In der Region um den See sind viele Menschen von den Fischbeständen des Gewässers abhängig.

Foto: André Ballin

Diese Algen hat es vor ein paar Jahren am Baikalsee noch nicht gegeben, sie bereiten Sorge.

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Die Landschaft rund um das Posolskoje Haff.

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Die Sonne spiegelt sich im Baikalsee, und die Bewohner rund um das Gewässer hoffen, dass sie das auch lange noch tut.

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Weiß leuchten die schneebedeckten Bergkuppen des Sajany-Gebirges im Hintergrund. Den Himmel darüber haben Wind und Maisonne blau geputzt. Im schier endlosen Wasser spiegelt er sich um einen Farbton tiefer und satter wider. Am Ufer käuen friedlich die Kühe das erste Grün. "Vorsicht mit dem Ruder, damit wir nicht auf Grund aufsetzen", warnt Wiktor plötzlich. Langsam manövriert er das kleine Motorboot durch die Untiefe. Das Wasser in den "Posolskije Sory", eines der zahlreichen Haffs an der Ostküste des Baikalsees, glitzert, doch bei näherem Hinsehen ist der schlammige Boden kaum 50 Zentimeter unter der Oberfläche zu erkennen. "Um einen halben Meter ist das Wasser hier gesunken", sagt Wiktor, der sich als Mitarbeiter der Fischwacht vorstellt.

Der Baikal ist mit maximal 1.642 Metern der tiefste See der Erde. Ein Fünftel der weltweiten Süßwasserreserven lagern hier, gigantische 23.600 Kubikkilometer hochwertigen Trinkwassers. Einer gewaltigen Pumpe gleich saugt er das Wasser von rund 500 Flüssen an, säubert es und leitet es dann in die Angara, den einzigen Abfluss des von den Burjaten als "Heiliges Meer" verehrten Sees. Über 60 Kubikkilometer pro Jahr fließen rein und wieder raus.

Erinnerungen an den Aralsee

Doch nun ist das Gleichgewicht aus den Fugen geraten und der Pegel unter die als kritisch geltende Marke von 456 Metern über dem Meeresspiegel gefallen. An eine Wiederholung des Aralsee-Dramas, der innerhalb von nur 50 Jahren durch intensive Landwirtschaft fast völlig ausgetrocknet ist, wollen derzeit selbst Umweltschützer nicht glauben.

Doch die Folgen des Wasserrückgangs sind schon jetzt empfindlich: Fischer klagen über einen deutlichen Rückgang der Ketalachse und des endemischen, bei Feinschmeckern begehrten Omul. Sergej Schapchajew, Leiter der Umweltorganisation "Regionale Baikalunion Burjatiens", beziffert die Verluste allein für die Fischwirtschaft auf 24 Milliarden Rubel (über 400 Millionen Euro). "Den Schaden zu berechnen, der durch die Dezimierung der Mikroorganismen entstanden ist, ist praktisch unmöglich", fügt er hinzu. Diese Organismen sind das Herz des Baikals, sie säubern ihn und bilden die Nahrungsgrundlage für den einzigartigen Artenreichtum.

Rodung der Wälder

Für das schnelle Absinken des Wasserspiegels machen die Fischer in Posolskoje neben den seit Jahren ungewöhnlich niedrigen Niederschlagsmengen das massenhafte Abholzen der Taiga in Burjatien verantwortlich. Mit ihrer Meinung sind sie nicht allein: "Das intensive Roden der Wälder hat dazu geführt, dass bei uns in Burjatien 10.000 Flüsse und Bäche ausgetrocknet sind", sagt Alexej Tiwanenko, Ex-Wissenschaftler am Baikal-Institut für Umweltnutzung. Dadurch sei der Zufluss in den Baikal stark geschrumpft, fügt er hinzu.

