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Gidon Kremer spielt Werke Mieczyslaw Weinbergs.

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Wien - Würde die Biografie von Mieczyslaw Weinberg, dem ab Samstag im Musikverein ein zweitägiger Schwerpunk gewidmet ist, zu einer Oper geformt - sie hätte wohl den äußerst bedrückenden Grundton eines Dokuments des 20. Jahrhunderts. Der am 12. Jänner 1919 in Warschau geborene Komponist hatte 1939 vor den Nazis - in einem 17-Tage-Marsch - nach Weißrussland zu fliehen, um später zu erfahren, dass seine Eltern und seine Schwester ins Lager Tarwniki verschlappt wurden, wo man sie umbrachte. Vor der Nazis floh er dann wieder 1941 ins usbekische Taschkent; 1943 holte ihn dann Kollege Dmitri Schostakowitsch nach Moskau (Weinberg hatte ihm seine erste Symphonie geschickt), wobei es unter Stalin wieder existenzbedrohend wurde.

1953, kurz vor dem Ende der Stalin-Ära, wurde Weinberg interniert, nur der Tod des Diktators rettete ihm das Leben. 1996 starb Weinberg in Moskau und hinterließ aber - Geiger Gidon Kremer staunt selbst - ein umfangreiches Werk: u.a. 22 Symphonien, 17 Streichquartette, 40 Filmmusiken wie auch sieben Opern (auch die bei den Bregenzer Festspielen vor einigen Jahren uraufgeführte Passagierin).

Melancholie, Dramatik, Kontraste

"Als ich auf einige seiner Werke stieß, war ich zunächst beeindrucken, dann überwältigt. Ich konnte kaum glauben, dass ich Weinberg so lange unterschätzt habe. Sein Werk ist ein Fundus an menschlicher Stärke. Da sind nicht nur Melancholie und jüdisches Melos. Sie sind nur ein Merkmal und nicht zentral. In seiner Musik sind auch Dramatik, Kontraste - und da ist kein Sich-selbst-Bemitleiden."

Kremer kannte Weinberg. Er war ab Mitte der 1960er in der Klasse von Geiger David Oistrach, und bisweilen saß Weinberg am Klavier. "Es ist auch nicht so, dass er nicht aufgeführt wurde. Letztlich landete er aber im Schatten seines Freundes Dmitri Schostakowitsch. Und sie waren Freunde, Weinberg war nicht Schostakowitschs Schüler! Weinbergs 10. Symphonie etwa war vor der 14. Symphonie Schostakowitschs geschrieben worden - nicht umgekehrt. Wenn man beide Werke hört, glaubt man: Da haben zwei Komponisten miteinander am Telefon Themen erörtert. Dann aber sind sie getrennt an ihre Komponiertische gegangen und haben eigene Lösungen gefunden. Sie haben nur gemeinsam gedacht."

Schmerz des Überlebenden

Wie erklärt sich Kremer eigentlich diese überbordende Produktivität Weinbergs - zumal bei einer Biografie, die übervoll ist von Flucht, Todesangst und menschlichen Verlusten. Eigentlich wäre nachvollziehbar, wäre Weinberg gänzlich verstummt. "Er hat wohl vieles in der Musik verarbeitet. Vielleicht gibt es gewissermaßen den Schmerz des Überlebenden. Wir haben von Schönberg das Werk Ein Überlebender aus Warschau. Weinberg war ein Überlebender. Aber der ganze Schmerz in seiner Musik ist kunstvoll verarbeitet, und er hat etwas zutiefst Humanes." (Ljubisa Tosic, 13.6.2015)