Seit Wochen sind die Themen Flüchtlinge und Asylwerber bestimmend in der österreichischen wie europäischen Politik. Durch Krisen und Kriege verursachte ansteigende Flüchtlingszahlen und der Zuwachs von Asylanträgen führen zu einer schlechteren Betreuung und Unzufriedenheit – bei Betroffenen wie Bevölkerung.

Die Europäische Union und ihre Mitgliedsländer gehen aktiv gegen Migration nach Europa vor. Seit dem Jahr 2000 gaben sie über 1,5 Milliarden Euro für Systeme aus, die Europa von Migranten abschotten sollen.

Forschungsprojekte für die Sicherheitsindustrie

230 Millionen Euro davon fließen in Projekte der Sicherheitsforschung und Sicherheitsentwicklung. Auf die EU-Forschungsagenda kamen sie auf Empfehlung einer Arbeitsgruppe, die die EU-Kommission 2003 startete. Mitglieder der Arbeitsgruppe waren EU-Parlamentarier, EU-Kommissare, Waffenproduzenten wie Airbus (EADS), Thales und Finmeccanica, Technologiefirmen wie Saab, Siemens oder Diehl und Forschungsgruppen wie das Pasteur-Institut und die RAND Corporation.

39 der Forschungsprojekte, die zwischen 2002 und 2013 von der EU oder der europäischen Weltraumagentur ESA gefördert wurden, hatten mit Migration, Grenzschutz oder -überwachung zu tun. Die in der Arbeitsgruppe vertretenen Firmen waren oft direkt oder über Subunternehmen an den Projekten beteiligt: Airbus an zehn, Finmeccanica an 16 und Thales an 18 Projekten.

Die Themenfelder reichen von der Überwachung von Grenzen und des Meeres bis zu groß angelegten Prüfungen und Verbesserungen von Sicherheitskontrollen. Vier der Projekte – DOGGIES, SNIFFER, SNIFFLES und SNOOPY – handeln von "künstlichen Nasen", die bei Grenzkontrollen versteckte Migranten aufspüren sollen.

Ein bulgarischer Grenzpolizist misst den CO₂-Gehalt in einem Lastwagen. In Zukunft sollen automatische Sensoren helfen, Migranten in Fahrzeugen aufzuspüren.
Foto: Lise Møller Schilder

Österreichische Organisationen sind in fünf Projekten vertreten: GLOBE (Untersuchung von Grenzverwaltungssystemen), GMOSAIC und LIMES (beide zu Satellitenüberwachung für Grenzschutz und für humanitäre Zwecke), AEROCEPTOR (Drohnen zum Abfangen von Fahrzeugen) und FASTPASS (Entwicklung eines schnellen, automatischen Grenzkontrollsystems für Flughäfen). Die größte Förderung in Österreich ging an das Austrian Institute of Technology (AIT), das für 2,6 Millionen Euro an FASTPASS mitarbeitete. Auch involviert waren die Republik Österreich selbst, der Flughafen Wien, die Staatsdruckerei und das Internationale Zentrum für Migrationspolitikentwicklung. Das AIT hält auf Anfrage fest, dass nicht nur die Bedürfnisse der Grenzwächter, sondern auch die von Migranten (als Untergruppe der Passagiere) berücksichtigt wurden.

Das AEROCEPTOR-Projekt, an dem das AIT in den Bereichen Risikomanagement und Krisen- und Katastrophenmanagement mitarbeitet, entwickelt ein Konzept für eine Drohne, die nichtkooperative Fahrzeuge wie Autos oder Boote stoppen soll. Dafür wurden Versuche mit elektromagnetischen Impulsen durchgeführt, diese Technologie ist aber nach Angaben der Pressesprecher des Projekts noch nicht einsatzfähig. Angedacht waren auch Fangnetze, für Boote seien solche aber nicht am Markt erhältlich. Mögliche Werkzeuge der Drohne sind nun Lautsprecher und Mikrofone zur Kommunikation mit Fahrern, "Reifenkiller" wie Nagelsperren, Lichter und Paintball-Marker, die die Verfolgung einfacher machen.