Die Bäume halten mit ihren Wurzeln das Wasser im Boden. Sie dienen damit als Speicher für Trockenzeiten, wie sie aktuell in dem Teil Sibiriens herrscht. Doch illegaler Holzeinschlag hat nach den Worten des Umweltschützers Gennadi Klimow schon große Teile der Taiga Burjatiens in eine "Mondlandschaft" verwandelt. Das Holz geht dann zumeist unbehelligt vom Zoll in riesigen Ladungen nach China.

Angst vor dem Sumpf

Auch Klimow klagt über ausgetrocknete Flüsse, sinkendes Grundwasser und versiegende Brunnen. Werde nicht schnell gehandelt, so "wird der Baikal in drei bis fünf Jahren zu einem stehenden Gewässer. Er wird zum Sumpf. Die Symptome sind schon zu sehen – am Nordbaikal werden faulende Pflanzen ans Ufer gespült", warnte er. Tatsächlich droht eine Algenplage den See zu vergiften.

Obwohl der Baikal bei den Russen hohen Symbolwert besitzt, haben die meisten Menschen in der Region die Problematik des Raubbaus noch nicht erkannt, räumt Klimow ein und illustriert mit einem eher traurigen Witz die Wirtschaftslage: Nachdem ein Mann wegen illegalen Holzfällens zu einer Geldstrafe verurteilt wird, geht er aus dem Gerichtssaal, zieht sich um und greift sich die Axt. "Du wurdest doch gerade deswegen verurteilt", schimpft der Richter. "Wie soll ich denn sonst die Strafe bezahlen", fragt der Holzfäller zurück.

Kaskade an Staudämmen

Laut Schapchajew ist das Abholzen der Wälder allerdings nicht das einzige Problem: Er sieht in den riesigen Wasserkraftwerken die größte Gefahr für den Baikal. In sowjetischer Gigantomanie wurde entlang der Angara eine ganze Kaskade an Staudämmen errichtet. Bei normalem Wasserstand funktionierten diese einigermaßen im Einklang mit der Natur, doch in Stresssituationen, also bei Hochwasser oder in einer Trockenzeit erhöhten sie den Druck auf das Ökosystem, klagt er.

So ist nach intensivem Sand- und Kiesabbau im Becken unterhalb des Irkuzker Staudamms der minimale Wasserablauf aus dem Baikal von 1.050 auf 1.300 Kubikmeter pro Sekunde gestiegen. Trotz des geringeren Zulaufs fließt also derzeit mehr Wasser aus dem Baikal ab als früher. Zudem haben die Kraftwerker im Winter nach einer falschen Wetterprognose aus Angst vor Überschwemmungen noch mehr Wasser abgelassen und so nicht unwesentlich den Pegelstand gesenkt.

Schnellere Veränderungen

In seiner 25 Millionen Jahre alten Geschichte hat der Baikal schon mehrfach Feucht- und Trockenperioden durchlebt, womit der Pegel auch schon deutlich höher oder niedriger stand als heute. Das Problem jetzt ist, dass die Veränderungen aufgrund der menschlichen Tätigkeit viel schneller vor sich gehen als in vorzivilisatorischer Zeit und die Organismen im Baikal keine Zeit haben, sich umzustellen.

Der reale Kollaps droht dem See, wenn die Mongolei ihre aktuellen Wasserkraftpläne verwirklicht: Russlands südlicher Nachbar will nämlich zur Ausbeutung seiner Rohstoff-Lagerstätten an der Selenga, dem größten Zulauf des Baikal, ebenfalls mehrere Staudämme errichten. Das bedeutet, dass über Jahre hinweg weniger Wasser in den Baikal fließen wird.

Schlimmer noch: Eine der Ideen besteht darin, einen Teil der Selenga zur Bewässerung der Wüste Gobi umzuleiten. Damit würde der Zulauf dauerhaft verringert. Die Folgen dieses Projekts sind noch nicht abzusehen – in diesem Fall wäre das Horrorszenario Aralsee aber nicht mehr auszuschließen. (André Ballin aus Posolskoje, 28.5.2015)