Kultivierter Schöngesang mit Expressivität: Matthias Goerne.

Foto: Borggreve / Harmonia Mundi

Wien - Einwände wären möglich: dass der Mann am Klavier für einen Liederabend ungewöhnlich stark in den Vordergrund trat und deutlich den Solisten erkennen ließ, der er ansonsten vor allem ist. Oder dass die Stimme des Sängers mitunter drastisch zum Abdunkeln neigt und den Bariton in seinen unteren Lagen wuchtig grundiert. Aber eigentlich kann man den beiden - fassungslos bewegt durch die schlagende Intensität des ganzen Abends, berührt durch die intime emotionale Wahrhaftigkeit - nur ein Loblied singen, als Abglanz eines nicht nur atmosphärisch bis aufs Letzte erfüllten Ereignisses.

Innere Minidramen, schreiende Dissonanzen

Ausschließlich Werke von Robert Schumann, darunter der Liederkreis nach Joseph von Eichendorff und jener nach Heinrich Heine: Damit eröffnete besonders Matthias Goerne eine Welt innerer Minidramen, komprimierter Erzählungen, ein Labor der Seelenregungen, die dabei freilich weder beobachtet noch beschrieben, sondern soeben durchlebt wirkten. Sein kraftstrotzendes Organ, jederzeit bereit, sich emotionalen Erschütterungen oder pianistischer Klangfülle entgegenzustemmen, scheint Goerne noch immer weiter zu kultivieren, wenn er es etwa in zarte Höhen führt oder vor Expressivität schier berstende Phrasen formt. Oder wenn er - wie in der einzigen Zugabe "Du bist wie eine Blume" - zwar zum einen reine lyrische Schönheit entfaltete, aber zugleich eine existenzielle Deutung von Schumanns scheinbar schlichter Heine-Vertonung zeigte, die aus dem nur äußerlich kleinen Liedchen eine Klage über die Vergänglichkeit machte.

Daran war Piotr Anderszewski nicht unwesentlich beteiligt, der die Dissonanzen in der äußerst einfachen Begleitung fast schreiend hervortreten ließ und das kleine Nachspiel zu einem elegischen Nicht-Abschied-nehmen-Wollen machte. Ähnlich detailgenau - als ob er vor allem die Sprödheiten und Widerhaken unter die Lupe nehmen wollte - war fast alles seiner Parts, die er zuweilen eher wie Klavierkompositionen anlegte, reliefartig durchgestaltet: mit gemeißelten Akzentuierungen, aber vor allem mit feinnerviger Emotionalität. Wie heißt es bei Heine? Wunderselig. (Daniel Ender, 31.5.2015)