Dieses Bild illustriert einen Dialog in der polnischen Zeitung "Tygodnik Lwowski". In deutscher Übersetzung nach Stefaniya Ptashnyk: "Hör mal, Moszko, wann findet die zweite Versammlung des Gebietsrates statt? – Ich weiß nicht, wovon der Herr redet. – Weißt du etwa nicht, was ein Bezirksrat ist? Es ist eine zugelassene autonome Institution für das Land Galizien. – Ich bitte Sie, was ist das für eine Mode, dass derzeit die Herrschaften auf einmal Deutsch sprechen ... Und dabei so gelehrt, dass niemand sie versteht. Ist es denn nicht besser, so zu sprechen wie früher, auf Polnisch? – Dumm bist du, Moszko, man sieht, dass du keine Zeitungen liest und von nichts weißt. Würdest du die ,Krakauer Rundschau‘ lesen, so hättest du erfahren, dass wir mit den Deutschen ein Bündnis schließen."

Wien - Als in Lemberg (Lwiw) in den späten 1980er-Jahren wegen Geldmangels der Putz der alten Häuser kaum erneuert wurde, legte die Witterung für Linguisten interessante Zeugnisse frei: Polnische, deutsche und jiddische Schriftzüge aus dem späten 19. Jahrhundert waren nun überall in der ukrainischsprachigen Stadt zu lesen. In ihrer Kindheit hatte die Sprachwissenschafterin Stefaniya Ptashnyk ihre ukrainische Heimatstadt als einsprachig erlebt. Umso interessierter war sie an der plötzlich offensichtlichen einstigen Mehrsprachigkeit der Stadt.

Als Habilitandin an der Universität Heidelberg arbeitet sie nun an einer soziolinguistischen Studie über das mehrsprachige Lemberg 1848 bis 1918. Damit versucht sie eine historische Perspektive zu entwickeln, wie eine multilinguale, städtische Gesellschaft kommunizieren kann - eine Frage, die nicht nur im Lemberg des 19. Jahrhunderts von Bedeutung war, sondern durch Migration und Globalisierung auch heute aktuell ist. Nach dreimonatigem Forschungsaufenthalt als Research Fellow am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK) trug sie darüber am Montag in Wien vor.

Unter Wissenschaftern ist ein positiver Tenor gegenüber Mehrsprachigkeit von Städten oder Personen zu erkennen. Dennoch wird sie nicht selten als problematisch erlebt. Das prominenteste Beispiel dafür findet sich wohl in der christlichen Tradition mit dem Begriff babylonische Sprachverwirrung. Im Buch Mose wird beschrieben, wie Gott die Erbauer des Turms zu Babel damit strafte, dass er jedem eine andere Sprache gab und keiner mehr den anderen verstand. Sprachenvielfalt wird hier als Gottesstrafe dargestellt.

Ptashnyks Recherchematerial folgend deutet vieles darauf hin, dass die unterschiedlichen Sprachzeugnisse an den Fassaden in Lemberg nicht nur Ausdruck einer Vielsprachigkeit der Stadt waren, sondern auch die Bewohner mehrere Sprachen beherrschten - ganz im Gegensatz zur babylonischen Sprachverwirrung.

Karikierender Unterton

Als Beispiel dafür, dass in der Öffentlichkeit in Lemberg davon ausgegangen wurde, dass die Bevölkerung mehrere Sprachen beherrschte, präsentierte Ptashnyk unter anderem einen Dialog in der polnischen Wochenzeitung "Tygodnik Lwowski" vom 29. März 1868, dessen karikierender Unterton nur mit Deutsch- und Polnischkenntnissen verständlich ist (siehe Bild links). Die Zeitung setzte die Mehrsprachigkeit ihrer Leserschaft offenbar voraus.

Im Dialog zwischen einem prototypischen jüdischen Vertreter der Lemberger Bevölkerung und einem polnischen Kleinadeligen verwendet Letzterer "eine Mischung aus fehlerhaftem Deutsch und polnischen lexikalischen Einsprengseln, die als stilistisches Mittel eingesetzt werden", sagt Ptashnyk. "Der polnische Herr macht sich lächerlich, indem er versucht, Deutsch zu reden, ohne es richtig zu können." Ptashnyk sieht das als Beispiel dafür, "welche Variationsformen mehrsprachige Kommunikationsgemeinschaften hervorbringen können". Für die Periode, die Ptashnyk, untersucht, finden sich nur ungenaue Angaben über die sprachlich-ethische Zusammensetzung der Stadt. Polnisch, Ukrainisch und Deutsch waren jedenfalls die dominierenden Sprachen. Darüber hinaus wurden Jiddisch, Hebräisch, Armenisch, Latein und Kirchenslawisch verwendet.

Um das Nebeneinander der Sprachen analysieren zu können, spielt auch die Sprachpolitik der Habsburger eine wichtige Rolle. Nach der ersten Teilung Polens 1772 kam Lemberg zum Habsburgerreich. "Die Gesetzestexte zeigen deutlich, dass die österreichische Regierung bereits seit der Zeit von Maria Theresia eine Sprachenpolitik verfolgt, die darauf gerichtet war, das Deutsche als Universalsprache der Monarchie zu etablieren", sagt Ptashnyk.

Das änderte sich jedoch nach 1848: Die politischen Entwicklungen nach der Märzrevolution führten zur Steigerung des nationalen Selbstverständnisses. Ptashnyk: "Die einzelnen Nationalsprachen gewannen als Ausdrucksmittel der Gruppenidentität zunehmend an Bedeutung, sodass die Dominanz einer hegemonialen Universalsprache immer weniger toleriert wurde."

1867 wurde die Gleichberechtigung der Sprachen schließlich Verfassungsgrundsatz, und gegen Ende des 19. Jahrhunderts büßte das Deutsche seine Dominanz endgültig ein. "Interessanterweise wurde die Präsenz des Deutschen noch lange in massenmedialen Diskursen thematisiert", sagt Ptashnyk. Ein frühes Beispiel dafür ist die zuvor erwähnte Karikatur. Kampagnen gegen Germanismen hielten sich bis weit nach der Jahrhundertwende - vorangetrieben etwa von polnisch-nationalen Parteien. In ihrer Rhetorik waren sie dabei zeitgenössischen Warnungen gegen Anglizismen im Deutschen nicht unähnlich. (Tanja Traxler, 2.6.2015)