Platsch! Der Stadtmongole liebt seinen SUV – und steigt aufs Gas. Gehsteige gibt es keine, zu Fuß gehen ist nicht vorgesehen in Ulan-Bator. Hat es geregnet, wird ein Spaziergang zum Spießroutenlauf. Viel anschauen kann man nicht in der mongolischen Hauptstadt, die von Plattenbauten und einigen wenigen Prestigehochhäusern geprägt ist. Die meisten Touristen kommen wegen der beeindruckend schönen Natur in das zweitgrößte Binnenland der Welt, das im zentralasiatischen Hochland zwischen Russland im Norden und China im Süden eingeklemmt ist.

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Der Chöwsgölsee: "Meeresmutter" wird das zweitgrößte Süßwasserreservoir Asiens respektvoll genannt.

Die Russen sind in dem ehemals sowjetischen Satellitenstaat nicht beliebt, noch weniger die südlichen Nachbarn: "Sie handeln nicht wie Chinesen", sagt unser mongolischer Reiseführer anerkennend über die Rentiernomaden, die in das Jurtencamp am Chöwsgölsee gekommen sind, um Trinkbecher aus Horn, gefilzte Pantoffeln und Süßwasserperlen zu verkaufen. Das heißt sie geben nicht mehr als 15 Prozent Rabatt, schließlich sind wir nicht auf dem Basar, sondern am Ufer eines Nachbarsees des Baikal.

Viel zu kalt

Der Chöwsgölsee thront auf 1.600 Metern Seehöhe smaragdgrün zwischen Lärchenwäldern, ist 136 Kilometer lang und an manchen Stellen 260 Meter tief. "Meeresmutter" wird das zweitgrößte Süßwasserreservoir Asiens respektvoll genannt. "Die Perlen sind echt. Aber von hier stammen sie sicher nicht", erklärt der kanadische Forscher Richard D. Robarts, "das Wasser ist viel zu kalt."

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Das Orchon-Flusstal westlich der mongolischen Hauptstadt Ulan-Bator liegt in einer wasserreichen Steppenlandschaft.
Foto: Corbis/Nicolas Marino

Er ist im Auftrag der World Water and Climate Foundation mit einem internationalen Team von Limnologen hierher gekommen, um mit einem Tauchroboter Lkws aufzuspüren, die im See versunken sind. Im Winter friert dieser nämlich komplett zu, und die Eisdecke ist so dick, dass die Einheimischen die Abkürzung nehmen – und sich manchmal verschätzen: Gerade Lkws brechen immer wieder ein und versinken. Damit lecke Tanks nicht das Wasser verseuchen, ist das Befahren des Eises inzwischen verboten, das Gebiet um den See Nationalpark. Der Chöwsgölsee soll Weltnaturerbe werden, also werden zuerst alle Altlasten aufgespürt.

Expedition zum Edelweiß

Die Suche gestaltet sich schwierig. Jeden Tag aufs Neue brechen die Forscher vom Jurtencamp auf. Es gibt unwirtlichere Orte für Expeditionen: Im Sommer hat es tagsüber um die 20 Grad, und nachts können Frierende sogar auf eine Fußbodenheizung in den sonst traditionell eingerichteten Nomadenzelten zurückgreifen. Reitausflüge und Wanderungen in die Wälder, wo im Juli Glockenblumen, sibirisches Edelweiß und grellorangene Minifeuerlilien blühen, werden angeboten. Eine Bootsfahrt zur Insel Modon chuu steht nicht auf dem touristischen Normalprogramm, kann aber organisiert werden: Der kleine, bewaldete Felsen liegt wie ein Irrtum in dem riesigen See. Eine befestigte Landestelle gibt es nicht.

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Umso größer ist die Überraschung, dass auf einer Lichtung zwei Totempfähle ein schamanistisches Heiligtum anzeigen. Eine Legende besagt, dass hier außerdem zwei Lamas, also Hohepriester, begraben sind. Traditionell als heilig angesehene Orte wurden in der Mongolei oft von Buddhisten übernommen. Im Kommunismus, als die Religionsausübung im Land verboten war, dürften sich Gläubige auf diese einsame Insel zurückgezogen haben. Eine Feuerstelle und Opfergaben wie Geldscheine und blaue Khata-Tücher, die noch nicht verblasst sind, zeigen, dass der Ort bis heute frequentiert wird.

