem aktuellen Stand der Landwirtschaftstechnik –, bleibt trotzdem das ikonische Bild des Traktors, der übers Feld fährt, bestehen."

SCSSoftware
Foto: Euro Truck Simulator

Helden der Arbeit

Wahrscheinlich ist es auch bei anderen Vertretern des Genres tatsächlich die Romantik, die den Erfolg dieser Berufssimulationen ausmacht. Wer Computerspiele kauft, verbringt vielleicht in der Regel auch sonst seine Arbeitszeit vor dem Monitor - und sehnt sich nach einem Früher zurück, das dann doch eher handfester war. Dafür sprechen auch die meisten Arbeitszweige, die von diesen Spielen simuliert werden: Es sind hauptsächlich klassische, "solide Männerberufe", in denen zudem meist auch nicht das in der Realität heute überall gefragte Teamwork, sondern eher einsames Schaffen im Vordergrund steht. Als Bauer, Trucker, Mechaniker, Holzfäller oder – natürlich – Lokführer lässt sich mancher in der Realität kaum realisierbare Traumberuf entspannt genießen.

Da wundert es wenig, dass knifflige Herausforderungen und knackiger Schwierigkeitsgrad meistens eher wenig gefragt sind. "Manche Leute spielen Simulationen zur Entspannung", so Renzo Thönen. "Verglichen mit vielen anderen Spielen verlangen Alltagssimulationen in der Regel keine schnellen Reflexe, und das Spiel ist auch nicht gleich zu Ende, wenn ein Fehler gemacht wird. Das weitestgehend stressfreie Fahren durch idyllische Landschaften bei unserem Spiel hat sicherlich seinen eigenen Reiz."

Das Wörtchen "Simulation" im Titel der meisten dieser Spiele ist demnach auch recht dehnbar – wenden sich etwa echte Bauern nicht mit schallendem Gelächter vom "Landwirtschafts-Simulator" ab? Thönen: "Im Gegenteil! Unsere Spieler sind natürlich auch echte Landwirte, die hier ganz ohne Schweiß perfekte Furchen durch ihren Acker ziehen können. Viele kennen sich durchaus in der Landwirtschaft aus und sind mit den technischen Details der simulierten Maschinen bereits vertraut. Wir müssen aber einen Mittelweg zwischen Komplexität und Zugänglichkeit finden. Für die 'Profis' stehen eher Realismus und die Verwendung von echten Marken im Vordergrund, und sie wünschen sich verständlicherweise einen möglichst hohen Realitätsgrad. Gleichzeitig müssen wir aber auch Spieler ansprechen, die sich kaum oder gar nicht in der Landwirtschaft auskennen – schließlich machen auch Kinder einen nicht unbeträchtlichen Teil der Spieler aus. Der 'Landwirtschafts-Simulator' ist hier sozusagen die virtuelle Version des Traktors im Sandkasten."

ViewApp
Foto: Car Mechanic Simulator

Was spielt der Bauer am Abend?

Wie schön, dass auch hier die berühmte Definition des Begriffs "Spiel" durch den Kulturhistoriker Johan Huizinga greift: Ein Spiel, so wissen wir dank ihm, ist "eine freiwillige Handlung oder Beschäftigung, die innerhalb gewisser festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum nach freiwillig angenommenen, aber unbedingt bindenden Regeln verrichtet wird, ihr Ziel in sich selber hat und begleitet wird von einem Gefühl der Spannung und Freude und einem Bewusstsein des 'Andersseins' als das 'gewöhnliche Leben'." Auch für "echte" Bauern ist das beschauliche virtuelle Ackern auf vielleicht sonst unerschwinglichen High-End-Traktoren mit Sicherheit "anders" als das gewöhnliche Leben – und für vom Landleben träumende Stadtbewohner sowieso.

Fest steht: Die Welt der Berufssimulationen ist für Außenstehende ein Kuriosum – für die Millionen Fans, die mit Begeisterung zwischen Dutzenden verschiedenen, mehr oder weniger auf Hochglanz polierten Simulationen verschiedenster, nur auf den ersten Blick banaler Berufswelten wählen können, sind sie mindestens so spannend wie die x-te Weltrettung vor immergleichen Außerirdischen. "Beruf" hat wohl doch etwas mit "Berufung" zu tun. Der "Working from Home Simulator" wird hingegen wohl kaum zu kommerziellen Höhenfliegen aufbrechen. (Rainer Sigl, 27.5.2015)