Jungen männlichen Migranten eilt der Ruf voraus, sie seien autoritär erzogene Machos. Je weiter süd-östlich ihre Wurzeln liegen, desto archaischer seien ihre Männlichkeits- und Weiblichkeitsbilder, so die gängigen Vorurteile. Auf der anderen Seite werden die Geschlechterbilder österreichischer und aus dem "Westen" stammender Männer als modern und auf Gleichberechtigung bedacht wahrgenommen. Der Eindruck, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund hier einen Nachholbedarf gegenüber Autochthonen hätten, sei einer dichotomisierenden Debatte geschuldet, die darauf bedacht sei, junge Migranten als andersartig im Gegensatz zu Jugendlichen ohne Migrationshintergrund darzustellen. Darauf verweist die deutsche Migrationsforscherin Susanne Spindler in ihrem Buch "Corpus delicti: Männlichkeit, Rassismus und Kriminalisierung im Alltag jugendlicher Migranten".

Philipp Leeb, Leiter von Poika, eines Vereins zur Förderung von gendersensibler Bubenarbeit in Erziehung und Unterricht, bestätigt das: "Die Vorurteile, dass patriarchalische Männlichkeiten bloß unter den jungen Migranten zu finden sind, sind faktisch falsch." Unter Jugendlichen mit Migrationshintergrund seien – genauso wie unter Jugendlichen ohne Migrationshintergrund – verschiedene Männlichkeitsbilder zu beobachten. Dennoch seien "klassische Männlichkeiten in Österreich noch überall zu finden", sei es in den verschiedenen städtischen Milieus oder am Land, so Leeb.

Migrationshintergrund bleibt immer im Vordergrund.
Siniša Puktalović

Alternativen zu archaischen Männlichkeitsbildern

"Es wird weiterhin das Bild vermittelt, dass ein Mann traditionellen und heteronormativen Vorstellungen von Männlichkeit entsprechen muss, um als Mann in dieser Gesellschaft akzeptiert zu werden," kritisiert Christian Holzhacker vom "Verein Wiener Jugendzentren". In diesen traditionellen Bildern fühlten sich die Burschen nicht wohl, "sie bieten ihnen wenig Spielraum in einer in den letzten Jahren sich sehr stark veränderten Gesellschaft, wo Erwerbsbiografien nicht mehr so stringent ablaufen, wo der Übergang von Schule zum Beruf ein größeres Problem ist", sagt Holzhacker. Das stelle viele junge Männer vor ein Problem, und der Bedarf nach alternativen Männlichkeitsbildern werde immer größer. Derzeit mangelt es jedoch an flächendeckenden Angeboten, wo sich Jugendliche mit alternativen Männlichkeiten auseinandersetzen könnten. Die sehr überschaubare österreichische Buben- und Burschenarbeitsszene versucht mit ihrer Arbeit dieses Vakuum zu füllen, erklärt Philipp Kastenhuber, Jugendbetreuer in der Jugendzone 16.

Unterschiedliche Burschenarbeitsansätze

Burschenarbeit entstand in Österreich Anfang der 1990er-Jahre. Sie kommt ursprünglich aus der offenen Jugendarbeit und wurde damals als Ergänzung zur Mädchenarbeit konzipiert, "um die unterschiedlichen geschlechtsbezogenen Bedürfnisse und Problemstellungen angehen zu können", so Leeb. Mittlerweile habe sich die Burschenarbeit in verschiedene Richtungen entwickelt, sodass man nicht mehr von "der Burschenarbeit" sprechen könne. "Es existieren unterschiedliche Ansätze in unterschiedlichen Kontexten", sagt der Mitbegründer des Vereins Poika.