Im Situation-Room der Frontex werden die aktuellen Operationen überwacht.
Foto: Nicolas Kayser-Bril

Die Überwachung der Außengrenzen

Drei der Forschungsprogramme dienten dem Aufbau des Programms Eurosur, das seit 2014 im vollen Einsatz ist. Das Programm vernetzt die Koordinationszentren der Mitgliedsstaaten, um einen Überblick über die Situation an Europas Grenzen zu schaffen.

Das Programm ist Teil der Arbeit der EU-Grenzschutzagentur Frontex. Diese koordiniert die Arbeit der Grenzschutzbehörden der Schengen- und Mitgliedsstaaten. In Risikoanalysen publiziert sie außerdem vierteljährlich ihre Einschätzung der Lage zur Migration an den Außengrenzen. Kostenpunkt ihrer Arbeit: 670 Millionen Euro seit 2004.

Eurosur soll laut EU-Verordnung auch "einen Beitrag zur Gewährleistung des Schutzes und der Rettung des Lebens von Migranten" leisten. Aber: Frontex hat laut Direktor Fabrice Leggeri kein Mandat, Such- oder Rettungsoperationen durchzuführen: "Unser Mandat ist der Grenzschutz." Frontex könne auch nicht die Mitgliedsstaaten ersetzen, wenn es darum geht, Grenzen zu schützen oder in Seenot geratene Flüchtlinge zu retten.

Teil des Eurosur-Programms sind auch Drohnen und Satelliten zur Grenzüberwachung. Dafür kooperiert die Frontex mit dem European Satellite Center, das die Satelliten der Europäischen Union verwaltet. Im entsprechenden Leistungsvertrag ist nur von Grenzüberwachung die Rede, die Rettung von in Seenot geratenen Flüchtlinge kommt nicht vor.

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Syrische und afrikanische Flüchtlinge bei einer Gedenkveranstaltung für jene Flüchtlinge, die im Oktober 2013 im Mittelmeer gestorben sind.
Foto: REUTERS/Darrin Zammit Lupi

Asylwerber-Tracking durch Fingerabdrücke

Eine weitere Datenbank dient der Koordination in Asylfragen: In Eurodac werden die Fingerabdrücke von Asylwerbern gespeichert. Dies ermöglicht Rückführungen nach dem Dublin-II-Abkommen. Seit 2003 werden bei Asylverfahren Fingerabdrücke genommen und mit der Datenbank abgeglichen. Etwa 2,3 Millionen Fingerabdrücke sind in dem System gespeichert. Hat ein Antragsteller die EU über ein anderes Land erreicht oder schon einen Asylantrag gestellt, wird eine Rückführung nach Dublin-II-Regeln angestrebt. Einige EU-Mitgliedsstaaten erlauben Strafmaßnahmen, damit Betroffene gezwungen werden können, Fingerabdrücke abzugeben. In Österreich können Asylwerber sogar inhaftiert werden, sollten diese versuchen, ihre Fingerabdrücke unlesbar zu machen – so lange, bis ein Fingerabdruck genommen werden kann.

Die Datenbank ist jedoch nicht fehlerfrei: Etwa zehn Personen pro Jahr werden laut Schätzung von eu-LISA irrtümlich in einen anderen Mitgliedsstaat überführt. Auch in den jüngsten Diskussionen rund um das Europäische Asylsystem wird die Wichtigkeit der Fingerabdruckabnahme betont. Seit 2011 wird die Datenbank von der Agentur eu-LISA verwaltet. Etwas mehr als eine halbe Million Euro kostete die Datenbank die Mitgliedsstaaten 2014.

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Flüchtlinge versuchen über den Zaun in Melilla in spanisches Staatsgebiet zu kommen.
Foto: REUTERS/Jesus Blasco de Avellaneda

Nordafrika: Auffanglager und Assistenz

77 Millionen Euro wurden für Mauern und Zäune an den spanischen, griechischen und bulgarischen EU-Außengrenzen verwendet. Die Bemühungen, Migration einzudämmen, beginnen aber schon weit früher. Längst sind Nachbarstaaten zu wichtigen Partnern geworden. Entweder im Alleingang oder über EU-Institutionen versuchen europäische Staaten, Abkommen zu schließen, um Migranten gar nicht erst bis an ihre Grenzen heranzulassen. In Libyen und der Ukraine wurden von EU oder Mitgliedsstaaten für 45 Millionen Euro Auffanglager errichtet.

