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Immer im Blick: Wo bleibt da die Privatheit?

FOTO: APA/GEORG HOCHMUTH

In der mediatisierten Welt von heute lassen wir uns alle in irgendeiner Art und Weise bereitwillig ausleuchten durch Dateninterpreten wie Google, Facebook und Apple.

Transparenzgesellschaft ist ein Schlagwort, das zumeist unreflektiert positiv konnotiert ist. Bei Wikileaks trifft dies auch zu und es gibt zig andere Beispiele. Doch die totale Transparenz oder schon die Angst vor permanenter Spionage führte auch dazu, dass man weniger verschriftlicht, keine USB-Schnittstellen bei Computern mehr zulässt oder mehr in kleinen Grüppchen geheim abstimmt und lenkt. Die Bemühungen um Transparenz haben sogar zu einem Rückschritt geführt in der öffentlichen Legitimation politischen Handelns.

Totale Transparenz

Wir sind auf dem besten Weg zur totalen Transparenz. Die Überwachung in der digitalen Welt ist enorm, Gerichte kommen mit ihren ohnehin oftmals praxisfremden Paragrafen der – im Netz zumeist internationalen – Realität nicht nach.

Der Anspruch auf totale Transparenz würde jedoch dazu führen, dass "alles" sichtbar wird und somit die Lebenswelt zum Objekt eines pornografischen Blicks mutieren würde. Dieser ständige Blick würde auch zu einer Systemstabilisierung führen weil jedes Verhältnis in ein Gleichgewicht der Kräfte oder Mächte gebracht wird und weil Informationsvorsprünge im total Transparenten nicht mehr existieren können. Dann wäre die Gesellschaft vor allem eines: totalitär, leer und nicht mehr flexibel oder frei. All jene, die gerne alles gleich machen möchten, hätten dann ihr Ziel erreicht.

Quasireligiöse Instanz

Der fremde Blick des Internets scheint heute Disziplinierungsmittel und moralischer Imperativ für die totale Transparenz zu sein. Diesen Eindruck vermittelt zumindest die Aussage von Google-Chef Eric Schmidt: "Wenn es etwas gibt, von dem Sie nicht wollen, dass es irgendjemand erfährt, sollten Sie es vielleicht ohnehin nicht tun." Das Internet als quasireligiöse Instanz, die mir sagt, was ich zu tun und zu lassen habe und in welcher Hinsicht ich mich ändern beziehungsweise bekehren muss?

Es geht hier nicht um ein Schlechtmachen von Transparenzbestrebungen. Jedoch neigen wir dazu, Transparenzregeln in weitere Bereiche des Lebens zu etablieren. Finanzsektor, Familienpolitik, Verkehrspolitik und so weiter – bis irgendwann alles total durchgestylt ist für den "modernen" Menschen 2.0. Der sich dann um nichts mehr kümmern muss, und folglich auch nichts mehr können muss, weil fremdgesteuert.

Der Schein der Sichtbarkeit

Doch genau das brauchen wir: Menschen, die Information zu Wissen verarbeiten können weil unser Leben immer unsichtbarer wird. Wir erkennen immer weniger wie die Regeln, Mechanismen, Prozesse und Infrastrukturen aussehen, die unserem Leben zugrunde liegen. Transparent ist nur die Oberfläche – diese spiegelt uns den Schein der Sichtbarkeit vor.

Die menschliche Identität sollte ein offenes, facettenreiches, sich wandelndes Konstrukt sein. Niemand sollte in der Lage sein, die Identität eines Menschen auf den Punkt bringen zu können, oder umfassend beschreiben können. Aber wir tun es alle irgendwie täglich – wir können ja auch scheinbar alles und jeden beobachten, doch verlieren wir uns dabei womöglich selbst aus dem Blick.

Privatheit ist der Feind der Diktatur

Es ist ja auch eine Dauerpräsenz von Privatem im öffentlichen Bereich zu beobachten: Neben lautstarken Telefonaten wird der Beichtstuhl in die Talkshow verlegt. Ob auf Bahnhöfen, Autobahnen oder Schulhöfen, der Blick der zahlreichen Videoinstallationen beobachtet mich.

Wer Privatheit als überholt und nicht mehr zeitgemäß betrachtet, verkennt, dass es dabei nicht um Geheimniskrämerei oder Gesellschaftsmüdigkeit, sondern um einen wesentlichen Teil der persönlichen Freiheit geht. Dass ohne das Grundrecht auf Privatheit eine freie Gesellschaft nicht möglich und Privatheit der Feind jeder Diktatur ist, zeigt sich an totalitären Staaten: Wer sich ständig überwacht und beobachtet weiß, sieht sich zur Konformität gezwungen. (Wolfgang Glass, 1.6.2015)