Bürgermeister Vokrál (links) verliest die Versöhnungserklärung.

Foto: Gerald Schubert

Michaela Mutl ist überrascht – und auch ein bisschen stolz. Am 30. Mai 2007 war die junge Tschechin gemeinsam mit zwei Freunden von der südmährischen Stadt Brünn 32 Kilometer weit in die Gemeinde Pohorelice marschiert, wo unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg ein Sammellager für die vertriebene deutsche Zivilbevölkerung stand. Was als Gedenkmarsch dreier Studenten auf den Spuren der Vertriebenen begann, wurde am vergangenen Samstag, dem 70. Jahrestag des Brünner Todesmarsches, zur großen "Wallfahrt der Versöhnung".

Etwa 300 Menschen machten sich auf den Weg, diesmal in umgekehrter Richtung, von Pohorelice nach Brünn. Weitere stießen unterwegs dazu, bei der Brünner Schlusskundgebung waren es laut Schätzungen mindestens 700.

Botschafter angereist

"Für mich ist das ein sehr emotionaler Moment", sagt Michaela Mutl. Viele junge Tschechen wie sie sind hier, aber auch Vertriebene, die den Todesmarsch als Kinder überlebt haben. Die Botschafter Österreichs und Deutschlands sind aus Prag angereist, der liberale Brünner Oberbürgermeister Petr Vokrál verliest eine Versöhnungserklärung, die kürzlich vom Stadtparlament verabschiedet wurde. "Die Stadt Brünn bedauert die Ereignisse vom 30. Mai 1945 und der nachfolgenden Tage, als tausende Menschen aufgrund des Prinzips der Kollektivschuld zum Verlassen der Stadt gezwungen wurden", heißt es darin.

Der Brünner Todesmarsch war eine der größten Operationen bei der Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung aus der ehemaligen Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg. Für die Gräuel der Nazi-Besatzung bezahlten auch viele Unschuldige. Die meisten der etwa 27.000 Menschen, die über Pohorelice Richtung Österreich gehetzt wurden, waren Frauen, Kinder und Alte. Jüngsten Forschungen zufolge verloren 1691 davon ihr Leben - durch Krankheiten, Erschöpfung und Gewaltexzesse.

Kritik an Versöhnung

Die Versöhnungserklärung des Brünner Stadtparlaments hatte in Tschechien auch Kritik ausgelöst. Vor allem die Sozialdemokraten sind in dieser Frage gespalten: Im liberalen Parteiflügel rund um Premier Bohuslav Sobotka sind nationalistische Töne nicht mehrheitsfähig, andere Politiker wie der südmährische Kreishauptmann Michal Hasek haben sich von der Brünner Initiative mit scharfen Worten distanziert.

Für Jaroslav Ostrcilík, der wie Michaela Mutl schon beim ersten Gedenkmarsch dabei war und die Veranstaltung seither jedes Jahr organisiert hat, war das keine Überraschung: Trotz vieler Fortschritte werde die Vergangenheit nach wie vor kontrovers diskutiert. "Da finden sich immer gerne Politiker, die eine Chance sehen, wahrgenommen zu werden." (Gerald Schubert aus Brünn, 31.5.2015)