Besonders wichtige Partner sind Staaten, durch die wichtige Migrationsrouten führen. In Nordafrika sind dies Marokko, Tunesien und Libyen. Für 75 Millionen Euro werden dort Programme zur Verbesserung von Grenzkontrollen und andere Maßnahmen durchgeführt, die Migranten auf dem Weg nach Europa aufhalten sollen.

Seit 2005 dient das "Global Approach to Migration and Mobility"-Framework der EU dazu, die Verhandlungen der Mitgliedsstaaten voranzutreiben. Darüber wurden bisher Abkommen mit Marokko, Kap Verde und Tunesien geschlossen.

Besonders brisant war die Kooperation mit Libyen: Nach dem Ende des Embargos 2004 intensivierten sowohl die EU als auch Italien die Kooperation mit der nordafrikanischen Diktatur, um dafür zu sorgen, dass Migranten im Land festgehalten werden. Berichte von Menschenrechtsverletzungen in libyschen Flüchtlingslagern wurden ignoriert. Italien, das Ziel vieler durch Libyen reisenden Migranten, finanzierte zwei Auffanglager für Migranten und Flüchtlinge. Die zwei Länder führten auch gemeinsame Kontrollen der Grenzgewässer durch und brachten Migranten wieder zurück auf libyschen Boden.

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Ein Hubschrauber in Melilla richtet seinen Scheinwerfer auf einen Flüchtling.
Foto: REUTERS/Jesus Blasco de Avellaneda

Nach dem Sturz Gaddafis bemühte sich die Europäische Union weiter, Libyen als Partner gegen die Migration zu behalten. Seit 2013 werden in einer Grenzassistenzmission Grenzpolizisten ausgebildet und unterstützt. Die instabile politische Lage in Libyen führte jedoch dazu, dass sich das Land als Standort für die Migration nach Europa etablierte. Es dient heute als Hauptausgangspunkt für die Überfahrt auf der zentralen Mittelmeerroute nach Italien. Zwischen Jänner und April 2015 benutzten schon über 26.000 Menschen diese Route, um nach Italien zu kommen. 2014 waren es insgesamt 170.000. Durch die lange Distanz, die mit dem Schiff zurückgelegt werden muss, ist diese Route auch eine der gefährlichsten.

Ein weiteres stark frequentiertes Transitland für die Migration nach Europa war Marokko, das durch die Enklaven Ceuta, Melilla und die Kanarischen Inseln an Spanien grenzt. Die Abkommen mit Marokko führten jedoch zu verstärkten Grenzkontrollen. In der Folge gingen die Versuche, über Ceuta und Melilla nach Europa zu kommen, zurück. Auch die Migration über die Kanarischen Inseln auf der westafrikanischen Route spielt heute eine untergeordnete Rolle. 2006 benutzten über 31.000 Menschen die spanischen Inseln als Weg nach Europa. 2014 waren es noch 275. Zurückzuführen ist dies auf Abkommen mit Marokko, Mauritanien und dem Senegal sowie stärkere Überwachung dieser Seegrenzen durch Programme wie "Seahorse".

Die Umsetzung solcher Abkommen läuft nicht immer menschenrechtskonform, wie der Fall Hirsi Jamaa zeigt. Im Mai 2009 verließen etwa 200 Personen auf drei Booten Libyen in Richtung Italien. In internationalem Gewässer 35 Meilen vor Lampedusa wurden sie von drei Schiffen der italienischen Finanzpolizei und Küstenwache abgefangen und auf die Schiffe überführt, ihre Dokumente wurden beschlagnahmt. Sie wurden statt nach Italien zurück nach Tripolis gebracht und den libyschen Behörden übergeben, wie es ein bilaterales Abkommen zwischen Italien und Libyen vorsieht.

