Seit ich vor Jahren diese großartigste aller Hahnen-Geschichten gelesen habe, träume ich immer wieder vom Hähne kochen. Lange aber war der Gockel in Österreich für Nicht-Bauern kaum zu bekommen. Hier durfte ich zumindest einmal beobachten und mitessen, vor zwei Wochen habe ich nun endlich selbst einen Hahn in die Finger bekommen. Gleichzeitig sieht es so aus, als würden wir bald alle etwas mehr Gockel essen – es dräut eine Art Hahnendämmerung.

Ab kommendem Jahr sollen in der Bio-Legehennen-Haltung die männlichen Küken nicht mehr wie bisher gleich nach dem Schlüpfen geschreddert, sondern aufgezogen, gemästet und dann geschlachtet werden (Mehr Details hier und hier). Neun Wochen soll die Mast dauern, für ein Industrie-Hühnertier ein ungewöhnlich langes Leben.

Das ist an sich eine erfreuliche Entwicklung. Auf Facebook bin ich dann aber auf ein kritisches Posting von Reinhard Geßl gestoßen, Tierhaltungs-Experte am Forschungsinstitut für biologischen Landbau und, was ich bisher mitbekommen habe, ein sehr vernünftiger Mensch. Ich habe ihn daher angerufen und gefragt, was ihn denn stört an dem Plan. Ich finde seine Punkte sehr interessant, und sie zeigen schön, wie schnell es kompliziert wird, wenn's ums Essen und die Lebensmittelindustrie geht. Wen es interessiert: Einzelheiten weiter unten.

Foto: Tobias Müller

In den vergangenen Jahren wurden bereits einige andere, kleinere Hahn-Projekte (Tonis Henne & Hahn, Pionierprojekt Haushuhn & Gockelhahn) gestartet, die teilweise auf andere Rassen setzen und die Hähne länger und größer mästen. Einen davon habe ich nun trotz aller möglichen Bedenken freudig verkocht – weil ich die Idee, genauso wie der Herr Geßl, prinzipiell sehr unterstützenswert finde, weil letzte Woche wieder Gockel ausgeliefert wurden und weil man doch vorbereitet sein will, wenn irgendwann die Märkte wieder voller Hähne sind. Weil es mein erster selbst gekochter Hahn war bin ich die Zubereitung sehr klassisch angegangen.

Vor dem Rezept noch eine Bitte: Posten oder schreiben Sie mir Ihre liebsten Hendl-Anbieter: die Fleischer (oder Metzger), die Hendln von kleinen Bauern anbieten, die kleinen Bauern, die sie direkt ab Hof verkaufen, und auch die etwas größeren, die sich alle Mühe geben, ihren Hühnern und Hähnen ein würdiges Leben und einen würdigen Tod zu sichern. Aus all den Einsendungen soll dann einmal eine größere Geschichte werden.

Coq au Vin, fast klassisch

Generell ist der Hahn zumindest in der Küche ein sympathischeres Tier als das gemeine Huhn: er hat eine viel kleinere Brust und viel größere, fleischige Haxen. Gleichzeitig macht er es dem Koch nicht leicht: Sein Körperbau, vor allem seine Knochen, sind deutlich kräftiger, was der Zerlegen erschwert. Sein Fleisch ist fester, weswegen sich der Hahn nicht zum schnellen Braten eignet. Wer ihm Zeit, Liebe und seinen Schmortopf widmet, wird aber belohnt: mein Hahn war geschmacksintensiv, herb und köstlich, seine Schenkel und Flügel fest und saftig.

Weil mein letzter Hahn eine leicht animalische Note hatte, habe ich zu kräftigen Gewürzen und Rotwein gegriffen. Ich habe ihn mehr oder weniger nach dem Bocus'schen Rezept für Coq au Vin zubereitet - ohne Speck (zu dominant) und Perlzwiebel (zu schwer zu kriegen), dafür mit Frühlingszwiebel und etwas Ingwer. Weil gekochte, letscherte Geflügelhaut nicht allzu aufregend ist, habe ich meinen Vogel vor dem Schmoren teilenthäutet und die Stücke zu knusprigen Hahnenhaut-Chips verarbeitet – die lassen sich ganz hervorragend zu einem Glas Rotwein oder, in meinem Fall, einem Rye Manhattan, knuspern, während man des Eintopfs harrt. Die etwas trockene Brust habe ich nicht gleich gegessen, sondern ein paar Tage später zu Ragu verarbeitet.

Foto: Tobias Müller

Falls das hier wer bei Rewe liest: Verkauft eure Hähne doch bitte, wenn schon nicht mit Kopf und Füßen, doch wenigsten mit Innereien, ich täte meine Sauce gern mit der Hahnenleber binden.

Zerlegen Sie Ihren Hahn in seine Einzelteile: Keulen, Flügel, Brust und Karkasse. Ziehen Sie der Brust und der Karkasse die Haut ab und machen Sie Hühnerhaut-Chips daraus, sobald Sie Zeit haben.

Foto: Tobias Müller

Geben Sie ordentlich Butter in einen Bräter und lassen Sie das ganze heiß, aber nicht braun werden. Braten Sie all ihre Gockelstücke – auch die Karkasse – ordentlich rundum an, bis sie eine schöne Farbe haben. Löschen Sie die Bratenreste mit Rotwein und lassen sie ihn einkochen. Ich habe zu einem wirklich kräftigen, fürs Kochen viel zu guten Blaufränkischen von hier gegriffen. Die Sauce war tatsächlich sensationell – wenn ich's mir leisten kann, greife ich künftig öfter zu gutem Kochwein.

