Raju Narisetti: "Als Journalist würde es mir mehr Sorge bereiten, wenn meine Leser viel Zeit mit Medien von Red Bull verbringen."

STANDARD: Sie hatten redaktionelle Führungspositionen bei der "Washington Post" und beim "Wall Street Journal", nun sind Sie Stratege von Rupert Murdochs Mediengruppe News Corp und investieren zum Beispiel in digitale Immobilienplattformen und Finanz-Dienste in Indien. Sieht so die Zukunft des Journalisten und der Medien aus?

Narisetti: Nur um das klarzustellen: Ich bin kein Journalist mehr, ich bin auf die Business-Seite des Journalismus gewechselt.

STANDARD: Und Sie versuchen nun vermutlich, damit auch Journalismus zu finanzieren - quasi mit der nun digitalen Form der Kleinanzeigen.

Narisetti: Das greift ein Stück zu kurz, lassen Sie mich die Überlegung dahinter erklären: Kleinanzeigen waren eine der zentralen Einnahmequellen im Newsgeschäft. Diese Inserate für Jobs, Immobilien, Autos finden Sie heute auf digitalen Transaktionsplattformen. Die Medienbranche in ihrem Irrglauben und ihrer Fokussierung auf Print-Plattformen versuchte, ihre Geschäft zu verteidigen - statt zu schauen, wohin das Geschäft geht. Nun ist das Geschäft weg, und das bringt die Medienbranche ganz offenkundig in große Schwierigkeiten.

STANDARD: Was empfehlen Sie?

Narisetti: Wenn wir einen Schritt zurücktreten, uns die vergangenen zwei oder drei Jahre genauer ansehen, entdecken wir einen Trend, der vielleicht nicht gleich ins Auge springt: Die Transaktionsplattformen haben herausgefunden, dass die reine Transaktion Besucher eher sporadisch auf ihre Seiten führt und die Markenloyalität eher gering bleibt. In den USA kauft oder verkauft jemand sein Haus oder wechselt seine Wohnung alle drei bis sieben Jahre.

STANDARD: Und das ist im Vergleich zu Europa schon ein ziemlich mobiles Wesen.

Narisetti: In der Zeit dazwischen können Sie sich ganz schön anstrengen, dass die Menschen im Fall des Falles auf Ihre Plattform kommen. Also suchen Transaktionsplattformen sehr intensiv nach Wegen, ihre Kunden bei der Stange und damit ihrer Marke zu halten. Und das tun sie mit Inhalten und Services - Infos über Wohngegenden, über Schulen, Sicherheit, Umwelt, Preisinfos.

STANDARD: Das bedeutet aber zugleich: Schon wieder neue Mitbewerber im Mediengeschäft mit Information, Service und Unterhaltung.

Narisetti: Natürlich. Uber sucht gerade einen Editorial Director. Stubhub, ein Portal, das Tickets für Sportveranstaltungen verkauft, hat einen Chefredakteur. All diese Firmen entdecken, dass man mit Inhalten Publikum und damit Kunden binden kann. Und natürlich binden sie mit diesen Inhalten Aufmerksamkeit auch unserer Userinnen und User. Wenn sie auf einer Immobilienplattform über Wohn- oder Preistrends lesen, dann ist das Zeit, die sie nicht auf meinen Immobilienseiten verbringen.

STANDARD: Nach der Konkurrenz um Inserate nun auch Konkurrenz um Aufmerksamkeit für Inhalte - das kann die Medienbranche aber eher nicht freuen, oder?

Narisetti: Wenn Sie sich die Lage von weit oben ansehen, heißt das: Dieses Geschäft kommt zurück in unsere Welt. Die News Corp. zum Beispiel hat unglaublich viele und sehr gute Inhalte. Wir sind sehr gut darin, das Publikum zu binden, auch in diesen Themen. Wir haben ein großes, globales Publikum. Wir können diese Aufmerksamkeit auch monetarisieren - wir haben die Instrumente zur Verrechnung. Nur ein Element fehlt uns: die Transaktions-Funktionalität.