Es wurde kein Versuch unternommen, sie zu identifizieren. Auch ihr Ziel wurde ihnen nicht verraten. Einzelne Flüchtlinge reichten eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein, der ihnen 2012 Recht gab. Sie bekamen Schadenersatz zugesprochen und ihre Prozesskosten zurückerstattet. Den Richtern zufolge könne sich Italien nicht durch bilaterale Abkommen seiner Verantwortung entziehen. Die Behörden hatten gegen Artikel 4 des 4. Protokolls der Konvention für Menschenrechte verstoßen: "Kollektivausweisungen ausländischer Personen sind nicht zulässig."

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Ein Bub schaut durch ein Fenster in einem Migrantenquartier in Rom.
Foto: REUTERS/Yara Nardi

Rückkehr und Abschiebungen

Lassen sich bei Forschungsprojekten und der EU-Bürokratie die Kosten für Migration und Asyl noch klar abschätzen, wird es bei der Rückkehr und bei Abschiebungen schnell undurchsichtig.

Kaum ein Staat in Europa erfasst die Kosten für Ab- und Rückschiebungen. Eurostat erfasst zwar, wie viele Menschen die jeweiligen Länder nach einem Ausreisebescheid verlassen, wie viele davon freiwillig ausreisen und wie viele abgeschoben werden, ist jedoch nicht ersichtlich.

Für Österreich gibt eine parlamentarische Anfrage der grünen Abgeordneten Alev Korun Aufschluss über die Zahl der abgeschobenen Personen. Laut der Anfragebeantwortung wurden zwischen 2005 und 2013 jährlich zwischen 1.853 und 4.277 Personen abgeschoben – mit fallender Tendenz. Dabei gab es jährlich 330 bis 579 Asylwerber mit negativem Bescheid. 2014 wurden nach Angaben des Innenministeriums 1.619 Personen abgeschoben. Zusätzlich wurden 3.020 freiwillige Ausreisen protokolliert, die von Österreich auch finanziell unterstützt werden.

Zu den Abschiebungen kommen auch Überstellungen in andere Staaten nach dem Dublin-II-Abkommen. In Österreich wurden im Jahr 2014 1.327 Personen in Staaten überstellt, die sie vor ihrer Ankunft in Österreich passierten.

Basierend auf Informationen, die in anderen Länder detaillierter verfügbar sind, unternahm das "Migrants Files"-Team eine europaweite Schätzung der Kosten für Abschiebungen. Inkludiert sind die Kosten von zwangsweisen Abschiebungen, inklusive Schubhaft, Transport und ähnlicher Aufwände. Die Schätzung beläuft sich auf 13 Milliarden Euro für Abschiebungen seit dem Jahr 2000. Da selbst die wenigen Länder, die Daten detailliert sammeln, oft unterschiedliche Aufwände in Kostenaufstellungen inkludieren, ist dies weiterhin eine grobe Schätzung.

Auch für Österreich sind genaue Beträge über Abschiebungen nicht verfügbar. Das Innenministerium sammelt zwar Daten zu der Anzahl an abgeschobenen Menschen und freiwilligen Rückkehrern, jedoch werden die Kosten nicht zusammengefasst. Etwa 5,6 Millionen Euro kosten die Schubhaftzentren in Vordernberg und an der Rossauer Lände. In Ersterem werden jedoch zurzeit auch Erstbefragungen von Asylwerbern durchgeführt. Wie viel Abschiebungen den Steuerzahler kosten, ist laut Innenministerium schwer zu ermitteln.

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Sammelabschiebung abgelehnter Asylwerber aus Baden-Württemberg nach Serbien und Mazedonien.
Foto: APA/dpa/Patrick Seeger

Gemeinsame Abschiebungen

Besser dokumentiert sind Abschiebungen, die mehrere Staaten gemeinsam durchführen. In "Joint Return Operations" werden europaweit Abschiebungen koordiniert. Dies bietet Staaten vor allem einen Kostenvorteil: Die Charterflüge werden meist durch die EU-Agentur Frontex mitfinanziert.