Alles Machos? Über Männlichkeitsbilder junger Migranten.
Siniša Puktalović

Schulische Burschenarbeit

Sein 2008 gegründeter Verein Poika bietet hauptsächlich schulische Burschenarbeit an: "In der Schule ist der Blick auf Männlichkeit noch ein sehr unbekanntes Terrain. Die Betroffenheiten von Burschen werden seltener thematisiert als die von Mädchen. Das liegt auch daran, dass es mehr weibliches als männliches Lehrpersonal gibt. Die Buben und Burschen haben das Bedürfnis, sich mit Männern über bestimmte Themen zu unterhalten, und diese Möglichkeit gibt es in der Schule zu wenig." Das ist auch der Grund, warum sein Verein gegründet wurde und Workshops zu unterschiedlichen Themen anbietet, sei es über Sexualität, Gewalt, Beruf, Mobbing, Lebensplanung oder Geschlechterrollen.

Michael Kurzmann von der Fachstelle für Burschenarbeit aus Graz arbeitet mit Burschen in unterschiedlichen Workshops verschiedene Themen auf und moniert, dass es diese Angebote noch viel zu wenig flächendeckend gebe und es immer noch "am Engagement einzelner Lehrer abhängt", ob sie gebucht werden oder nicht. Die Institution Schule müsse sich "öffnen und mit anderen Einrichtungen aus dem Bereich der Jugendarbeit und Familienarbeit stärker zusammenarbeiten", sagt Kurzmann. Denn schließlich "bewegen sich die Jugendlichen in unterschiedlichen Lebensbereichen: Schule, Freizeit, Community und Familie". Somit seien ihre Lebensprobleme sehr komplex und könnten nur durch die Zusammenarbeit verschiedener Einrichtungen adäquat angegangen werden.

Den jungen Männern könne Burschenarbeit auch zu besseren schulischen Erfolgen verhelfen, denn an den Gründen für abweichendes Verhalten werde in der Schule nicht gearbeitet, sondern es werde bloß sanktioniert. Das führe zu "einer Spirale nach unten", erklärt Kurzmann. "Übetriebene Männlichkeitsgesten sind oft ein Versuch, aus der Ohnmacht rauszukommen und Selbstwirksamkeit zu erfahren" – und genau da könne schulische Burschenarbeit gezielt helfen, sagt Kurzmann.

Außerschulische Buben- Burschenarbeit

Burschenarbeit spielt in der Jugendarbeit, egal ob in der beratenden, offenen oder aufsuchenden, eine sehr wichtige Rolle. Bei der größten Jugendbetreuungseinrichtung Österreichs, dem "Verein Wiener Jugendzentren", wird mit unterschiedlichen pädagogischen Konzepten mit heranwachsenden jungen Männern gearbeitet. Sehr wichtig dabei ist das Gespräch. So wird beispielsweise in der "Burschen-Tee-Runde", die einmal wöchentlich stattfindet, über die dringenden Anliegen der Jungs gesprochen.

Diese Gesprächsrunden seien "zentral und elementar", weil die Burschen durch die Gespräche "Selbstwirksamkeit" erfahren, sagt Christian Holzhacker vom "Verein Wiener Jugendzentren". Die geschlechtshomogenen Runden seien sehr hilfreich, "weil sich die Burschen da nicht vor Mädchen inszenieren", und das erleichtere das Reflektieren über bestimmte Thematiken, so Philipp Kastenhuber, Jugendbetreuer in der Jugendzone 16.

Daneben gebe es zahlreiche erlebnispädagogische Angebote, wo mit den Burschen das gewohnte Setting verlassen werde, beispielsweise mit einem Ausflug in einen Hochseilgarten. "Man muss gar nicht so weit wegfahren. Es reicht, das gewohnte Setting zu verlassen, um dadurch die Jungs in andere Situationen zu bringen, ihnen die Möglichkeiten für neues Agieren in einer unvertrauten Umgebung zu bieten", sagt Holzhacker. Das allerwichtigste in der Burschenarbeit sei aber die Haltung der Betreuer. "Wenn die Betreuer nicht authentisch sind und mit ihrem Verhalten das Gesagte konterkarieren, dann bringen alle Angebote nichts", mahnt Holzhacker.