STANDARD: Und die kaufen Sie nun.

Narisetti: Also kaufen wir diese Funktionalität zu - und entwickeln sie hoffentlich nicht neu, wir wollen ja das Rad nicht neu erfinden. Wenn wir diese Elemente zusammenführen, haben wir ein weit stärkeres Angebot, als das eine Transaktionsplattform alleine schafft. Das ist der strategische Gedanke hinter unseren großen Einsätzen etwa in Immobilienplattformen. Wir konzentrieren uns stark auf Immobilien - da haben wir schon, weltweit, große Publika und viele, viele Inhalte.

STANDARD: Medienhäuser holen sich mit Zukäufen Geschäftsfelder zurück, die lange ihre waren.

Narisetti: Wenn Sie so wollen: Ja, wir gehen zurück in die Zukunft. Mit Geschäftsfeldern, die wir einmal sehr, sehr gut beherrscht haben.

STANDARD: Ich darf aber erinnern: Dafür haben Medien neue Konkurrenz um Aufmerksamkeit. Red Bull zum Beispiel arbeitet doch recht entschlossen an seinen Medienaktivitäten, bis hin zu Red Bull Global TV.

Narisetti: Eines der Probleme unserer News-Branche ist: Wir haben eine sehr plattformzentrierte Sicht auf die Welt. Wir denken in den Dimensionen von Zeitung, Webseite, als App. Und wenn wir die Konkurrenz analysieren wollen, schauen wir: Wer macht das noch so? Das "Wall Street Journal" sah also die "Financial Times" als Konkurrenz und womöglich die "New York Times". Dabei geht es nur um die eine, nicht erneuerbare Ressource unseres Publikums: ihre Zeit. Wenn sich also Menschen über Stunden auf dem Red-Bull-Channel auf Youtube Felix Baumgartners Sprung aus der Stratosphäre anschauen, dann haben wir diese ihre Zeit für immer verloren. Vielleicht hätten sie in diesen Stunden sonst unsere journalistischen Angebote genutzt. Also ist das natürlich ein Mitbewerber.

STANDARD: Und die Konkurrenz von Konzernen aller Art, die zugleich ebenfalls Medienunternehmen werden oder werden wollen, stört nicht weiter?

Narisetti: Wir müssen uns fragen: Wie gehen wir mit General Electric um, wenn die großartige Videos machen, wie mit Red Bull und wie mit Virgin? All diesen Marken, die nicht alleine Medieninhalte produzieren, die aber längst ihr Publikum direkt erreichen können, etwa über Social Media. Sie brauchen uns nicht mehr dafür. Wenn Konzerne das gut können, dann nehmen sie uns Publikum weg. Aber üblicherweise können sie das nicht so gut. Dann ist das für uns Medien ein schönes Geschäftsfeld, ihnen gegen Geld dabei zu helfen. Das ist auch der Grund, warum große Medienunternehmen sich sehr intensiv dem Native Advertising widmen.

STANDARD: Also im Prinzip möglichst nicht nach Werbung aussehenden, womöglich redaktionell wirkende und am besten unterhaltende, aber doch Werbung. Wie sehen Sie als langjähriger Journalist Native Advertising? Werden da nicht Grenzen überschritten zwischen Redaktion und Anzeigen? Viele Journalisten haben diese Sorge.

Narisetti: Stimmt. Denn: Viele Journalisten haben eine skeptische Grundangst vor allem. Ich sehe das so: Jede Redaktion sollte sich mit Verlag und Anzeigenleuten zusammensetzen und grundlegende Richtlinien und Regeln festlegen - womit können wir alle gut leben. Wie nennen wir es, wie zeigen und wie kennzeichnen wir es klar, wie machen wir es. Dann gibt es keine Diskussion darüber, ob wir da unser Kernprodukt verkaufen. Und wenn wir wieder einen Schritt zurückgehen, dann erinnern wir uns: Zeitungen hatten immer schon gesponserte Seiten oder Beilagen.

STANDARD: Also: Klar kennzeichnen und nicht groß Sorgen machen über Native Advertising?

