New York/Den Haag - Nach den jüngsten heftigen Kämpfen in der Ostukraine hat der UNO-Sicherheitsrat die Konfliktparteien zur Einhaltung des vereinbarten Waffenstillstands gedrängt. Der Stellvertreter von UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon, Jeffrey Feltman, sagte am Freitag bei einer Dringlichkeitssitzung, die Minsker Vereinbarungen müssten "vollständig eingehalten" werden.

Eigentlich gilt seit dem Minsker Friedensabkommen vom Februar eine Waffenruhe, diese wird aber immer wieder gebrochen. Der stellvertretende Leiter der Beobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), Alexander Hug, bezeichnete die Lage vor Ort als "beunruhigend". Der russische UNO-Botschafter Witali Tschurkin warf dem Westen - der EU und den USA - Mitschuld an dem neuerlichen Ausbruch des Konflikts vor. Kiew und die Separatisten wiederum gaben sich gegenseitig die Schuld für die Eskalation der Gewalt.

"Schwer lösbarer Konflikt"

Feltman betonte in New York auch, dass der Schutz von Zivilisten "Priorität" habe. Er sagte in dem UNO-Gremium, derzeit drohe entweder eine Rückkehr zu einem tiefen, "schwer lösbaren Konflikt", oder zu vorübergehenden Spannungen im Konfliktgebiet. "Keines dieser Szenarien können wir uns erlauben." In den vergangenen Tagen waren in der Ostukraine fast 30 Menschen getötet worden, darunter ein Kind, das bei Angriffen auf ein Dorf am Donnerstagabend starb.

Beide Konfliktparteien machten sich gegenseitig für das Ausmaß der Gewalt verantwortlich. Das ukrainische Militär warf den mutmaßlich von Russland unterstützten Separatisten vor, am Freitag Armeestellungen rund um Donezk angegriffen zu haben. Der "Feind" habe "ununterbrochen gefeuert", sagte ein Armeesprecher in Kiew. Die prorussischen Kämpfer erklärten wiederum, Regierungstruppen seien mit Grad-Raketen gegen sie vorgegangen.

Schuldzuweisungen

Auch bei der UNO selbst gab es Schuldzuweisungen. So sagte Russlands UNO-Botschafter Tschurkin, die ukrainischen Truppen hätten Zivilisten angegriffen und die Führung in Kiew halte ihre Zusagen bei der Suche nach einer politischen Lösung für den Konflikt nicht ein. Sollte Kiew keine politischen Maßnahmen im Konfliktgebiet des Donbass durchsetzen, könne die Situation "außer Kontrolle geraten, und das mit unvorhersehbaren Konsequenzen".

Die Botschafterin der USA, Samantha Power, hielt dagegen: Für die jüngste Gewalt seien Russland und die prorussischen Separatisten verantwortlich. Power kündigte an, in der kommenden Woche nach Kiew zu reisen und sich dort selbst ein Bild von der Lage zu machen.

OSZE-Sondergesandte Tagliavini wird Mandat abgeben

Die Ukraine-Gesandte der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), Heidi Tagliavini, wird ihr Mandat abgeben. Das schweizerische Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) bestätigte am Freitagabend gegenüber der schweizerischen Nachrichtenagentur sda einen entsprechenden Bericht der "Tagesschau" des Schweizer Fernsehens.

Tagliavini wünsche ihre Tätigkeit in nächster Zeit zu beenden, hieß es. Zu Gründen oder zum genauen Zeitpunkt machte das EDA keine Angaben.

Der ehemalige schweizerische Bundespräsident und OSZE-Vorsitzende, Didier Burkhalter, ernannte Tagliavini vor rund einem Jahr zur Sondergesandten für die Ukraine. Im Jänner verlängerte der derzeitige OSZE-Vorsitzende und serbische Außenminister Ivica Dacic ihr Mandat.

Gipfel ohne Russland

Die Ukraine-Krise dürfte auch ein wichtiges Thema beim Treffen der sieben wichtigsten Industriestaaten am Wochenende in Bayern sein. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko kündigte am Freitag an, vor dem G-7-Gipfel mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama zu telefonieren. Er wolle außerdem am Samstag den japanischen Regierungschef Shinzo Abe treffen, der auf dem Weg zum G-7-Gipfel am Freitag in die Ukraine reiste.

