Kugeln oder Feuer – Shaban Jashari musste sich entscheiden und konnte aus seinem brennenden Haus in Kumanovo unversehrt fliehen.

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Im Viertel herrscht Misstrauen, weil manche der Häuser unbeschädigt blieben und andere ausbrannten.

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Beschossene Häuser in Kumanovo.

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Blick vom Wohnzimmer in den Garten.

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Auch der Neid entzweit die Menschen, weil manche Gelder von Hilfsorganisationen erhalten, andere nicht.

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"Wir habe nichts gesehen!", sagt der Mann, der vor dem zerschossenen Haus sitzt. "Nein, ich weiß gar nichts", sagt ein anderer, der ebenfalls vor einem zerschossenen Haus sitzt. "Wir waren nicht da in dieser Nacht", sagt ein Dritter. Das Viertel in Kumanovo, in dem sich am 9. und 10. Mai ehemalige Mitglieder der Kosovo-Befreiungsarmee UÇK und mazedonische Sicherheitskräfte Feuergefechte lieferten, bei denen acht Polizisten und neun kosovarische Kriminelle verstarben, ist von einer Mauer des Schweigens umgeben. Die Nachbarn beobachten einander.

Bewohner nicht zu Hause

Ein Mann sagt: "Hier gibt es nichts mehr zu fragen. Gehen Sie zu den Politikern." Die staatliche Kommission zur Erhebung der Schäden, die an den Häusern entstanden, war da und hat das Ausmaß der Zerstörung erfasst und protokolliert, welche Einrichtungsgegenstände zerstört wurden. 16 Häuser in dem Viertel wurden fast zur Gänze zerstört. Wer dafür verantwortlich ist und weshalb es dazu kam, ist nach wie vor unklar. Weil es keine unabhängige und internationale Untersuchungskommission gibt, weil eine solche von der mazedonischen Regierung mit Rückendeckung von Russland abgelehnt wird, wird dies wohl auch nicht in absehbarer Zeit klarer sein.

Sicher ist, dass es in dem Viertel in Kumanovo einige Häuser gibt, die total zerstört wurden, und in denen sich Leute stundenlang am Boden duckten, um zu überleben, und einige andere Häuser, deren Bewohner an diesen beiden Tagen wie zufällig nicht zu Hause waren. Deshalb mehren sich in Kumanovo Stimmen, die sagen, dass es Leute gab, die vorgewarnt waren und vor dem Beginn der Feuergefechte das Viertel verließen. Aber niemand spricht offen und gibt seinen Namen preis. Der Friseur, dessen Haus komplett zerschossen wurde, sitzt nach wie vor in Haft in Skopje; so wie der Polizist, dem das weiße Haus in der Straße gehört; so wie zwei Cousins der Familie, die dahinter wohnt. Warum? "Wir wissen es nicht!", sagen die Verwandten. Sie zeigen bereitwillig, dass auch ihr Haus Einschusslöcher zeigt. Waren Sie da an diesen beiden Tagen, in dieser Nacht? "Nein", sagen sie. "Wir hatten Glück gehabt."

Jalousien begannen zu brennen

13 Stunden Angst haben sich hingegen bei Shaban Jashari eingegraben. Er war mit seiner Frau und seiner Mutter ins Erdgeschoß geflüchtet, als die Gefechte begannen. Die Kugeln jagten durch das Fenster. Er saß an eine Wand gedrückt, die Frau und die Mutter auf der anderen Seite. Als die Decke über ihren Köpfen zu bröseln begann, rollte er sich auf dem Boden durch das Haus. Die Jalousien begannen zu brennen. "Du kannst Dich entscheiden. Entweder Du stirbst durch die Kugeln oder durch das Feuer", sagt Jashari. Am 9. Mai, am Abend um 18 Uhr, entscheiden sich die drei, aus dem brennenden Haus zu fliehen. Sie schaffen es hinaus aus dem Viertel. "Es ist ein Wunder, dass wir noch am Leben sind. Alles hier war voller Patronenhülsen. Im Zweiten Weltkrieg hat es nicht so schlimm ausgesehen." Immer, wenn Shaban Jashari jetzt allein ist, kommt der 9. Mai hoch. In Bildern, in Gedanken, in Adrenalinstößen.