Seit 2010 dokumentiert Frontex solche Operationen. Ganze 184 Abschiebeflüge mit einem Gesamtbudget von 36,7 Millionen Euro wurden bis Ende 2014 durchgeführt. Österreich und Deutschland organisierten jeweils 38 davon und liegen damit EU-weit an der Spitze. Danach folgt Spanien mit 31 organisierten Operationen. Mehr als 8,8 Millionen Euro haben die von Wien organisierten Charterflüge in diesem Zeitraum die EU gekostet – mehr als Flüge aus jedem anderen EU-Land.

Für das Jahr 2014 hat Frontex Berichte zu jeder durchgeführten Abschiebung veröffentlicht, aus denen hervorgeht, wie die Flüge organisiert sind und welches Land wie viele Personen abgeschoben hat.

Madrid, Düsseldorf, Budapest und Wien sind die wichtigsten Knotenpunkte im Abschiebeflugnetzwerk Europas. Während die ersten drei Städte vor allem Ausgangspunkte von Abschiebungen sind, ist Wien im Wesentlichen eine Drehscheibe: Nur 80 Menschen wurden 2014 in sogenannten gemeinsamen Operationen direkt von hier weggebracht. Jedoch passierten 206 weitere Personen den Wiener Flughafen als Zwischenstopp bei einer Abschiebung.

Viele über Wien laufende Abschiebeflüge gingen 2014 in Richtung Balkan, darunter etliche in den Kosovo. Mehr als 500 Menschen wurden in Charterflügen in die dortige Hauptstadt Prishtina gebracht. Zweitwichtigste Destination war die nigerianische Hauptstadt Lagos: 2014 wurden 406 Menschen über Madrid, Rom, London oder Wien dorthin abgeschoben.

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Die Kleidung afghanischer Flüchtlinge in einer alten Holzfabrik in Patras, Griechenland.
Foto: REUTERS/Yannis Behrakis

Lückenhafte Kontrollen

Aus den Frontex-Berichten geht jedoch nicht hervor, wie die Umstände an Bord waren: also ob in der Extremsituation zwangsweiser Rückkehr auf überschießende Einschränkungen verzichtet wurde – oder nicht.

In der Praxis ist die menschenrechtliche Kontrolle während der Abschiebeflüge höchst lückenhaft. EU-weit geltende Regeln gibt es keine. Vielmehr sind die Auflagen je nach Land unterschiedlich – ebenso wie jeder Staat den mitfliegenden Polizisten andere Order erteilt, wie die Abzuschiebenden zu behandeln sind. "Im Vergleich zu den mitfliegenden italienischen oder auch spanischen Polizisten verhalten sich die österreichischen Beamten geradezu vorbildhaft", berichtet der Kinderpsychiater Ernst Berger, der gleichzeitig Leiter einer Anti-Folter-Besuchskommission der österreichischen Volksanwaltschaft ist. Abzuschiebenden aus Italien würden etwa auch im Flieger vielfach die Handfesseln nicht abgenommen. Und sie würden oft "grob behandelt".

Die Besuchskommissionen der Volksanwaltschaft haben dem österreichischen Innenministerium vor eineinhalb Jahren das Recht abgerungen, in Abschiebeflieger, solange sie am Flughafen Schwechat stehen, vorgelassen zu werden. Über ihre Beobachtungen schreiben sie Berichte. Vor dem Abflug müssen sie das Flugzeug aber wieder verlassen. Mit in die Luft geht nur ein Beobachter vom Verein Menschenrechte Österreich (VMÖ), der als ministeriumsnah gilt.

Selbst mit dieser laut Berger wenig kritischen Menschenrechtskontrolle sei Österreich weiter als die meisten anderen EU-Staaten. Seine eigene Rolle sieht er kritisch: "Wenn in den Fliegern Familien mit Kleinkindern oder schwangere Frauen sitzen, kann ich diesen Umstand nicht kritisieren. Die polizeilichen Entscheidungsgrundlagen darf ich nicht infrage stellen."

