Wien – Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) hat eine neue Debatte über Sozialleistungen für Zuwanderer aus anderen EU-Staaten losgetreten. Einen ausformulierten Vorschlag gibt es noch nicht, wie es in seinem Büro heißt. Man unterstütze aber die von den Briten gestartete Diskussion über eine Reform der EU, auch wenn man nicht 1:1 einer Meinung mit Großbritannien sei, Sozialleistungen generell erst nach fünf Jahren zu gewähren. Am konkretesten sind die Überlegungen bei der Familienbeihilfe (in Österreich zwischen 109 und 158 Euro pro Kind und Monat). Hier sollen jene EU-Bürger, deren Kinder im Ausland leben, nur eine ihrem Heimatland entsprechende Leistung bekommen.

Bei der Mindestsicherung und beim Arbeitslosengeld gibt es bis jetzt nur Überschriften. Man sei gegen Leistungen ab dem ersten Tag und wolle einer "Sozialunion vorbauen", erklärt ein Kurz-Sprecher. DER STANDARD gibt einen Überblick über die wichtigsten Fragen zum Thema.

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Seit dem Besuch des britischen Außenministers Philipp Hammond (li.) denkt Sebastian Kurz laut über Verschärfungen im Sozialsystem nach.
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Frage: Wer hat in Österreich überhaupt Anspruch auf Familienbeihilfe?

Antwort: Alle Eltern, deren Lebensmittelpunkt in Österreich ist. Konkret heißt das, dass jemand zumindest die Hälfte des Jahres in Österreich leben muss. Grundsätzlich wird die Familienbeihilfe unabhängig von einem Beschäftigungsverhältnis gewährt. Allerdings: EWR-Staatsbürger müssen auch einen rechtmäßigen Aufenthalt nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz nachweisen, der wiederum eine Beschäftigung voraussetzt. Für Kinder in Drittstaaten gibt es keine Familienbeihilfe.

Frage: Muss Österreich EU-Bürgern die Familienbeihilfe in voller Höhe gewähren?

Antwort: Ja, das regelt die EU-Richtlinie 883/2004 "zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit". Möchte man davon abgehen, müsste diese Richtlinie geändert werden, was Einstimmigkeit in Brüssel erfordern würde. Auf Drängen der Briten wurde dazu bereits eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die im Herbst das erste Mal tagen soll, wie es im Familienressort heißt. Eine der Schwierigkeiten: Die Familienbeihilfe wird über den Familienlastenausgleichsfonds finanziert. In diesen zahlen Arbeitgeber 4,5 Prozent der Bruttolohnsumme ein – für jeden Arbeitnehmer, egal ob In- oder Ausländer. Man bräuchte also wohl ein neues Modell, um nicht gegen das Diskriminierungsverbot zu verstoßen.

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Sollen alle Familien die volle Familienbeihilfe bekommen? Sebastian Kurz ist nicht dieser Meinung.
Foto: apa/Jens Kalaene

Frage: Um wie viele Fälle geht es bei der Familienbeihilfe?

Antwort: Laut Familienministerium wird unterschieden zwischen Fällen, bei denen Österreich "vorrangig" zuständig ist und Fällen, für die es "nachrangig" zuständig ist. Vorrangig bedeutet, dass ein Elternteil in Österreich beschäftigt ist, der andere beim Kind im EWR-Ausland ist. Das betrifft 25.225 Kinder und verursacht Kosten von rund 60 Millionen Euro. Nachrangig bedeutet, dass beide Elternteile arbeiten, einer in Österreich und einer im Ausland. In diesen Fällen zahlt Österreich die Differenz auf die Familienbeihilfe des Herkunftslandes. Es geht aktuell um 79.070 Kinder bzw. Kosten von 87,3 Millionen Euro.

Frage: Kurz kritisiert auch, dass EU-Bürger "in den Arbeitsmarkt zuwandern, dann aber sehr bald arbeitslos werden und in unserem attraktiven Sozialsystem verweilen". Geht das so einfach?

Antwort: Grundsätzlich gilt: Anspruch auf Arbeitslosengeld hat nur, wer in den letzten zwei Jahren mindestens 52 Woche an Versicherungszeiten vorweisen kann (bei Menschen unter 25 Jahren reichen 28 Wochen im letzten Jahr). Wegen der erwähnten EU-Richtlinie müssen aber auch in anderen EU-Staaten erworbene Versicherungszeiten vom heimischen AMS angerechnet werden. Wer also ein Jahr in Rumänien und dann kurz in Österreich gearbeitet hat, hat Anspruch auf Arbeitslosengeld. Dessen Höhe richtet sich ausschließlich nach dem Job in Österreich. Ein Missbrauchsthema sieht man im Sozialministerium aber nicht. Nur knapp 1400 von rund 400.000 Arbeitslosen beziehen Arbeitslosengeld unter Zuhilfenahme ausländischer Versicherungszeiten. Die Zahl der Fälle, die weniger als eine Woche in Österreich beschäftigt waren, betrug sogar nur 166.

Frage: Wann können EU-Bürger Mindestsicherung in Österreich beziehen?

Antwort: Sie müssen entweder fünf Jahre in Österreich wohnen oder erwerbstätig sein (wer sehr wenig verdient, kann sich sein Einkommen mit der Mindestsicherung aufstocken). Allerdings, und hier setzt die Kurz-Kritik an: Verliert man nach kurzer Zeit den Job, besteht ebenfalls Anspruch auf Mindestsicherung. Genau Zahlen dazu gibt es nicht, weil die Datenlage bei der Mindestsicherung generell dürftig ist. Aus früheren Untersuchungen weiß man aber, dass der Ausländeranteil bei der Mindestsicherung in etwa gleich hoch ist wie beim AMS (25 bis 30 Prozent). Ein Grund dafür: Ausländer sind überdurchschnittlich in Branchen mit hoher Arbeitslosigkeit vertreten – wie Bau, Tourismus, Reinigung.

Frage: Was sagt die SPÖ zur Debatte?

Antwort: Bei der Familienbeihilfe möchte sich Sozialminister Rudolf Hundstorfer noch nicht festlegen. Beim Thema Mindestsicherung und Arbeitslosengeld sieht er Österreich als "Best-Practice-Beispiel" in der EU. (go, 15.6.2015)