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Strache kann eines besonders gut: Er weckt Gefühle. Der Angst der Wählerinnen und Wähler begegnet er mit einfachen Strategien – und nennt das Wahlprogramm.

Foto: APA/ERWIN SCHERIAU

Nach den Wahlen quellen die sozialen Medien über vor Erklärungsversuchen und Ausgrenzungsdiskursen. Wie dumm sie nicht sind, die FPÖ-Wählerinnen und -Wähler, kapierten sie nicht, dass die Hypo-Misere von der FPÖ verursacht wurde. Wie ungebildet sie seien, das zeige doch jede Statistik über das Bildungsniveau der Blau-Wählerinnen und -Wähler. Und dann würden sie nicht mal checken, wie viele Rechtschreibfehler in den Wahlplakaten stecken. Klar, gemein seien sie sowieso, hasserfüllt, und alle extrem rechts. Fazit: Man kann/soll/darf mit denen nicht reden!

Solange das aber so bleibt, wird eben Heinz-Christian Strache mit ihnen reden, und sie werden ihn hören – und wählen. Eine Sache, die die FPÖ perfekt beherrscht, fehlt den anderen Parteien: sich auf die Suche nach den Bedürfnissen der Wählerinnen und Wähler zu begeben und diese auch ernst zu nehmen.

Ängste akzeptieren

Ein Beispiel: Das Thema Migration ist omnipräsent. Die Medien zeichnen das bedrohliche Bild einer Flut an Immigranten oder schreiben von Asylanten, die wie ein Tsunami ins Land schwappen. Was außer Angst erzeugt eine solche Metapher? Wir drohen in einer Welle zu ertrinken – was angesichts der Opfer im Mittelmeer besonders zynisch ist. Diese Ängste für sich populistisch zu nutzen, ist nicht schwer. Allerdings gibt es einen Schritt davor: die Angst als solche erst einmal wahrzunehmen. Dazu muss man gar nicht Populist sein. Denn ob sie berechtigt ist oder nicht, ist hier gar nicht die Frage. Sie ist einfach da! Und wer schon einmal eine Panikattacke oder einen echten Angstzustand erlebt hat, weiß: rational, mit Argumenten aus Zahlen, Daten und Fakten, ist der Angst nicht zu begegnen. All die Strategien im Umgang mit ihr – Leugnung, Verdrängung, Bagatellisierung – führen unausweichlich zu einer Verschlimmerung des Zustands. Nichts, aber auch gar nichts führt daran vorbei, zu akzeptieren, dass die Angst da ist. Gerechtfertigt oder nicht.

Strache spielt sein Spiel gekonnt: Er schürt die Angst und erkennt sie als solche zugleich an – das bildet die Grundlage dafür, dass die Leute empfänglich für all seine Lösungsvorschläge sind. Die anderen Parteien hingegen erkennen wohl das Kalkül der Blauen, schließen daraus aber offenbar, dass die Ängste selbst nicht berechtigt, unbegründet, übertrieben oder irrational seien. Die Sorge, keinen Platz (mehr) in der Gesellschaft zu haben, das Gefühl des Ausgeliefertseins und mangelnder Mitbestimmung, Angst vor einem Wegbrechen der Identität, Verunsicherung angesichts einer instabilen Wirtschaftslage. Wer diese Emotionen auf politischer Ebene leugnet, ist schlecht beraten.

Lösungsstrategien gegen Wut, Angst, Unsicherheit

Welchen Bedürfnissen also sollte man begegnen, ohne extrem rechte Lösungsstrategien zu entwerfen oder zu kopieren und abgeschwächt auf die eigene Partei abzuwandeln? Ich wage ein paar Hypothesen, welche der Wut, Angst und Unsicherheit der FPÖ-Wählerinnen und -Wähler zugrunde liegen könnten:

Stabilität Die Welt ist unüberschaubar, vernetzt, weit verzweigt, globalisiert. Alles scheint im Wandel. Die FPÖ bietet eine einfache Lösung: Wir wollen Österreich, wie es – in den Augen ihrer Wählerschaft – immer war. Gäbe es nicht noch eine andere Möglichkeit, Sicherheit und Stabilität zu vermitteln als durch rückwärtsgewandte Rhetorik? Blinde Fortschrittsgläubigkeit wäre hier ebenso falsch wie das Leugnen der vorhandenen Sehnsucht.

