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Alles eine Frage der Balance: Die griechische Regierung wehrt sich vehement gegen weitere Pensionskürzungen und machte dafür den Gläubigern neue Vorschläge.

Foto: Reuters/Konstantinidis

In einer Ecke des Büros von Yanis Dragasakis steht ein Flipchart, auf dem Linien und Kästen gekritzelt sind, ein Szenarienbaum, der sich auf der Mitte der Seite teilt. Rechts steht "nai", links "ochi" – Griechisch für "ja" und "nein". Nicht nur in Berlin und Brüssel wird nun kalkuliert, wohin das griechische Schuldendrama führen kann.

"Wir brauchen ein Abkommen. Das ist die bessere Lösung. Niemand wird ohne Abkommen froh sein", versichert Dragasakis, der Vizepremier. "Es macht keinen Sinn zu diskutieren, wer nun mehr Schaden nehmen wird, wenn es keine Übereinkunft gibt. Aber das Abkommen muss mit Leben erfüllt sein. Es muss eine Entwicklungsperspektive haben." Ohne Hilfe für das Wachstum der griechischen Wirtschaft sind Reformen und Sparmaßnahmen bedeutungslos, erklärt der 68-Jährige, der früher einmal im ZK der griechischen Kommunistenpartei saß und jetzt die Gläubiger seines Landes überzeugen muss. Auch ohne Einigung über die langfristige Bewältigung der Schulden tauge ein Abkommen nichts.

"Hände in den Taschen"

Dragasakis, ein kleiner freundlicher Mann, flog nach dem Gespräch nach Brüssel. Er leitete die griechische Delegation, die am vergangenen Sonntag dann unter Vermittlung von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker endlich den Handel mit den Kreditgebern erreichen sollte. Es wurde ein neuer Fehlschlag. Die Griechen seien mit den "Händen in den Taschen" gekommen und hätten nur "minimale Zusagen" gemacht, steckt ein EU-Vertreter später einer Nachrichtenagentur.

Ganz stimmen kann das nicht: Athen habe die Forderung der Kreditgeber nach einem Primärüberschuss von einem Prozent akzeptiert, sagte eine Kommissionssprecherin in Brüssel am Montag. Keine Kleinigkeit. Dieses Haushaltsplus vor Zahlung von Zinsen und Schulden, errechnet in Prozent der Wirtschaftsleistung, legt fest, wie viel Athen in diesem Jahr noch einsparen und mehr einnehmen müsste.

Drei Prozent Primärüberschuss hätten es eigentlich 2015 sein sollen. So hatte es das Kreditabkommen vor drei Jahren festgelegt. Aber wie so viele andere Vorgaben der Gläubiger von EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds hat auch die ansteigende Kurve beim Budgetplus nur wenig mit der griechischen Realität zu tun. Auf 0,75 Prozent ist die Regierung in Athen den Kreditgebern in den vergangenen Wochen entgegengekommen. Schon dieser Wert, so gibt ein Regierungsvertreter zu, sei schwer zu erreichen. Schließlich ist die Hälfte des Jahres bald um.

Alexis Tsipras spielt erst einmal auf cool. Er warte geduldig, bis die Kreditgeber realistisch würden, sagte der Regierungschef einer griechischen Zeitung, als ob er die Zeit dafür hätte. Hat er aber nicht. Bei der Sitzung der Eurofinanzminister am Donnerstag soll nun über das Aus der Finanzhilfe an Griechenland entschieden werden. Drei Tage sind es bis dahin. Der Ball liege im Feld der Kreditgeber, behauptet ähnlich gelassen Finanzminister Yanis Varoufakis im Gespräch mit Sto Kokkino, dem "roten" Radiosender.

Aufruf zum Einlenken

Die zwei wichtigeren Oppositionsparteien, die Nea Dimokratia des früheren konservativen Premierministers Antonis Samaras und die liberale Bürgerbewegung To Potami (Der Fluss) des TV-Journalisten Stavros Theodorakis, forderten die linksgeführte Regierung bereits auf, nun in Brüssel einzulenken. Gleich mehrere Szenarien sind für die Griechen diese Woche denkbar: Gelingt in der Eurogruppe doch noch eine Übereinkunft, wird Tsipras das neue Spar- und Maßnahmenpaket ins Parlament bringen; ein Teil der Abgeordneten seiner Partei Syriza mag dann wohl ausscheren. Tsipras müsste eine neue Koalition bilden, wahrscheinlich mit To Potami.

Scheitern aber am Donnerstag die Verhandlungen, wird Athen noch am folgenden Tag Kapitalkontrollen einführen, um den Geldabfluss aus Griechenland zu verhindern. Danach gibt es zwei Möglichkeiten: Tsipras steuert Neuwahlen an, weil er die Griechen entscheiden lassen will – Grexit oder wieder Sparmaßnahmen. Oder aber Syriza versucht, die Krise ohne Neuwahl politisch durchzustehen. Dann würde Griechenland zuerst Ende Juni einen Schuldenausfall beim IWF haben, später bei der EZB. Technisch könnte das Land noch kurze Zeit in der Eurozone bleiben, dann aber würde die Drachme wieder eingeführt.

Neuer Vorschlag geleakt

Erst einmal aber boxt die Regierung Tsipras weiter mit den Gläubigern. Am Tag nach den gescheiterten Verhandlungen in Brüssel leakt sie ihren jüngsten Finanzvorschlag an die griechischen Medien. Er soll zeigen: Die Regierung habe sehr wohl weitere Zugeständnisse gemacht. Doch gegen Abstriche bei Pensionen wehrt sie sich weiter. Am Dienstagabend kommt Werner Faymann nach Athen und berät Tsipras. (Markus Bernath, 15.6.2015)