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Start einer Odyssee. Flüchtlinge beginnen ihre Reise am 25. Mai in Agadez, Niger.
Foto: reuters/Akintunde Akinleye

Der teure Weg nach Europa

Den Kosten, die in Europa anfallen, um Migration nach Europa einzuschränken oder zu erschweren, stehen die Ausgaben gegenüber, für die Migranten und Flüchtlinge aufkommen müssen, um Europa zu erreichen. Denn auch wenn ein Asylgrund besteht, bleibt den meisten Flüchtlingen nur die illegale Einreise nach Europa. Auch weil seit 2001 Strafen für Fluglinien vorgesehen sind, wenn nicht vor dem Abflug die Einreisedokumente der Reisenden geprüft wurden.

Auch wenn es in Einzelfällen möglich ist, sich alleine bis nach Europa durchzuschlagen, ist ein großer Teil der Migranten und Flüchtlinge auf ortskundige Schlepper angewiesen. Je nach Preis bieten diese lebensgefährliche Überfahrten bis zu Reisen mit dem Flugzeug – Letztere oft mit Komplizen an den jeweiligen Flughäfen. Auch in Wien wurde vor wenigen Wochen bekannt, dass Sicherheitsmitarbeiter des Flughafens für mehrere Tausend Euro Passagiere an Sicherheitskontrollen vorbeischmuggelten.

Weit häufiger wagen sich Flüchtlinge und Migranten ohne Visumchancen aber auf Schiffe, um Europa zu erreichen. Von unter einem Euro für eine Überfahrt von Nordafrika auf die Kanarischen Inseln bis zu mehreren Tausend Euro für dieselbe Strecke reichen hier die Kosten. Für die am häufigsten gewählte Überfahrt nach Europa, die zentrale Mittelmeerroute von Libyen oder Tunesien nach Italien, zahlen illegal Reisende durchschnittlich 1.500 Euro pro Kopf. Die Preise variieren auch hier zwischen 130 und 8.000 Euro – je nach Transportmittel, Beförderungskomfort und nicht zuletzt auch dem Ausmaß von Lebensgefahr auf der Überfahrt. So reisen reichere Flüchtlinge aus Syrien auf großen Schiffen an Deck. Dafür zahlen sie ein Vielfaches dessen, was Migranten aus dem südlichen Afrika für einen Platz im Lagerraum berappen. Wer ohne Papiere auf dem Landweg, also etwa nach Ungarn oder Polen, in die EU einreisen will, muss zwischen 2.000 und 4.000 Euro investieren. Billiger wird es, wenn die Grenze zu Fuß überschritten wird.

Wie viel Geld mit illegaler Migration gemacht wird, ist schwer abzuschätzen. Das "Migrants Files"-Team hat über 2.400 Medienberichte und Internetangebote für die Einreise nach Europa auf den bekanntesten Migrationsrouten gesammelt. Der Betrag, der seit 2000 für illegale Migration nach Europa ausgegeben wurde, wird dabei auf rund 16 Milliarden Euro geschätzt.

Beeindruckend ist aber auch die von der EU-Grenzschutzagentur Frontex erhobene Zahl von 280.000 Menschen, die allein 2014 ohne gültige Dokumente nach Europa zu gelangen versuchten. Etwa 28 Prozent von ihnen waren Flüchtlinge aus Syrien, rund zwölf Prozent Menschen aus dem nordostafrikanischen Eritrea.

Vom Balkan kommend, suchten 2014 über 22.000 Kosovaren einen Weg nach Westeuropa: ein starker Anstieg im Vergleich zu 2013; verantwortlich dafür war die im Kosovo sich verschlechternde wirtschaftliche Lage.

Im Gegensatz zu den Kosovaren erhielten Flüchtlinge aus Syrien in über 90 Prozent der Fälle Asyl in der ersten Instanz. Bei Eritreern waren es über 80 Prozent. Somit waren mehr als ein Drittel der Menschen, die 2014 ohne gültige Dokumente nach Europa einreisten, asylberechtigt. Doch restriktive Grenzkontrollen und Gesetze zwangen sie zu gefährlichen und teuren Reisen mit Schleppern.