Markus Lüpertz' skulpturale Ideen treffen in Baden auf die Bilderfantasien von Arnulf Rainer - in dessen Museum.

Foto: Kollektiv Fischka / Arnulf Rainer Museum
Foto: Wolfgang Thaler
Foto: Wolfgang Thaler
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Wien - Schneller als das Licht ist dieser Götterbote definitiv nicht mehr. Mercurius müsste sich erst einmal wieder zu einer Summe einzelner Teile zusammenfügen; kein Problem für moderne (Super-)Helden, für antike Götter allerdings… Was ist ihm passiert? Abgestürzt, weil die Flügelschuhe versagt haben – und wenn ja, wo sind die überhaupt? Der behelmte Kopf und Rumpf ruhen auf Europaletten, daneben lassen sich auch recht kolossale Beine und der Unterleib finden. Sind wir ehrlich: Für die Antike beginnt es im Arnulf Rainer Museum eher bescheiden. Dabei wäre der klassizistische Bau des ehemaligen Frauenbads in Baden, unter dem gar antike Mauern gefunden wurden, architektonisch geradezu ideal, um hier über die Gegenwart zu triumphieren.

Mercurius im Spiegelsaal
Foto: Wolfgang Thaler

Markus Lüpertz entschied sich als Künstlerkurator hier dramaturgisch allerdings eher für die Tragödie zu Beginn. Denn sein gigantischer Mercurius ist in seiner schwerfälligen Zerschlagenheit doch eher ein Anblick des Elends, da können selbst die hellbunten Flecken auf seinem geschundenen Körper, die aussehen, als wäre der Bote mitten in die Pastellabteilung des indischen Farbenfests Holi gefallen, nichts ändern. Unversehrt - und in Bronze statt in Gips - steht der Bote seit 2007 vor dem Turm der Deutschen Post in Bonn; etwas ungelenk und mit eingespeckten Sixpacks auf einem Weltenrund balancierend, auch nicht gerade das perfekte Image für ein Logistikunternehmen.

Arnulf Rainer hat den langjährigen Freund zu einer spielerischen Rangelei eingeladen, eine Aufforderung, die der am Konkurrieren mit Ebenbürtigen nicht Uninteressierte gern angenommen hat: Der Malerfürst, der in den 1980ern auch mit der Bildhauerei begann, entschied sich gegen Rainers Malerei nicht weitere Leinwände, sondern Skulpturen zu setzen.

Aber was sagt uns der zum Auftakt servierte Mercurius? Seinen griechischen Kollegen Hermes verstand man auch als Sinnbild für die von den Göttern gesandte menschliche Vernunft. Ein Bild für deren Absenz in der Jetztzeit? Für Interpretationen interessiert sich, das hat er schon früher deutlich gemacht, Lüpertz jedoch nicht. Ihn interessiert, was im Betrachterauge passiert. Und das genießt in Baden jegliche Freiheit, wird nicht mit Titeln, Jahreszahlen oder Ideen zum Antikenverständnis belastet.

Skelettierter Schmerzensmann

Dem theatralen Auftakt in der durch graue Vorhänge noch bühnenhafter wirkenden Kulisse lässt Lüpertz einen Herkules folgen. Auch dieser ein Krüppel, ein Einarmiger mit einer Art Halskrause, der offensichtlich ein Schleudertrauma verwinden muss. Dazu passt Rainers skelettierter Schmerzensmann am Kreuz gut. Seine Skulpturen seien nicht gebrechlich, nicht schwächlich, sondern besäßen eine andere Brutalität, einen anderen Individualismus, widersprach Lüpertz kürzlich in einem Ö1-Interview der Auffassung, die Moderne zeige, im Gegensatz zum idealisierten Helden der Antike, den verletzten Körper.

Die Moderne ist gescheitert, lang lebe die Moderne. Auf diesen Zwiespalt - das Festhalten an Verklärtem, an Idealen, die Schiffbruch erlitten - spielte Roger Buergel (Leiter der Documenta 12) einst mit der Frage "Ist die Moderne unsere Antike?" an. Markus Lüpertz würde sagen, es wäre alles nichts ohne die Antike.

Für Lüpertz ist die Antike das wesentliche Bezugssystem für alle nachfolgende Kunst; und sie sei nicht fern, sondern ganz aktuell. Alle Zeitalter sind quasi gleichzeitig. Eine raffinierte Auffassung, ermöglicht sie doch dem gerne den Geniebegriff auf sich Anwendenden sogar an ihr mitzuwirken: etwa mit einer kleinen Pegasus-Bronze, einer drollig bunten Daphne, einen die Grenze zum Nippes schrammenden Harlekin.

Solche Figürchen tauchen – Lichtspots sei dank - dramatisch aus dem Dunkel der Kabanen auf. Im Gegensatz zu Rainers dynamisch-expressiven Übermalungen anatomischer Abbildungen, zu seinem gekonnt mit Farbe Umschmeicheln von Fotografien klassischer Kunst, seinem Spiel mit reproduktiven Gegenwartsmedien wirken Lüpertz Bemühungen sehr konventionell, gefällig und überholt. Und dass Rainer keine Lust mehr hat auf das Agressive und Wilde früherer Jahre, gibt er unverhohlen zu. "Er sei zum Klassizist geworden", verriet er dem Standard 2014 bei einem Atelier-Besuch. Harmonie sei das, was er in den schönen Antlitzen entdecke. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 8.6.2015)