Waffen aus dem Kosovo

Das pinke Haus in der Mitte der Straße ist das einzige, das kaum beschädigt ist. Warum? "Glück gehabt!", sagen die Leute. Und das Haus daneben? Wieso ist es komplett zerstört? "Wir wissen es nicht." Der Schutt liegt noch zwischen den Häusern, doch er redet nicht. Wie viele Menschen hier. Zwei, drei Tage bevor die Feuergefechte begannen, seien Leute mit Waffen aus dem Kosovo gekommen, sagt ein Mann, aber nur unter der Bedingung, dass sein Name nicht genannt wird.

Horror-Sightseeing für Touristen

In Kumanovo ist mittlerweile das Horror-Sightseeing ausgebrochen. Unzählige Touristen, Journalisten, Schaulustige, Experten, Ausländer, Diplomaten und andere sind durch die Häuserruinen gegangen. Es ist beinahe wie eine Pilgerfahrt. Die Wahrheit wird hier schwer auszugraben sein, so viele Spuren sind schon verwischt. Doch es herrscht nach wie vor Angst in Kumanovo. Und neuerdings auch Neid. Denn aus dem Ausland, vor allem aus der Schweiz, sind einige Hilfsorganisationen gekommen, meistens Auslands-Albaner, und haben den Familien, deren Häuser zerschossen wurden, Geld gegeben. Einige haben nichts bekommen. Sie sagen jetzt: "Die da drüben haben doch viel weniger Schaden. Wir sind traumatisiert."

Die meisten Leute hier – in dem Viertel wohnen hauptsächlich Albaner – glauben, dass die Regierung irgendwie hinter alldem steckt und die kriminelle Gruppe aus dem Kosovo angeheuert wurde. Doch wer sollte sich dafür bezahlen lassen, erschossen zu werden? So vieles scheint unklar, unlogisch und widersprüchlich zu sein. Es gibt unzählige Theorien zu Kumanovo. Sicher ist, dass ehemalige UÇK-Kämpfer aus dem Kosovo, die später teilweise in kriminelle Agenden wie etwa Waffenschmuggel involviert waren, in dem Viertel waren und sich Kämpfe mit der Polizei lieferten.

Unklar ist, weshalb sie dort waren, und ob sie, wie kolportiert wird, einen Anschlag auf ein Polizeigebäude vorhatten oder nicht. In Prishtina kursiert die Version, dass diese Gruppe verraten wurden. Der angebliche Verräter Riza J. dementierte bereits öffentlich. Laut einer anderen Version geriet die Situation außer Kontrolle. Jedenfalls traten nach den Feuergefechten in Kumanovo die Innenministerin und der Geheimdienstchef zurück.

Treffen mit Johannes Hahn

Am Dienstag sollten in Skopje übrigens Gespräche mit den Chefs der wichtigsten vier Parteien und EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn stattfinden. Innerhalb der kommenden zwei Wochen entscheidet ein Gericht darüber, ob gegen Oppositionschef Zoran Zaev Anklage erhoben wird. Ihm wird wegen der Veröffentlichung von abgehörten Telefonaten ein Putschversuch vorgeworfen.

Westliche Staaten fordern weiter Untersuchungen über die Missetaten von Regierungsmitgliedern und Behörden, die durch diese Veröffentlichungen zum Vorschein kamen. Die Regierungspartei VMRO-DPMNE behauptet, die Abhöraktion sei mithilfe westlicher Geheimdienste zustandegekommen. Anderen Quellen zufolge soll der frühere Innenminister Ljube Boškoski mit den Abhöraktionen zu tun haben. Falls das stimmen würde, dürfte auch die Regierung über die Abhörprotokolle verfügen. Boškoski sitzt übrigens seit 2011 wegen "illegaler Finanzierung einer Wahlkampagne" im Gefängnis. (Adelheid Wölfl, 2.6.2015)