Narisetti: Als Journalist würde es mir mehr Sorgen bereiten, wenn meine Leserinnen und Leser viel Zeit mit Red Bull und seinen Angeboten verbringen. Das ist Zeit, die sie nicht mit meinem Journalismus verbringen.

STANDARD: Native Advertising ist die eine Seite der bezahlten Inhalte - die andere ist: Nutzer sollen für Inhalte zahlen. Ich habe in früheren Interviews gelesen, Sie sind eher skeptisch, was diesen Paid Content angeht - wenn man nicht gerade das "Wall Street Journal", die "New York Times" oder die "Financial Times" herausgibt.

Narisetti: Nicht unbedingt. Ich bin sehr für Digitalabos, Paywalls. Das "Wall Street Journal" macht das online seit 18 Jahren mit großem Erfolg. Lange hat man gesagt: Okay, ihr seid das "Wall Street Journal", ihr könnt euch das leisten. Dann hat die "Financial Times" das gemacht, und dann hat das die "New York Times" gemacht. Jetzt machen das an die 700 Zeitungen in den USA.

STANDARD: Ein deutscher Branchendienst zitierte Sie 2013 mit "Die ‚New York Times‘ hat damit bei Hunderten von lokalen und regionalen Zeitungen die falsche Hoffnung geweckt, dass sie auf diesem Weg ebenfalls eine bedeutende neue Erlösquelle erschließen könnten." Das klingt jetzt nicht so begeistert.

Narisetti: Man muss da differenzieren: Wenn wir glauben, dass Paywalls die existenzielle Krise unserer Branche lösen, dann werden wir alle scheitern.

STANDARD: Weil?

Narisetti: Seit Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks haben Leser nur einen kleineren Teil des Aufwands von Gedrucktem bezahlt. Bei Zeitungen und Zeitschriften war es immer Werbung plus Beiträge der Leser. Wir, die Medienbranche, haben dieses Prinzip - dummerweise - aus unerfindlichen Gründen über Bord geworfen, und digital alleine auf Werbung gesetzt. Es war ein fundamentaler Fehler, uns von unserem Modell zweifacher Finanzierung zu verabschieden. Es ist also vernünftig, eine stabile, nicht auf Werbung basierende Finanzierungsquelle zu haben. Aber dieser Umsatz wird nur ein Beitrag sein - aber nicht die Finanzierung insgesamt lösen können. Aber statt einer Finanzierungsquelle Werbung mehrere zu haben, also Userbeiträge, Events, vielleicht kommerzielle Produkte - das hilft schon. Und das war, worauf unsere Branche immer basierte.

STANDARD: Schon wieder zurück in die Zukunft.

Narisetti: Nicht nur. Viele übersehen einen weiteren Wert von Paywalls. Das sind nicht alleine zahlende Abonnenten. Das sind auch Userinnen und User, von denen wir plötzlich weit mehr wissen, als wir jemals von unseren Printabonnenten wussten. Und wenn wir unseren Printabonnenten ein Digitalabo dazugeben, wissen wir auch über unsere Zeitungsabonnenten plötzlich viel, viel mehr. Ihre Lesegewohnheiten, ihre Interessen. Wir können also auch unseren Print-Anzeigenkunden viel genauer sagen, welche Menschen sie mit Werbung bei uns erreichen können.

STANDARD: Nach ein paar anderen europäischen Ländern diskutiert nun auch Österreich sehr intensiv darüber, dass Suchmaschinen wie Google und Newsaggregatoren Medien dafür etwas zahlen sollen, dass sie ihre Inhalte kommerziell nutzen. Gerade hat Österreichs Regierung einen Entwurf für ein Leistungsschutzrecht vorgelegt, der solche Abgeltung vorschreibt. Sollten Google, Facebook und Co für Medieninhalte zahlen?

