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Prozesseröffnung gegen die beiden mutmaßlichen Komplizen des verstorbenen kasachischen Ex-Botschafters Rakhat Alijew in Wien: Richter und Staatsanwälte sind sich ebenso uneinig, ob die aus Kasachstan gelieferten Beweismittel echt sind, wie die beteiligten Anwälte.

Foto: STANDARD/Newald

Wien - Jahrelange Untätigkeit der Staatsanwaltschaft, dann Ermittlungen, Anklage und Verhaftung, Entlassung aus der U-Haft kurz nach Prozessbeginn, nun neuerliche Verhaftung - die Entscheidungen der Staatsanwaltschaft und verschiedener Gerichte im sogenannten Alijew-Prozess werden immer widersprüchlicher, das gesamte Verfahren immer absurder.

Aber es ist zu einfach, den Richtern und Staatsanwälten die Schuld zu geben. Ein Prozess wegen einer Straftat, die in einem autoritären Staat mit politisch gelenkter Justiz wie Kasachstan begangen wurde, gehört zu den schwierigsten Aufgaben für ein Rechtswesen. Und schon beim Auslieferungsbegehren aus einem Drittstaat stehen Rechtsstaatlichkeit und Politik oft in einem unauflösbaren Widerspruch zueinander.

Auf dem Papier ist die Sache gar nicht so kompliziert: Das Auslieferungs- und Rechtshilfegesetz (ARHG) sieht vor, dass einem Antrag auf Auslieferung für eine Tat, die auch in Österreich mit mindestens einem Freiheitsentzug strafbar ist, grundsätzlich stattgegeben wird - auch mit Staaten, mit denen kein Auslieferungsabkommen unterzeichnet wurde. "Es gibt keine Überprüfung der Schuldfrage, sondern nur eine Notbremse, wenn erhebliche Bedenken aufgrund sofort verfügbarer Beweise vorliegen", sagt Klaus Schwaighofer, Strafrechtsprofessor an der Universität Innsbruck und einer der besten Kenner des Auslieferungsrechts. "Doch dieser Grund, die Auslieferung zu verweigern, liegt fast nie vor. Es gilt das Prinzip, dass man der Justiz anderer Staaten vertraut."

Viele Ablehnungsgründe

Dennoch entschied sich Österreich schon 2007, die Auslieferung des früheren, des Mordes an zwei Bankmanagern angeklagten Botschafters Rachat Alijew abzulehnen. Das ARHG erlaubt das, wenn rechtsstaatliche Grundsätze in Gefahr sind - weil der Verdächtige kein faires Verfahren erwarten kann, bei drohender Todesstrafe, einem unmenschlichen oder erniedrigenden Vollzug der Strafe und Folter oder bei Gefahr politischer oder religiöser Verfolgung. Das gilt auch für Länder, an die aufgrund eines Abkommens Auslieferungspflicht besteht, wie etwa den USA. Ohne abwägen zu müssen, ob der Tatverdacht ausreicht, kann die Auslieferung an ein Nicht-EU-Land mit Verweis auf die europäische Menschenrechtskonvention verweigert werden.

Im Falle des ukrainischen Oligarchen Dmytro Firtasch, der von den USA wegen Korruption gesucht wird, war es diese politische Komponente, die den Wiener Richter bewog, die Auslieferung abzulehnen. Für Schwaighofer war das "eine nicht unproblematische Entscheidung", weil die USA ein funktionierendes Rechtssystem haben und ein befreundetes Land sind; aber sie war rechtlich gedeckt.

Das Verfahren ist wie ein Pingpongspiel zwischen Justizministerium und Gericht. Zuerst beurteilt die Staatsanwaltschaft den Sachverhalt; sieht sie die Auslieferung als angemessen, dann entscheidet das Straflandesgericht. "Die Republik ist dabei eine Prozesspartei, die die Interessen des ersuchenden Staates vertritt", sagt David Bauer, Rechtsanwalt bei der internationalen Kanzlei DLA Piper in Wien. Aber selbst wenn das Gericht die Auslieferung als zulässig erachtet, kann das Justizministerium sie laut § 34 ARHG im letzten Moment stoppen - "um österreichische Interessen zu bewahren", sagt Schwaighofer.