Der Gipfel findet ohne Russland statt. Nach den Worten des Russland-Koordinators der deutschen Bundesregierung, Gernot Erler (SPD), kann Moskau erst dann wieder in den Kreis der G-8 zurückkehren, wenn das Land das Abkommen von Minsk umsetzt. Die Umsetzung der Vereinbarungen sei auch die Voraussetzung für die Aufhebung der Sanktionen.

Brüssel will Sanktionen verlängern

Die Mitglieder der Europäischen Union wollen nach Angaben von Diplomaten ihre Sanktionen gegen Russland verlängern, wenn sie sich Ende Juni zum Gipfel in Brüssel treffen. EU-Diplomaten sagten am Freitag, die im vergangenen Juli nach dem Abschuss eines Passagierflugzeugs von Malaysia Airlines über der Ostukraine verhängten Sanktionen würden um sechs Monate verlängert.

Es gebe darüber eine politische Einigung. Bei dem Gipfel am 25. und 26. Juni werde dies daher keine Probleme verursachen. Die Staats- und Regierungschefs der 28 EU-Staaten hatten sich bereits im März grundsätzlich darauf geeinigt, die Sanktionen gegen den russischen Banken- und Ölsektor zu verlängern. Sie müssen dies aber noch formell bei dem Gipfel beschließen.

Einer der Diplomaten verwies darauf, dass die EU-Staaten im März die Sanktionen an die Umsetzung des Minsker Abkommens vom Februar geknüpft hatten, das insbesondere eine Waffenruhe zwischen den ukrainischen Regierungstruppen und den prorussischen separatistischen Kämpfern vorsieht. In den vergangenen Tagen waren die Kämpfe in der Region aber wieder aufgeflammt.

Das Abkommen beinhaltet zudem einen Abzug schwerer Waffen von der Frontlinie und die Wiederherstellung der ukrainischen Kontrolle über die Grenze zu Russland. Die Sanktionen treffen die russische Wirtschaft hart, führten aber bisher nicht zu einem Kurswechsel der russischen Politik. Innerhalb der EU sind die Sanktionen gegen Russland umstritten. Besonders die Regierung in Griechenland sieht sie kritisch.

Unterdessen bekräftigte Russlands Außenminister Sergej Lawrow bei einem Treffen mit seinem niederländischen Kollegen Bert Koenders in Moskau seine Unterstützung für eine "umfassende, eingehende und unabhängige Untersuchung" des Absturzes des Malaysia-Airlines-Flugzeugs. Die Boeing war am 17. Juli 2014 auf dem Weg von Amsterdam nach Kuala Lumpur mit 298 Menschen an Bord über dem Osten der Ukraine wahrscheinlich von einer Boden-Luft-Rakete abgeschossen worden. Da viele der Opfer aus den Niederlanden stammten, leitet das Land die Untersuchung.

Russland unterstützt laut Putin Minsker Abkommen absolut

Russland unterstützt Präsident Wladimir Putin zufolge das Minsker Abkommen zur Befriedung der Ostukraine vollkommen. Russland strebe danach, die Vereinbarung komplett und bedingungslos umzusetzen, sagte Putin der italienischen Zeitung "Corriere della Sera" am Samstag. Das Februar getroffene Abkommen sei "richtig, gerecht und zumutbar".

Allerdings betonte Putin auch, dass die derzeitigen Behörden in Kiew nicht einmal Gespräche mit den prorussischen Rebellen in der Ostukraine führen wollten. "Und da gibt es nichts, was wir deswegen machen können." Nur die Europäer und Amerikaner könnten diese Situation beeinflussen. Zugleich warf Putin der ukrainischen Regierung vor, durch die Einstellung der wirtschaftlichen Verbindungen mit den Gebieten im Osten des Landes eine humanitäre Katastrophe hervorzurufen. Er glaube, dass die Europäische Union die Ukraine stärker finanziell unterstützen sollte, sagte Putin weiter.

Das in Minsk geschlossenes Abkommen hatte vier Monate lang zur Beruhigung der Lage geführt, zuletzt sind die Kämpfe aber wieder aufgeflammt. Der Westen macht dafür die Rebellen verantwortlich, während Russland die Schuld bei der Regierung in Kiew sieht. Vorwürfe eines direkten Eingreifens in die Kämpfe weist Russland zurück. Die Lage in der Ostukraine wird auch Thema bei dem am Sonntag beginnenden G7-Gipfel im bayerischen Elmau sein. (APA, 5./6.6.2015)