
Bettina Gärtner, in Frankfurt am Main geboren, lebt seit 1969 in Wien. Sie arbeitet als Beraterin für Kommunikationsprojekte. 2008 absolvierte sie die Akademie für Literatur in Linz-Leonding. "Unter Schafen" ist ihr erster Roman.
Wien - Unter Schafen ist das starke Romandebüt einer Autorin, die es versteht, sprachliche Formen zu entfalten, in denen sich die Widersprüche der beschriebenen Welt spiegeln. Die von Bettina Gärtner geschilderte Gesellschaft bewegt sich in einem hermetisch abgeriegelten Raum, in dem die Menschen einen Zynismus bemühen, der gegen jede aufkeimende Hoffnung auf ein anderes Leben immunisiert. Die Figuren scherzen, träumen und dichten - aber ohne echten Glauben, dass dies an ihrer Lage noch irgendetwas ändern könnte.
Das Buch handelt von vier Tagen aus dem Leben Klaras. Ihr Zuhause ist eine "vorhersehbare Villen- bis Einfamilienhausgegend in waldnaher Randlage einer nicht übertrieben großen Großstadt dort im Westen, wo er auf den Osten trifft." Dieser Westen wird überstrahlt von einem Konzernemblem, "das den Mond vom Himmel drängt und zum Angriff auf die Sonne rüstet." Im paradiesisch erahnten Osten dagegen (die georgische Region Sawetien ist der einzige namentlich bezeichnete Ort) weiden die Schafe, die sich der Kosmetikkonzern mit verlogenen Praktiken anzueignen weiß.
Verlogener Wohlstand
Klara ist die beste Freundin der Tochter des Konzernchefs und die Frau jenes Manns, der den Betrieb bald übernehmen soll. Sie hat eine Affäre mit dem Mann dieser besten Freundin, von der sie ihrerseits fürchtet, dass sie mit ihrem eigenen schläft. Während die beiden Männer geschäftlich im Osten unterwegs sind, versuchen sich die Frauen im Westen aus dem Weg zu gehen.
Das aber ist gar nicht so einfach, da sie zusammen im Komitee sitzen, das den Empfang eines georgischen Geschäftspartners vorbereiten soll. Außerdem scheint etwas mit der pubertierenden Tochter nicht zu stimmen, die jeden Abend im Stall hinter dem Haus verschwindet, wo das vor Jahren über die Grenzen geschmuggelte Schaf sein einsames Dasein fristet.
Die durchgehend aus Klaras Perspektive geschilderte Geschichte handelt von grotesken Verwirrungen, melancholischen Erinnerungen und bloß noch zynisch sich äußernden Hoffnungen in einer Gesellschaft, wo jeder den andern belügt und keiner mehr sich selbst traut.
Lustig, poetisch, verstörend
Dabei gelingt der in Frankfurt geborenen, in Wien lebenden Autorin das Kunststück, die beklemmende Lage ihrer Figuren zur Darstellung zu bringen, indem sie diesen eine Sprache schenkt, die zuerst lustig, zuweilen sogar poetisch, dann aber auf das Tiefste verstörend ist. Die ins Detail driftenden Bewusstseinsströme Klaras sind immer wieder durchsetzt von Gedanken klarster Einsicht über die Abhängigkeiten ihres Daseins. Deren Bedeutungen verkehren sich aber mit der darauffolgenden Handlung oft in ihr Gegenteil. Worüber man zuerst noch lachte, das erweist sich im Nachhinein als etwas, das zum Weinen ist.
"Das seltsame Sein bestimmt das Bewusstsein" - dieses Marx'sche Diktum legt die Autorin einer ihrer von den kapitalistischen Gewalten bedrängten Figuren in den Mund. So reflektiert diese Gestalten auch erscheinen mögen, bezeugt die Art, in der sie sich äußern, zugleich die Ohnmacht, mit der sie den Tatsachen gegenüberstehen. Der sterile Zynismus, der in fast allen ihrer Gespräche mitschwingt, wirkt wie ein Spiegelbild der beklemmenden Lage, in der sie sich befinden.
Klara entscheidet sich daher zum Ende hin auch dafür, aus dem Marx'schen Materialismus das Gegenteil zu machen und das unerträgliche Sein schlicht zu leugnen: "Ich nehme mir das Recht auf eine Version der Wirklichkeit heraus, die mich am Leben hält ... Es könnte also auch ganz anders sein. An dieses Könnte will ich mich halten und klammern." (Franz Schörkhuber, 9.6.2015)