In der aufsuchenden und mobilen Jugendarbeit spielt das Gespräch auch eine sehr wichtige Rolle. Hakan Aldirmaz, Jugendbetreuer bei JUVIVO.15, besucht häufig Lokale, wo Jungs "abhängen". Er selbst lebt seit seiner Geburt im 15. Wiener Gemeindebezirk und genießt ein sehr hohes Ansehen unter den Jugendlichen. Er wird häufig von ihnen "Hakan Abi" genannt. Über das Sprechen über Kosten und Nutzen der Männlichkeit versucht er den Jugendlichen klarzumachen, wie schädlich traditionelle Männlichkeit für ihr Leben und ihr Umfeld ist.

Was Burschenarbeit leisten kann.
Siniša Puktalović

"Der ewige Migrant"

Er gibt zu bedenken, dass es "ein sehr großes Problem" sei, dass den Jugendlichen mit Migrationshintergrund die Identifikation mit dem Staat Österreich verwehrt wird. "Man bleibt der ewige Migrant", obwohl er selbst und viele Burschen, die er betreut, sich als Österreicher wahrnehmen.

Michael Kurzmann erkennt darin auch einen Grund, warum dann in manchen Fällen traditionelle Männerbilder Überhand gewinnen. Grundsätzlich sei es so, dass "Geschlecht und Körper immer dann eine übergeordnete Rolle spielen, wenn den Jugendlichen die Verortung in der Gesellschaft verunmöglicht wird", sagt Kurzmann. Bei jungen männlichen Migranten beobachtet er, dass diese sehr häufig in einem Spagat sind. Sie möchten einerseits ein Teil dieser Gesellschaft sein und sich mit den Werten und Regeln auseinandersetzen, werden aber gleichzeitig von Medien und Politik "wie der letzte Dreck behandelt", so Kurzmann.

"Jungendliche sind ständig auf Identitätssuche. Da gibt es keinen Unterschied, ob sie aus Italien, der Türkei oder dem Irak kommen", sagt Safah Algader, der Leiter von JUVIVO.15. Sie versuchten ständig auf sich aufmerksam zu machen. Wenn ihnen jedoch die Gesellschaft keine "Wertschätzung und Anerkennung" entgegenbringt, dann werden die Jugendlichen, nach Aufmerksamkeit suchend, auffällig, so Algader. Hier bräuchte es eine klarere Haltung der Politik zur Nichtdiskriminierung und es müsse aufgehört werden, Jugendliche zwischen Personen mit und ohne Migrationshintergrund aufzuteilen.

Unterfinanziert, kaum migrantisches Personal

Wie sinnvoll die Burschenarbeit auch ist, es mangelt weiterhin an flächendeckenden Angeboten. Eberhard Siegl vom Männerbüro Salzburg beklagt, dass es in Österreich beispielsweise nur zwölf mit öffentlichen Geldern finanzierte Männerberatungsstellen gibt. Diese seien zudem drastisch unterfinanziert und dadurch auch unterbesetzt, wodurch es nur punktuelle Angebote im Bereich der Burschenarbeit gebe. Zudem sei es nicht möglich, eine kontinuierliche Betreuung, die bei Heranwachsenden immens wichtig wäre, anzubieten.

"Derzeit können wir nur einzelne Workshops anbieten, zu jeweils ein paar Stunden. Eine Nachbetreuung akuter Fälle ist nicht möglich." Um eine nachhaltige Betreuung migrantischer Jugendlicher zu ermöglichen, wäre es zudem vonnöten, mehr Personal mit Migrationshintergrund auszubilden. "Hier braucht es eine neue umfassende Strategie, die neben der Ausbildung auch eine Jobgarantie bietet. Denn es nützt nichts, migrantisches Personal auszubilden ohne der Möglichkeit auf Arbeit." (Text, Video: Siniša Puktalović, Produktion: Olivera Stajić, 21.6.2015)