Narisetti: Ich glaube, für diese Debatte ist es zu spät, wenn 1,3 oder 1,4 Milliarden Menschen auf einer Plattform sind, und wenn es in den nächsten fünf oder zehn Jahren 1,6 oder 1,8 Milliarden werden könnten. Als News-Marke müssen Sie sein, wo Ihr Publikum ist. Aber: Man kann unsere User mit unseren Inhalten interagieren und ihn teilen lassen, ohne dass wir gleich unsere Zukunft verpfänden.

STANDARD: Soll heißen?

Narisetti: Das heißt: ohne all ihre wertvollen Daten und all ihr Wissen über die User gleich komplett mit anderen Plattformen zu teilen. Da muss man sehr umsichtig vorgehen - je nach dem eigenen Geschäftsmodell. Wenn Sie ein Buzzfeed sind oder eine andere Plattform, die nicht darauf basiert, groß Werbung auf der eigenen Website zu verkaufen, und die mehr ihre Marke möglichst breit aufstellen wollen: Dann müssen Sie natürlich Facebook so umfassend wie möglich nutzen. Aber wenn Sie das "Wall Street Journal" oder die "New York Times" sind, mit einem großen, bewährten Markenwert, wenn ein wesentlicher Teil ihres Publikums direkt Ihre Seite ansteuert und lange Zeit auf Ihrer Seite verbringt. Dann schulden Sie ihrer Marke, ihrem Unternehmen, ihrer Redaktion, ihrer Zukunft, dass Sie das nicht so einfach hergeben. Das muss jedes Medienhaus für sich und seine Marken ausbalancieren.

STANDARD: Was halten Sie von "Instant Articles" - Medienhäuser stellen ihre Inhalte gleich direkt auf Facebook, verkürzen damit die Zugriffszeiten, und dürfen Werbung um diese Inhalte selbst vermarkten.

Narisetti: Ich bin kein Fan von Instant Articles. Aber wenn Sie auf die Seite des "Wall Street Journal" gehen, dann können Sie Artikel auch über Facebook teilen. Sie werden viele Artikel, vor allem Videos auf Facebook sehen - Video ist bei uns hinter keiner Abo-Schranke.

STANDARD: Was stört Sie denn an dem Facebook-Format? Dass Facebook die Userdaten zu den Inhalten hat?

Narisetti: Medienhäuser haben sich nicht rechtzeitig und nicht intensiv genug um wirklich usergerechte Präsentation ihrer Inhalte auf Mobilgeräten gekümmert - da gibt nun Facebook überzeugend das Tempo vor. Aber: Das funktioniert nicht mit unserem Geschäftsmodell. Wir finden: Wir sollten nicht für Facebook arbeiten, Facebook sollte für uns arbeiten.

STANDARD: Weil?

Narisetti: Facebook, Google, Youtube - all diese Firmen produzieren keine eigenen Inhalte. Das sind großartige Möglichkeiten, Inhalte zu teilen, um Communities zu bilden. Aber alles, was sie an News anbieten, zahlen Menschen wie wir. Da muss ich mich wirklich nicht besonders beeilen, meine Inhalte herzugeben.

STANDARD: Wenn Sie 2015 ein journalistisches Medium gründen wollten: Wie würden Sie das denn anlegen?

Narisetti: Ich würde zu 100 Prozent auf mobile Endgeräte setzen, sehr stark auf Video, auf ein Abomodell. Mir wäre Native Advertising äußerst willkommen. Und ich würde mir ganz genau anschauen, wohin sich Mobile entwickelt. Wir machen den Fehler, Mobile als eine Plattform zu sehen. Aber es gibt gewaltige Unterschiede zwischen der Verwendung von Telefonen und Tablets, iPhones und Android, Facebook als Plattform und Snapchat und Messaging-Apps wie Whatsapp. Und ich würde mir viele Gedanken machen, welche Produkte wir machen. Natürlich ist das Journalismus, aber natürlich sind das ebenso Produkte - die sich monetarisieren lassen, und die vernünftige Einnahmen bringen sollen. Ich halte die strikte Trennung für einen Fehler: Wir müssen Journalismus auch als Produkt sehen, und nicht allein als Dienstleistung. (Harald Fidler, 9.6.2015)