Bild nicht mehr verfügbar.

Der Konflikt im Osten der Ukraine gewinnt wieder an Brisanz. Die Totenzahlen stiegen zuletzt, bei Donezk geriet ein Markt nach gegenseitigem Beschuss von Armee und Rebellen in Brand.

Foto: Reuters / ALEXANDER ERMOCHENKO

Kiew/Moskau – Erst am frühen Donnerstagmorgen endeten die Gefechte um die Stadt Marjinka, gut 20 Kilometer südwestlich von Donezk. Nach Angaben der ukrainischen Militärführung kamen innerhalb eines Tages fünf Soldaten ums Leben, 38 wurden verletzt. Die Rebellen beziffern ihre Verluste auf 14 Tote und 86 Verletzte. Daneben sind dutzende Zivilisten durch Artillerie- und Raketenbeschuss getötet oder verstümmelt worden. Sowohl in Marjinka als auch in Donezk selbst gibt es schwere Zerstörungen.

Es war der blutigste Kampftag seit über drei Monaten. Beide Seiten haben dabei massiv gegen das Minsker Abkommen verstoßen und in großem Umfang schwere Waffen eingesetzt. Kiew begründete die Rückführung seiner Artilleriegeschütze an die Front mit einer Großoffensive der Rebellen, diese sprechen ihrerseits von einer Provokation.

Streit über Verantwortung

Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sprachen vor Ausbruch der Kämpfe von Truppenbewegungen der Separatisten: Kampf- und Schützenpanzer, Lkws mit 122-Millimeter-Artilleriegeschützen und Luftabwehrkanonen seien in der Nacht von Donezk Richtung Westen gestartet. Laut anderen Augenzeugenberichten habe es zuerst Einschläge gegeben, bevor dann die prorussischen Milizen aktiv wurden.

Als die Rebellen am Mittwoch zunächst die Einnahme Marjinkas meldeten, machten in ukrainischen Militärkreisen schon Spekulationen über einen neuen Kessel ähnlich Debalzewe für die in Peski und Awdejewka stehenden Truppenteile die Runde. Später vermeldete das Militär allerdings die Rückeroberung der Kleinstadt.

Kiew spricht von Invasion

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko beschwor in einer Rede an die Nation am Donnerstag erneut die Gefahr einer umfassenden Invasion herauf. "Unter Berücksichtigung des wohlbekannten topografischen Kretinismus russischer Militärs, können sie sich jeden Moment 'verirren', wie es gestern in Marjinka passiert ist", so sein Vorwurf an Moskau. Den Angriff auf Marjinka verglich er mit dem Wehrmachtsüberfall auf die Sowjetunion 1941, beide hätten im Juni nachts um vier Uhr begonnen, sagte er.

Der ukrainische Politologe Alexander Kawa machte hingegen die Führung in Kiew für die Eskalation der Gewalt mitverantwortlich. Ihr kämen die Gefechte gelegen, um von den wirtschaftlichen und sozialen Problemen ablenken zu können, sagte er dem Standard. Kawa kritisierte Kiews Unwillen, das Abkommen von Minsk – unter anderem eine Verfassungsreform über den Autonomiestatus der Rebellengebiete – umzusetzen.

Weitere Verschärfungen

Poroschenko verschärfte am Donnerstag die bestehende Wirtschaftsblockade des Donbass-Gebiets noch, indem er auch die Ein- und Ausfuhr von Lebensmitteln in die Rebellengebiete untersagte. Aufheben werde er die Blockade erst, wenn das ukrainische Militär entsprechend dem Minsker Abkommen die Außengrenze wieder unter Kontrolle habe.

Die gegensätzliche Interpretation der Vereinbarungen droht immer stärker das Abkommen gänzlich zum Scheitern zu bringen. Zumal auch die Rhetorik in Moskau und Washington wieder verstärkt auf Konflikt deutet. Der Kreml macht allein Kiew für die Gewalt verantwortlich und drohte mit einer Positionsänderung, was auf eine Anerkennung der selbsternannten "Volksrepubliken" deuten kann. Die USA wiederum warnten Russland vor einer Ausweitung der Sanktionen.

Unter diesen Vorzeichen weckt der für Mittwoch geplante Empfang für Kremlchef Wladimir Putin bei Papst Franziskus nur leise Hoffnung. Das Treffen könne die Lage in der Ukraine entspannen, erklärte der Duma-Abgeordnete Jaroslaw Nilow immerhin. (André Ballin, 4.6.2015)