Identität Was bleibt von mir, was bleibt von Österreich (das mir ja Stabilität gibt), fragen sich Wählerinnen und Wähler, wenn Menschen anderer Kulturen zuziehen. Die FPÖ bietet hier eine schnelle Strategie: "Wir sind Österreicher" liefert rasch eine einfache Identität – in Abgrenzung zu den anderen, die man fürchtet. Gäbe es nicht noch alternative Möglichkeiten, den Menschen Angebote zur Identifikation zu machen?

Zugehörigkeit Die FPÖ bedient mit dem Heimatbegriff auch die Sehnsucht nach Zugehörigkeit. Gäbe es nicht noch andere Möglichkeiten, das Bedürfnis nach Gemeinschaft zu erfüllen, ohne den Heimatbegriff abzuwerten und Menschen, die dieses Bedürfnis haben, auszugrenzen? Könnte man nicht noch ganz anders stolz auf das eigene Land sein als sich einer verstaubten Kultur zu rühmen und Klischees von reiner Natur, Treue und Vaterland zu bedienen?

Sinn "Bringt alles nichts." "Ich kann ja nichts ändern." Strache verspricht, als starker Mann die vermeintlich Machtlosen zu vertreten. Er nützt die Opferrolle der Ängstlichen, indem er sich als Kämpfer "gegen die Mächtigen" inszeniert. Dadurch nimmt er den Menschen ihre Verantwortlichkeit ab – fatal, denn das wird die Angst natürlich nicht stoppen. Wer einer Angst begegnen will, muss selbstverantwortlich handeln lernen. Für Strache ist dieser Kreislauf ausschließlich nützlich: Solange die Angst bleibt, kann er sich ihrer Energie bedienen. Aber: Es muss doch für die handelnden Politikerinnen und Politiker noch andere Möglichkeiten geben, den Menschen Sinn zu stiften und sie zu Selbstverantwortung zu ermächtigen, um sich aus der gefühlten Hilflosigkeit zu befreien.

Klarheit und Perspektive Strache bietet einfache Lösungen – in einem äußerst verwirrenden Politchaos um Untersuchungsausschüsse, Bankenkrise, Korruption und undurchschaubarer EU-Politik für viele ein verheißungsvolles Rezept. Aber: Es wird doch wohl noch andere Möglichkeiten geben, den Menschen Perspektiven zu bieten und Überblick zu schaffen, anstatt das Bedürfnis danach einfach zu leugnen!

Raum Wer "Das Boot ist voll" denkt, hat nicht nur Angst zu sinken und die Kontrolle zu verlieren, sondern fühlt sich bedrängt. Gäbe es nicht eine Möglichkeit, den Menschen das Bedürfnis nach mehr Raum zu erfüllen, ohne beispielsweise auf den altbewährten Autofahrerdiskurs (ein Auto erschließt Räume) aufzuspringen?

Schutz und Sicherheit Wer Angst hat, will beschützt werden. Die FPÖ nutzt und verstärkt das Bedürfnis nach Sicherheit geschickt in ihren Kampagnen und verspricht Schutz und Sicherheit in vielerlei Hinsicht. Es muss aber doch noch andere Möglichkeiten geben, das Bedürfnis der Menschen nach Sicherheit und der Geborgenheit zu stillen – und wohl nachhaltiger als durch hohle Parole!

All diese Bedürfnisse sind eng mit Emotionen verbunden. Und richtig, ja: Für Emotionen braucht es keine Bildung. Gefühle hat jeder, ob belesen, studiert oder eben nicht, sie sind keine Frage der Vernunft, sondern einfach da. Es hat keinen Zweck, sie zu leugnen oder abzulehnen. Der nächste Schritt kann also nur sein, die Bedürfnisse anzuerkennen. Und zwar nicht, indem man den Strategien, die Strache sich dafür zurechtgelegt hat, zustimmt, sondern eigene entwickelt, neue. Politische Ideen, die Zuversicht vermitteln: "Ja, wir versetzen uns in deine Lage. Ja, wir erkennen deine Angst an. Ja, du kannst etwas bewirken. Ja, wir haben Ideen und Lösungen parat, damit du Stabilität, Identität, Zugehörigkeit, Sinn, Raum und wieder eine Perspektive finden kannst und dich sicher fühlst."

Klar, die Rechtsextremen gibt es. Aber das sind die Strategen. Das Gros der Menschen hingegen wünscht sich nur eins: in ihren Bedürfnissen gesehen werden. Das gilt für alle. Flüchtlinge, Anarchisten, Rechtsextreme. Versetzen wir uns kurz in ihre Lage. Glauben wir nicht den Lösungen der Populisten. Finden wir neue. (Elisabeth Gräf, 3.6.2015)