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Will Asylanträge zwar zulassen, aber absichtlich hinauszögern: Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP).

Foto: APA/Herbert Neubauer

Wien – Mit einer am Freitag erteilten Weisung hat Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) alle Asylverfahren in Österreich gestoppt. Damit setzt sie um, was sie vor über einer Woche bei einem Pressegesprächs angekündigt hatte – unter anderem, um auf EU-Ebene Druck für eine Asyl-"Entlastung" Österreichs zu erzeugen.

Konkret sollen sämtliche im Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zur Verfügung stehenden Mitarbeiter und Ressourcen zur Erledigung von Verfahren laut der EU-weit geltenden Dublin-Verordnung eingesetzt werden – samt folgenden Rückschiebungen.

Länger warten

Bereits laufende Verfahren sind von dem Stopp nicht betroffen. Bei neu ankommenden Asylwerbern soll das Verfahren hingegen ausgesetzt werden: Sie müssen länger als bisher auf eine Erledigung ihres Falles warten. Ihr Asylantrag wird zwar angenommen und die Menschen kommen in die Grundversorgung – wo derzeit, wie berichtet, akute Quartiernot herrscht.

Bearbeitet wird ihr Fall aber erst in zweiter Linie. Es sei denn, es bestehe die Vermutung, dass für das Verfahren laut Dublin-III-Verordnung ein anderer EU-Staat als Österreich zuständig sein. 2014 war das in rund 6000 Fällen so, also etwa bei einem Viertel der gestellten 22.881 Asylanträge.

In 80 Prozent der Fälle endete das Verfahren mit der Entscheidung, den Flüchtling ins EU-Erstaufnahmeland zurückzuschicken, meist nach Ungarn oder Italien. Bis zur Rückschiebung selbst, die das offizielle Einverständnis der dortigen Asylbehörden voraussetzt, dauerte es vielfach dann noch länger.

"Zielland Nummer eins"

Österreich sei "Zielland Nummer eins" für Flüchtlinge geworden, begründete Mikl-Leitner ihren Schritt. Vor allem der "im europäischen Vergleich rasche Familiennachzug" habe Österreich zum "Asylexpress Europas" gemacht.

Das Recht auf Familiennachzug ist international verbrieft und kommt anerkannten Asylwerber zu. Es umfasst die nächsten Verwandten des Flüchtlings, diese kann er nachzuholen.

"Inhuman"

Bei der Asylkoordination kritisiert Herbert Langthaler den Stopp der Familienverfahren in besonderem Maße. Vor allem aus Syrien und dem Irak seien in den vergangenen Monaten Familienväter auf gefährlichen Wegen nach Österreich geflohen, oft in überfüllten Booten übers Mittelmeer; meist bekommen sie rasch Asyl. Ihre nächsten Angehörigen, so Langthaler, seien unterdessen in Lebensgefahr oder aber in Erstfluchtstaaten wie dem Libanon oder Ägypten existenziell bedroht. "Diesen Menschen bis auf Weiteres die Hoffnung zu nehmen, ihre Familie nachzuholen, ist inhuman", sagt der NGO- Experte.

Rechtlich stützt sich Mikl-Leitner mit dem Inhalt ihrer Weisung auf die "gesetzliche Möglichkeit, Asylverfahren befristet, an den Umständen und der aktuellen Situation orientiert, auszusetzen". Der Asylverfahrens-Stopp sei außerdem als "Regulationsmaßnahme" zu verstehen, wie sie laut EU-Recht möglich sei, ergänzt ein Sprecher des Innenministeriums.

Mikl-Leitner verteidigt sich

Am Samstag verteidigte Mikl-Leitner gegenüber der APA ihr Vorgehen: Sie habe "keine Weisung zum Nichtstun" erteilt, sondern dazu, Dublin-Fälle prioritär zu behandeln. Angesichts der aktuellen Antragsflut ergebe sich automatisch, dass andere Verfahren stillstehen. Die Bearbeitung von Asylverfahren "wird nicht gestoppt, aber man konzentriert sich auf Dublin-Fälle, Rück- und Abschiebungen, und das führt automatisch dazu, dass die anderen gestoppt werden".

"Es geht operativ gar nicht mehr anders", sagte Mikl-Leitner. Die Ministerin sprach von einer "Entscheidung der Vernunft". Weil das die Kapazitäten derzeit gar nicht mehr anders möglich machten. "Wir haben massiv hohe Antragszahlen. Es ist überraschend, dass das selbst in Österreich so manche noch immer nicht begriffen haben."

Zweifel an Rechtmäßigkeit

Regulationsmaßnahmen im Asylbereich wie die vorliegende seien "nur im Fall von Massenzustrom" von Flüchtlingen möglich, meint dazu NGO-Experte Langthaler. Während der Anwalt und Asylrechtsexperte Georg Bürstmayr im Standard-Gespräch Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Aussetzens von Asylverfahren anmeldet. Laut dem Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG) – Asylverfahren sind Verwaltungssachen – habe jede Partei den Anspruch, dass die Behörden binnen sechs Monaten aktiv werden.

Auch habe das Verfahren ohne unzumutbaren Verzug abgewickelt zu werden. "Wenn Mikl-Leitner das bei Asylverfahren nicht will, so muss sie trachten, das AVG zu ändern. Das geht nur auf parlamentarischem Weg."

Sollte sich herausstellen, dass die Asyl-Weisung rechtlich nicht gedeckt sei. "So wäre das ein Fall für die Staatsanwaltschaft. Es bestünde Verdacht auf Amtsmissbrauch durch die Ministerin", sagt Bürstmayr.

Korun für Rücktritt

Von politischer Seite kam von Grünen und Neos massive Kritik an Mikl-Leitners Maßnahmen. Grünen-Menschenrechtssprecherin Alev Korun forderte sie auf, die Asylagenden abzugeben: "Im Justizministerium ist sicher mehr Bewusstsein darüber vorhanden, dass man rechtsstaatliche Verfahren nicht einfach aussetzen kann, um anderen EU-Ministern eins auszuwischen, wie die Innenministerin freimütig bekanntgibt."

Neos-Menschenrechtssprecher Niki Scherak sprach von einer "Bankrotterklärung für Österreich. Wenn alle Flüchtlinge dadurch in der Erstversorgung bleiben, heißt das, dass wir noch mehr Zeltstädte haben werden". Während Manfred Haimbuchner von der FPÖ nicht die Asylverfahren, sondern die "Asylflut" gestoppt sehen möchte, unter anderem durch temporäre Grenzkontrollen.

Junge Rote und Grüne fordern Rücktritt

Fassungslos hat SJ-Vorsitzende Julia Herr auf die Entscheidung von Mikl-Leitner reagiert und den Rücktritt der Ressortchefin gefordert. Mikl-Leitner sei "massiv überfordert", wie das Aufstellen von Zelten und die Situation in Traiskirchen zeigen. "Der jetzige Vorschlag schlägt dem Fass den Boden aus", so Herr.

Auch die Jungen Grünen forderten am Samstag den sofortigen Rücktritt von Mikl-Leitner. (Irene Brickner, APA, 13.6.2015)