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"Wer unter Stress steht, trinkt meist mehr Kaffee oder Tee. Weil in beiden Getränken Koffein enthalten ist, handelt es sich dabei um so etwas wie eine Eigenbehandlung der Betroffenen", meint die Pharmazeutin Christa Müller.

Foto: dpa/Patrick Pleul

Bonn – Chronischer Stress macht krank: Wer sich dauerhaft mit Kollegen herumärgert, im Schlaf häufig gestört wird oder vom Chef eine kurzfristige Deadline nach der anderen vorgesetzt bekommt, wird allmählich schlecht gelaunt oder sogar depressiv, kann sich nicht mehr richtig konzentrieren oder leidet zunehmend unter Ängsten.

Koffein kann diese gefährliche Stressspirale durchbrechen oder ihr sogar vorbeugen, behauptet ein internationales Forscherteam. Die Wissenschaftler behandelten Mäuse, die mehrere Wochen unter Stresssymptomen litten, mit Koffein oder einem synthetischen Wirkstoff, der – ähnlich wie das Koffein, aber viel stärker und mit hoher Spezifität – Adenosin-A2A-Rezeptoren blockiert.

Die Tiere nahmen die Substanzen mit dem Trinkwasser oder mit der Nahrung auf. Danach besserten sich die Stresssymptome: Die Nager lösten sich aus ihrer depressiven Erstarrung, waren weniger ängstlich, schnitten bei Gedächtnistests besser ab als die unbehandelte Kontrollgruppe und zeigten auch im Hirnstoffwechsel eine Normalisierung der Botenstoffe und Gehirnzellen.

Adenosinrezeptor für Stresssymptome verantwortlich

Wie die portugiesischen Forscher mit ihren Kollegen aus Brasilien, dem Oman, den USA und der Universität Bonn zeigen konnten, wird bei Stress der Adenosinrezeptor "A2A" im Gehirn hochreguliert und führt dann zu den entsprechenden Symptomen. Die Rezeptoren stellen Proteine dar, an die ganz bestimmte Signalmoleküle binden und dadurch Signalprozesse im Inneren der lebenden Zelle auslösen können.

"Wurde in den Mäusen das Gen, das den Rezeptor A2A codiert, stumm geschaltet oder wurde der Rezeptor durch Koffein oder spezifische A2A-Hemmer blockiert, dann klangen die Beschwerden durch den anhaltenden Stress ab", sagt Christa Müller vom Pharmazeutischen Institut der Universität Bonn. Insbesondere verbesserte sich durch die Koffeingaben wieder die Gedächtnisleistung der Tiere.

Synthetische Wirkstoffe

Das Team der Pharmazeutin der Universität Bonn hat für die aktuelle "Stress-Studie" die Synthese der Wirkstoffe entwickelt und in größeren Mengen für die Experimente hergestellt. "Die Substanz ist dem Koffein sehr ähnlich, hat aber weniger Nebenwirkungen. Sie blockiert ausschließlich die A2A-Rezeptoren und wirkt deutlich stärker als Koffein", erklärt Müller.

Der Wirkstoff wurde den Mäusen nicht in großen Mengen verabreicht, sondern entfaltete schon in geringerer Dosierung seinen Effekt. Intuitiv dürften viele Menschen die Adenosinrezeptoren blockierende Wirkung von Koffein nutzen. "Die Erfahrung zeigt: Wer unter Stress steht, trinkt meist mehr Kaffee oder Tee. Weil in beiden Getränken Koffein enthalten ist, handelt es sich dabei um so etwas wie eine Eigenbehandlung der Betroffenen", meint Müller.

Ansatzpunkt für neue Therapien

"Der Koffeingenuss in höherer Dosierung sei zwar auch mit Nebenwirkungen verbunden, aber gegen ein paar Tassen Kaffee oder Tee täglich sei für ansonsten gesunde Menschen nichts einzuwenden", sagen die Forscher.

Inwieweit Koffein zur Behandlung der Folgen von größerem Stress beim Menschen – etwa von der Verbesserung der Gedächtnisleistung bis hin zur Therapie von posttraumatischen Belastungsstörungen – hilfreich sein könnte, müssen jedoch erst klinische Studien zeigen, betont die Pharmazeutin. (red, 9.6.2015)