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Wer sitzt am längeren Ast? IWF-Chefin Lagarde will Griechenland einen neuen Kredit geben, damit das Land seine Schulden beim Fonds zahlt. Athens Finanzminister Varoufakis lehnt den bisherigen Kurs ab.

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Wien – Nach unzähligen Falschmeldungen über die bevorstehende Pleite sieht es nun so aus, als stünde der Zahlungsausfall Griechenlands tatsächlich bevor. 1,6 Milliarden Euro Schulden muss Athen bis Ende Juni an den Internationalen Währungsfonds (IWF) zurückzahlen. Die erste Tranche über 300 Millionen wird am Freitag fällig. Die Regierung in Athen sagt, sie könne das Geld aus eigener Kraft wohl nicht auftreiben.

Griechenland braucht also dringend einen neuen Milliardenkredit von den übrigen Euroländern und dem IWF, um seine Schulden bei ebendiesen Gläubigern abzubezahlen. Das ist nur eine der Widersprüchlichkeiten der aktuellen Krise. Ein ganz anderes Paradoxon betrifft die Frage, für wen ein Zahlungsausfall Athens schlimmer wäre: für Griechenland oder seine Geldgeber?

So klar lässt sich das nicht beantworten, weil auch die IWF-Führung um Christine Lagarde die politischen Konsequenzen der Hellas-Turbulenzen fürchten muss. Das liegt an der Zahl 50, an der Abkürzung DSA und an Ländern wie Brasilien, Indien, Russland und Saudi-Arabien.

Im Mai 2010 entschloss sich der Währungsfonds, die Nothilfe für Griechenland mitzutragen. 30 Milliarden Euro sagte der IWF zu. Ein Rekordwert. Noch nie in seiner 70-jährigen Geschichte hatte der Fonds einem Land einen derart hohen Kredit gewährt. Mit dem Geld rettete die Finanzorganisation unter der damaligen Führung von Dominique Strauss-Kahn aber nicht nur Hellas vor der Pleite. Der IWF, der vor Ausbruch der Finanzkrise 2008 kaum noch als Geber in Erscheinung trat, war als Akteur zurück und sicherte sich obendrein Einfluss in Europa.

Krisenfeuerwehr

Doch um Krisenfeuerwehr spielen zu können, musste Strauss-Kahn von Beginn an die Regeln dehnen. Der IWF darf sich an großen Finanzoperationen nur beteiligen, wenn vier Bedingungen erfüllt sind. Eine lautet: Die öffentliche Verschuldung eines Staates muss "mit hoher Wahrscheinlichkeit" tragfähig sein. Die IWF-Ökonomen hätten 2010 also feststellen müssen, dass Griechenland weder überschuldet ist noch dem Land die Überschuldung droht.

Dies war aber unmöglich. Deshalb wurde die Regel erweitert und ein Passus aufgenommen, wonach Gelder auch fließen dürfen, wenn sich die Krise ansonsten auszubreiten droht. Auf jeden Fall dabei sein, auch wenn die Risiken hoch sind: An dieser Maxime hielt auch Christine Lagarde fest. Sie übernahm im Juli 2011 die IWF-Führung von Strauss-Kahn, der nach einem Sexskandal abdanken musste.

IWF will mitreden

Beim Währungsfonds existiert ein lang erprobtes Verfahren, das festlegt, wie und wann der IWF Gelder auszahlen darf. Eine der Grundregeln besagt, dass jedes Mal bevor auch nur ein Cent überwiesen wird, eine sogenannte "debt sustainability analyses" – DSA – durchgeführt werden muss. Die IWF-Experten müssen also durchrechnen, ob der betreffende Staat noch Gelder bekommen darf oder in Wahrheit nicht schon pleite ist.

Diesfalls darf nichts mehr überwiesen werden. Von Mai 2010 bis Juni 2014 hat der IWF Griechenland vierteljährlich die Schuldentragfähigkeit bescheinigt, obwohl das Land von Anbeginn des Programms in den Augen der meisten Experten de facto pleite war.

Diplomaten in Washington erzählen, dass dies nur möglich war, weil großzügige Annahmen über die wirtschaftliche Entwicklung getroffen wurden. So rechneten die Fonds-Experten im Sommer 2011 etwa ein, dass Griechenland in den kommenden vier Jahren 50 Milliarden Euro über Privatisierungen einnehmen werde. Geworden sind es gerade einmal fünf Milliarden Euro. Solche Annahmen halfen mehrere der DSA-Tests formal zu überstehen. Lagarde ist nicht allein verantwortlich für die breite Auslegung der Regeln. Jede Geldüberweisung des Fonds muss vom 24-köpfigen Direktorium abgesegnet werden, in dem alle Länder vertreten sind.

Doch das Direktorium agiert nur auf Empfehlung des IWF-Chefs "und Lagarde wusste, wie sie aufs Direktorium einwirken muss, um grünes Licht zu bekommen", sagte ein Diplomat in Washington. Wenn die IWF-Chefin also so wie vor wenigen Tagen behauptet, dass es keine "überhastete und schlampige" Kreditvereinbarung mit Athen geben kann, weil man die internen Regeln des Fonds ernst nehmen müsse, ist das nur die halbe Wahrheit. Wenn es opportun erschien, wurden Regeln gebogen.

Interne Schelte

Und das hat innerhalb des Fonds zu Verstimmungen geführt. Neben Indien und Brasilien wurde die Vorgehensweise Lagardes auch von Russland kritisiert, erzählen Eingeweihte.

Wenn Griechenland den IWF nicht pünktlich ausbezahlt, passiert real zunächst wenig: Der Fonds muss Gespräche mit dem säumigen Schuldner beginnen und ihn verwarnen. Doch innerhalb des IWF könnten Kritiker Auftrieb erhalten, sagt ein Diplomat. Wenn Griechenland seine Schulden nicht zeitgerecht bedient, könnte dies auch bei anderen Schuldnern des Fonds Begehrlichkeiten wecken.

Verkomplizierend kommt hinzu, dass einige IWF-Mitgliedsländer direkt um ihr Geld fürchten müssen, sollte es keine Einigung mit Athen geben. Die Kredite an angeschlagene Staaten finanziert der Fonds immer, indem er bei Ländern, die finanziell gut dastehen, Gelder abruft. Bekommt der IWF also sein Geld nicht zurück, kann er auf der anderen Seite auch seine Kreditgeber nicht oder nur schwer ausbezahlen.

Zu den großen Geberstaaten zählen aktuell nicht nur Euroländer wie Deutschland, sondern auch außereuropäische Länder wie die USA, Saudi-Arabien, Indien und Russland. Österreich hat sich über die Nationalbank mit rund einer halben Milliarde Euro an IWF-Hilfsprogrammen beteiligt. (András Szigetvari, 2.6.2015)