Dritteln Sie einen Bund Frühlingzwiebel (samt Grün), vierteln Sie 250 Gramm Champignons, schälen und quetschen Sie ein daumengroßes Stück Ingwer ein wenig, und braten Sie alles im karamellisierten Rotwein-Buttergemisch ein paar Minuten an. Löschen Sie wieder mit Rotwein und lassen Sie es erneut einkochen. Diesen Schritt können Sie bei allen Eintöpfen fast gar nicht oft genug wiederholen – löschen und karamellisieren Sie, so lange Sie genug Wein und Geduld haben.

Foto: Tobias Müller

Packen Sie all die Hahnenteile und die zerkleinerte Karkasse in den Schmortopf, werfen Sie einen Gewürzstrauß (Thymian, Petersil, Lorbeer-Blatt, was immer Ihnen schmeckt) nach und gießen Sie das ganze mit Rotwein auf, bis die Hahnenteile zumindest zur Hälfte im Sud stehen.

Foto: Tobias Müller


Wenn Sie nicht genug Wein haben oder ihn lieber selber trinken wollen, strecken Sie das ganze mit Hühnersuppe, oder, zur Not, Wasser.

Chips braten
Foto: Tobias Müller

Deckel drauf, bei 150 Grad ins Rohr, Hühnerhaut-Chips braten, Cocktail oder Wein trinken und 90 Minuten warten. Der Gockel ist fertig, wenn sich das Fleisch nicht mehr allzusehr ziert, wenn Sie es vom Knochen lösen wollen.

Nehmen Sie das Fleisch, die Pilze und die weißen Teile der Frühlingszwiebel aus dem Bräter und lassen Sie es in jeder Menge Sud rasten. Geben Sie den restlichen Sud in eine große Pfanne oder einen Topf und reduzieren Sie ihn auf etwa ein Drittel ein. Kurz vor dem Servieren mischen Sie jede Menge Nussgroße Stücke eiskalter Butter mit einem Schneebesen hinein (monter au beurre, sagt der Franzose), bis die Sauce dick wird. Packen Sie Gemüse, Sauce und Gockel auf einen Teller, legen Sie Erdäpfel oder Nudeln dazu und staunen Sie, wie viel Charakter ein Hühnertier haben kann.

Foto: Tobias Müller

Probleme mit der Hahnenmast

Auch der Herr Geßl findet die Idee der Hahnenmast an sich gut, sieht aber auch Probleme: "Wir stehen hier vor einem Dilemma", sagt er. "Einerseits wollen wir die Hahnenküken nicht töten, aus Sicht des Tierschutzes ist das also sehr begrüßenswert. Andererseits müssen wir auch abwägen, ob das Füttern und Aufziehen überhaupt sinnvoll ist oder ob wir das Schlachten der männlichen Küken nicht vorerst in Kauf nehmen müssen."

Die Hähne brauchen nämlich vergleichsweise viel Zeit und Futter, um ein geringes Schlacht-Gewicht zu erreichen – die Tiere wären bei der Schlachtung etwa halb so groß wie gewöhnliche Masthennen (weswegen auch ein eigener Schlachthof für sie gebaut werden muss). "Getreide ist auch in der Biolandwirtschaft ein teures und wertvolles Gut, das Menschen ernähren soll. Wenn es zu Fleisch 'veredelt' wird, dann muss das möglichst verantwortungsvoll und nachhaltig gemacht werden", sagt Gessl. Ob das Hahn-Projekt diese Kriterien erfüllt, ist fraglich.

Hochleistende Hybridzüchtung

Eine der Säulen des Projekts ist die Verwendung einer Hühnerzüchtung, die sich sowohl als Legehenne als auch als Masttier eignen soll - Der Fachmann nennt so etwas Zweinutzungshuhn. Das Problem dabei ist allerdings, dass es diese eierlegende Wollmilchsau bisher nicht gibt: "Die Fleischleistung ist ein genetisch männliches Kennzeichen, die Legeleistung ein weibliches. Ich kann nicht auf beides gleichzeitig züchten", sagt Gessl. Bei dem neuen Hahnenprojekt soll die Hybridzüchtung "Lohmann Sandy" zum Einsatz kommen, die im Jahr bis zu 320 Eier legt. Zum Vergleich: aktuell legt eine Bio-Legehenne etwa 300 Eier im Jahr, eine konventionell gehaltene Henne bis zu 340. "Bei einer derartigen Legeleistung kann ich nicht ernsthaft von einem Zweinutzungshuhn sprechen", sagt Gessl. "Da kriegt das Kind einen neuen Namen."

Die Hähne sollen auch nur auf ein Gewicht von etwa einem Kilo gemästet werden – deutlich kleiner, als die übliche Fleischhenne. Zum Verkauf als Brathendl eignen sie sich so eher nicht. Bisher ist unklar, was mit dem hochwertigen, teuren Fleisch passieren soll – wahrscheinlich wird es an Großabnehmer zum Weiterverarbeiten verkauft werden.

Generell gilt: der Geflügelmarkt ist ein Billigmarkt, ein Kilo konventionelles Hühnerfleisch ist für weniger als vier Euro zu haben - ein Biohahn muss wohl etwa 20 Euro pro Kilo kosten. "Was verdrängt dieses Angebot am Markt? Sicher nicht das konventionellen Huhn", sagt Gessl. Seine Hoffnung für die Zukunft: "dass das aktuelle Bio-Projekt den Start für eine generelle Extensivierung und Ökologisierung der Geflügelhaltung in Österreich darstellt." (Tobias Müller, 31.5.2015)