Die Entscheidung über eine Auslieferung hängt von der Straftat ab und vom Land selbst. An die USA wird üblicherweise ausgeliefert, an Russland zuletzt immer weniger. So ist es etwa unwahrscheinlich, dass der russische Oligarch Ural Rachimow, der seit Jahren in Wien lebt, an Moskau ausgeliefert wird, wo ihn eine Anklage wegen Untreue und Geldwäsche erwartet. Gerade bei Wirtschaftsdelikten gelten Vorwürfe aus Wladimir Putins Reich seit der Zerschlagung von Jukos und der Inhaftierung von Michail Chordochowski als politisch motiviert.

Niemals werden eigene Staatsbürger an Drittstaaten ausgeliefert, egal, was sie sich zuschulden haben kommen lassen. Ein österreichischer Pass schützt daher vor Auslieferung - allerdings im eigenen Land, wie der Tiroler Arzt Ünal E. im April erleben musste, als er in Venedig aufgrund eines Auslieferungsantrags seiner früheren Heimat Türkei, die ihm Beteiligung an Terroranschlägen vorwirft, vorübergehend verhaftet wurde.

Ganz anders verhält es sich bei Strafanträgen aus EU-Staaten. Dort gilt der europäische Haftbefehl, der gar kein Auslieferungsverfahren erfordert; stattdessen kommt es zur Übergabe des Verdächtigen. Das gilt in den meisten Fällen auch für eigene Staatsbürger und bei zahlreichen schweren Delikten auch ohne Überprüfung der beiderseitigen Strafbarkeit. Die einzige Bremse ist die Willkürkontrolle, die voraussetzt, dass die Strafbarkeit des Vergehens gar nicht vorstellbar ist, sagt Bauer. "In der EU wird routinemäßig ausgeliefert, die Willkürkontrolle ist sehr schwach", betont er. Wäre Firtasch nicht von den USA, sondern in Großbritannien gesucht, dann hätte er ausgeliefert werden müssen. Zu keiner Übergabe kommt es, wenn die Straftat im Inland begangen wurde, bereits verjährt ist oder ein Verfahren schon einmal eingestellt wurde.

Die Nichtauslieferung an einen Drittstaat aus Menschenrechtsgründen ist nicht das Ende der Geschichte, wie der Fall Alijew zeigt. Nach § 65 des Strafgesetzbuches ist die Justiz dann verpflichtet, das Verfahren im eigenen Land zu führen. "Dann entsteht dieses Dilemma, dass ein Verfahren mit extrem hohen Kosten und großen Schwierigkeiten durchgeführt werden muss, obwohl alle Beweise und alle Zeugen im Ausland sind", sagt Schwaighofer. Die Möglichkeit, dass alle aus dem Ausland gelieferten Beweismittel manipuliert sind, entbindet die Justiz nicht von dieser Verpflichtung.

Aber so weit wie in der Causa Alijew, in der nach dem Selbstmord des Hauptverdächtigen nun zwei mutmaßliche Komplizen vor einem Wiener Strafgericht stehen, muss es nicht kommen. Die Staatsanwaltschaft muss zwar ermitteln, kann aber das Verfahren einstellen, wenn sie zum Schluss kommt, dass aufgrund der Beweise eine Verurteilung nicht wahrscheinlich ist. Und selbst bei einer Anklage kann das Gericht am Ende im Zweifel für den Angeklagten entscheiden, weil die Beweismittel politisch kompromittiert sind.

Vorschnelle Enthaftung

Das war der Grund, warum der Richter im Alijew-Prozess vor sechs Wochen die Aufhebung der U-Haft anordnete. Allerdings habe er dies vorschnell entschieden und dabei die anderslautenden Meinungen zahlreicher Juristen in der Staatsanwaltschaft nicht nur ignoriert, sondern in seiner Begründung als "naiv" abgetan, kritisierte Schwaighofer damals. Dieser Einschätzung hat sich nun das OLG Wien angeschlossen - ohne dass damit die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung unbedingt gestiegen ist.

Aber auch ein Freispruch würde nicht bedeuten, dass die Anklage ein Fehler war, betont Schwaighofer, sondern nur die Erfüllung einer rechtstaatlichen Verpflichtung. Dennoch dürften sich solche Fälle nicht allzu oft wiederholen, glaubt Bauer: "Österreich bemüht sich nicht zwingend, irgendwelche Strafverfahren durchzuführen. Der Fall Alijew ist eher die Ausnahme." (Eric Frey, 16.6.2015)