Hart im Nehmen

Blaue Opfertücher markieren auch die Stupa auf dem Orooch-Pass, der eine Tagesreise mit dem Jeep entfernt und die höchste Stelle auf dem Weg zum Terkhiin Tsagaan Nuur, dem "Weißen See", ist. Dieser ist der Ausgangspunkt für Ausflüge zum 2.240 Meter hohen Vulkan Chorgo. Das ihn umgebende, an manchen Stellen 40 bis 50 Meter hohe Lavafeld hat einst den Terk-Fluss gestaut und so den See gebildet. Mongolische Urlauber wandern gern den Weg zum erloschenen Krater hinauf, manche in Ballerinas, einige in Flipflops. Die Bergschuhe der Europäer halten sie für übertrieben. Auch sonst sind sie hart im Nehmen: Im nahegelegenen Ger-Camp – Ger ist das mongolische Wort für Jurte – werden Badeanzüge und Schwimmreifen verkauft und im eiskalten See zur Anwendung gebracht.

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Mongolische Urlauber wandern gern den Weg zum erloschenen Krater hinauf, manche in Ballerinas, einige in Flipflops.

Wer wärmeres Wasser bevorzugt, kommt in der Mongolei ebenfalls zum Baden. Der Vulkanismus in der Region hat dafür gesorgt, dass an vielen Stellen noch heute heiße Quellen austreten. An manchen wurden Badehäuser errichtet. Eine Wohltat nach stundenlangen Fahrten über holprige Staubpisten! Traditionell sind die Badebereiche für Männer und Frauen getrennt, in neueren Anlagen können alle gemeinsam in den dampfenden Steinbecken plantschen. An der Tsencher-Quelle in der Provinz Archangai kreisen Milane über den Natursteinbecken: Nicht zwei oder drei, sondern 20 oder 30. Ein perfekter Ort zum "sommern", wie die Mongolen das nennen, nicht nur für Ornithologen.

Aale im Orchon

Am Orchon-Wasserfall eine Tagesreise weiter sind es hunderte Schwalben, die durch einen Regenbogen stechen, den die Sonne vor den 25 Meter hohen Basaltabbruch malt. Das Wasser des Flusses Ulaan Gol stürzt hier in den Orchon. Wer mag, kann in das Flusstal hinunterklettern und in dem fischreichen Wasser nach über einen Meter langen Aalen Ausschau halten.

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Früher wurden Fische von den nomadisch lebenden Mongolen nicht gegessen, da sie nach schamanistischem Glauben nicht derselben Sphäre wie die Menschen – Erde versus Wasser – zuzurechnen seien. Den modernen Stadtmongolen ist das längst einerlei, und so halten die beiden Buben im Camp nahe den historischen Resten der Stadt Karakorum, die unter Dschingis Khans Sohn Ugedai Khan zur ersten Hauptstadt des Mongolenreiches wurde, fröhlich ihre Angeln in den Fluss. Der Orchon war schon immer die Lebensader für die Region, in seinem Einzugsgebiet lagen bereits vor Dschingis Khan die Zentren großer vergangener Steppenreiche.

Von der einstigen Pracht ist wenig übrig

Mit dem Aufstieg zur Hauptstadt im 13. Jahrhundert wurde im Umland ein umfangreiches Bewässerungssystem angelegt und die Steppe urbar gemacht. Was nicht angebaut werden konnte, wurde über die Seidenstraße herbeigeschafft. Karakorum wurde zur Kultur- und Handelsmetropole, die den Status als Hauptstadt des Mongolenreiches erst verlor, als Kublai Khan Peking als Hauptstadt wählte. Von der einstigen Pracht ist auf den Ruinenfeldern nur mit sehr viel Fantasie etwas zu ahnen.

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Der Orchon-Wasserfall

Tourismusmanager haben im nahegelegenen Camp neben den traditionellen weißen Jurten ein hölzernes Partyschiff in die Steppe gerammt. Hier wird an Sommerabenden der Griller angeworfen, und das Rauschen des Orchon verbindet sich mit Techno aus dem Autoradio eines SUVs, der gleich am Ufer parkt, zu einer eigenwilligen Mischung. Auch auf dem Land geht das Reitervolk nicht gern zu Fuß. (Tanja Paar, Rondo, 5.6.2015)